Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Abschied von der Zukunft

Das Ende der Hoffnung und der Beginn des Punk: Penny Rimbaud erzählt

Wer vermutet hat, Penny Rimbauds Buch Shibboleth – my revolting Life sei ein Buch über die Geschichte der Punkband Crass, zumal der Untertitel Crass: Punk als Widerstand deutlich darauf zu verweisen scheint, der wird seine Erwartungen beim Lesen nur teilweise erfüllt sehen. Um die Band Crass geht es in Shibboleth so richtig eigentlich nur im zweiten von acht Kapiteln dieses knapp 300 Seiten langen Buches, das genaugenommen die Punk-Biographie des Crass-Schlagzeugers und Liedtexters Penny Rimbaud ist.

Im ersten Kapitel erzählt der Autor von seiner frühen Entwicklung, die nach Studium, einer nicht lange währenden Arbeit an der Kunstakademie, dem Kauf seines ersten Schlagzeugs, zunehmenden Reibereien mit kulturellen Normen und der Anmietung eines später legendären Hauses unweit von London schließlich in der Gründung der Band Crass gipfelte. Einer Punkrock-Gruppe, die man als das musikalische Kulminationsprodukt einer seit Anfang der siebziger Jahre aus Musikern, Malern, Schriftstellern und Filmemachern bestehenden Kommune betrachten kann, die ihre Vorstellungen von einem anderen Leben in dem von Rimbaud gemieteten Haus zu verwirklichen versuchten. Crass bildete dabei mit Beginn ihrer massenhaften öffentlichen Resonanz das populäre Medienorgan eines netzartig agierenden (anti-)sozialen Kommunikationskörpers, der in der Musik nur eine von vielen Facetten subkultureller Exaltation sah.

Und das schien nicht von ungefähr zu kommen, immerhin war gerade Punk von Anfang an nie bloß eine musikalische Erscheinung, sondern „Ausdruck der Seele, das Lebensgefühl einer Person, die sich anderen mitteilte" (Rimbaud). Während man in der Kommune dieses Gefühl lebte, entwickelte sich Crass schnell zum musikalischen Sprachrohr dieses anderen Lebens, zu einer Stimme, die innerhalb weniger Monate immer lauter wurde, bis man ihr Symbol schließlich weltweit wieder- und zuweilen dabei sogar anerkannte.

Schon allein deshalb ist Rimbauds Buch nicht bloß eines über (Punk-)Musik, sondern vermittelt das Lebensgefühl, Fragen und Antworten einer Generation, deren Radikalität sich im Abschied von der Zukunft und deren Versprechungen herausbildete. Rimbaud äußert sehr authentisch wirkende Gedanken über seine ­ zu weiten Teilen sicher nicht nur damals virulenten ­ Empfindungen und die Stimmungen und Ereignisse seiner Zeit. Daß er später auch seitenweise in politische (Anti-)Floskeln abdriftet, in denen die Denkweisen des Widerstands und die Argumente gesellschaftlicher Kritik trotz und gerade wegen ihrer längst evidenten Wahrheit zu bloß programmatischen Haltungsstereotypen zu verkommen scheinen, gehört zu den Schwachpunkten dieses Buches. Dessen eigentlicher ­ und tragischer ­ „Held" ist aber anders, als man eigentlich annehmen könnte, weder die Band Crass noch der Autor Rimbaud, sondern dessen Freund Wally Hope, ein „braungebrannter Hippie-Krieger", der in Shibboleth mal auf den Namen Phil und mal auf Wally hört. Dessen gewaltsamer Tod hat Rimbaud nicht nur emotional stark mitgenommen („der erste Tod, von dem ich behaupten kann, daß er mich wirklich berührt hat"), er hat ihm auch noch derart eklatante Rätsel aufgegeben, daß er den Leser detailliert teilhaben läßt an seinen Versuchen, dieselben zu lösen.

Eines Tages hatte die Polizei Hope – um ihn von einem Hippie-Festival fernzuhalten – unter dem Vorwand, es bestünde der Verdacht von LSD-Besitz, festgenommen. Daß dies Wallys bzw. Phils unaufhaltsames Ende bedeutete, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. In der Untersuchungshaft stellte man Wally einem Psychiater vor, der bei ihm ad hoc Schizophrenie diagnostizierte, so daß man ihm keine Straftat nachweisen mußte, um ihn länger einsperren zu können und anschließend – vor allem mittels injizierter Psychopharmaka – langsam zu zerstören. Aus dem strahlenden Hippie, von dem eine „seltsame Magie ausging", wurde in kurzer Zeit ein hilfloses – u.a. mit dem Medikament Largactil ruhiggestelltes – Wesen, das schon nach wenigen Wochen entgegen allen ihm von außen angetragenen Ausbruchsplänen freiwillig hinter den Mauern verbleiben wollte. Als er schließlich – psychisch und physisch ausgezehrt – entlassen wurde und sich gerade anschickte, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen, vergingen nur wenige Wochen, bis man den inzwischen 28jährigen mit einer Überdosis Schlaftabletten, erstickt an seinem Erbrochenen auffand. Schon wegen der völligen Farce, die der daraufhin stattfindende Prozeß darstellte, zweifelt Rimbaud bis heute nicht daran, daß sein Freund Wally umgebracht worden ist. Was dabei aber vor allem getötet wurde, war für Rimbaud die Hoffnung selbst (nicht ganz zufällig heißt der Tote ausgerechnet Wally Hope), jene Triebfeder der Hippies und anderer Anhänger höchstens in ferner Zukunft realisierbarer Utopien, ohne die jene offensichtlich nicht zu existieren vermögen.

Als Wally Hope nicht mehr zu den Lebenden gehörte, war auch Penny Rimbauds Hoffnung gestorben: Der Punk hatte begonnen.

Wolfram Hasch

Penny Rimbaud: Shibboleth – my revolting life. Crass: Punk als Widerstand, Ventil-Verlag, Mainz 2004. 14,90 Euro

Foto: Knut Hildebrandt

 
 
 
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