Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Findungsprozeß hinter verschlossenen Türen

Die Zukunft des Haus Schwarzenberg

Ein grauer, kühler Novembermorgen in Mitte. Autos rattern über die Rosenthaler Straße, Menschen eilen mit hochgezogenen Schultern vorbei. In der brökkelnden Hofeinfahrt Nr. 39 wartet Heinrich Dubel und blickt mich durch gelbgetönte Brillengläser an. Ob für ihn die Welt ein wenig heller und freundlicher aussieht an diesem trüben Tag? Er ist Pressesprecher des Haus Schwarzenberg, und wir sind zu einem Interview verabredet. In dem Vereinsbüro sieht es nach Arbeit aus, mehrere Computertische stehen im Raum, Regale voller Aktenordner, Teekocher und Schokolade in greifbarer Nähe. Es gibt viel zu tun.

Im Juli gelang es nach mehreren Anläufen, die Gebäude des Haus Schwarzenberg vor der „feindlichen Übernahme" eines Privatinvestors zu schützen. Stattdessen ersteigerten die WBM und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie das Gelände, und der Verein kann seine kulturelle und künstlerische Arbeit fortsetzen. Eine anstrengende, aufreibende Zeit, „total verrückt, ein bißchen wie Wahlkampf", erzählt Dubel. Der allgemeinen „Erschöpfung nach dem Exzeß" wurde aber kein Raum gegeben. Entspannen will sich jetzt niemand, denn in den letzten Jahren hat der Verein zusammen mit den Mietern des Hauses ein umfassendes Nutzungskonzept für die Zeit nach dem Kauf entwickelt, und nun endlich können die gewachsenen Ideen umgesetzt werden.

Bisher halten sich die neuen Besitzer eher zurück. Sie nehmen kaum direkten Einfluß auf die Gestaltung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudekomplexes in der Spandauer Vorstadt. Der entscheidende Impuls seitens der Stadt zielt auf einen Gedenkort der Stille. Neben dem Anne Frank Zentrum und dem Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt soll noch ein weiteres Projekt zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus entstehen. So überlegen nun die Mieter des Hauses und die Vereinsmitglieder, wie sie diesen neuen Komplex inhaltlich und auch räumlich integrieren können. Viel freien Platz gibt es nicht mehr, denn es soll niemand verdrängt werden. Vielleicht muß also die Raumnutzung etwas verändert werden.

Diese Überlegungen gehen einher mit einem allgemeinen Findungsprozeß, wie es Dubel beschreibt. Die einzelnen Gruppen und Mitwirkenden müssen neue Formen der Organisation und der Kommunikation entwickeln, um ihre Interessen vor den anderen Mietern, vor dem Verein und eben vor den neuen Besitzern zu vertreten. Ein hochsensibler Prozeß hinter verschlossenen Türen. Trotzdem tritt der Verein nach außen geschlossen auf. Denn im wesentlichen sind sich alle über die gemeinsamen Ziele im klaren. Dies ist für die Zusammenarbeit mit der GSE (Gesellschaft für Stadtentwicklung) besonders wichtig. Sie ist offiziell die neue Hausverwaltung. Und es gehört in diesem Herbst und Winter zu den Aufgaben des Vereins, die Kooperation möglichst konstruktiv und effektiv zu gestalten. Die Selbstverwaltung in ungesicherten Eigentumsverhältnissen hatte schließlich auch Vorteile: Wenn eine Sicherung defekt war, wurde bisher der Hausmeister direkt auf dem Gelände informiert und dieser konnte das Problem innerhalb weniger Stunden beheben. Jetzt stellt sich die Frage, ob in Zukunft zuerst die GSE angerufen werden muß, damit diese dann einen externen Hausmeister irgendwo in Berlin beauftragt, der erst quer durch die Stadt reisen muß, um die Sicherung auszutauschen.

Die „Hauptkampflinie" betrifft allerdings die Fassadenerneuerung. Bisher hat der Verein ca. eine Million Euro in Baumaßnahmen gesteckt – ohne diese Investition wäre die Blindenwerkstatt heute nicht mehr vorhanden, die Räume wären einfach zusammengebrochen. Der autark wirtschaftende Verein trägt also unabhängig von öffentlichen Geldern wesentlich dazu bei, daß dieser historische Ort erhalten bleibt. Die Restaurierung der Außenfassade wird ein wackeliger Seiltanz. Die Substanz muß erneuert werden, gleichzeitig soll der etwas heruntergekommene Gesamteindruck erhalten und der Verfall als historischer Prozeß sichtbar bleiben. Schließlich will man ja gerade nicht so vorgehen wie die Investoren der umliegenden Gebäude. Welcher Architekt diesen Anspruch wie umsetzt, das wird in den nächsten Wochen gemeinsam mit Vertretern der Stadt Berlin und des Haus Schwarzenberg entschieden. Es stehen also viele kleine und große konkrete Maßnahmen an, Planungs- und Gesprächsrunden. Der Verein ist in der Zukunft angekommen. Jetzt hofft Dubel, daß es in den nächsten Monaten zügig und zielstrebig vorangeht mit der Umsetzung. Voller Zuversicht blickt er durch seine sonnengelben Optimisten-Brillengläser einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Stadt Berlin entgegen.

Sandra Gärtner

 
 
 
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