Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Geld muß rosten

Von Freigeld-Experimenten und Geldbeschaffungsmaßnahmen

Kurz nach der Einführung des Euro im Jahr 2002 gab's in Bremen, hoppla, gleich noch eine neue Währung obendrein: den „Roland". Das als Gutschein für Vereinsmitglieder ausgegebene Geld sollte der wirtschaftlich darniederliegenden Stadt zum Aufschwung verhelfen, neben der offiziellen Währung existieren und – sukzessiv an Wert verlieren. Weder Aufschwung noch überhaupt das ganze System kam richtig in Gang, trotzdem folgten dem Bremer Beispiel andere offensichtlich dem Gemeinwohl verpflichtete Idealisten und versuchten sich an einer Belebung der Wirtschaft in ihren Kommunen durch „Schwundgeld". In Prien am Chiemsee handelt man nun also mit dem „Chiemgauer", in Gießen mit dem „Justus" oder in der Gegend um Bad Oldesloe mit dem „Kannwas". Etwa 50 Initiativen gibt es in Deutschland, die ähnlich geartete Regionalwährungen oder anders gesagt „Regiogeld" einführen möchten. In Kürze soll der „Berliner" (immerhin schon mal im Prenzlauer Berg) in Umlauf gebracht werden.

„Regiogeld soll nicht das gesetzliche Zahlungsmittel ersetzen, sondern ergänzen", sagen die Initiatoren etwa des „Berliner" und erfüllen damit den Tatbestand eines Stifters von sogenannten Komplementärwährungen. Die Zahl der Komplementärwährungen ­ unter ihnen nicht nur Regiogeld, sondern auch die Verrechnungssysteme der Tauschringe ­ steigt rasant: 1990 gab es weltweit nurmehr ca. 100 von ihnen, im vorigen Jahr waren es geschätzte 4000.

Zwar hatte der Deutsch-Argentinier Silvio Gesell nie die Einführung einer Komplementärwährung im Sinn, aber vieles, was im Programm der Regiogeld-Initiativen steht, läßt sich auf sein Konzept der Freiwirtschaft zurückführen. In seinem 1916 erschienenen Buch Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld beschreibt der libertäre Sozialreformer das Zinssystem und die damit verbundene Spekulation als das Grundübel der kapitalistischen Gesellschaft. Er imaginiert eine Gesellschaft, die frei von Zins und Zinseszins ist. Boden- und Geldbesitz, der Besitz an sich dürfe keinen Gewinn abwerfen. Das Geld solle statt als Spekulationsobjekt als reines Tauschmittel fungieren, das verfällt ­ oder nach Gesell „rostet" ­ wie die dafür eingetauschten Waren. Das Geld müsse wie ein Apfel, der irgendwann fault, an Wert verlieren. Sein Vorschlag: die Einführung eines Geldes, dessen Wert monatlich um 0,5 Prozent fällt. Gegen eine entsprechende Gebühr, eben diese 0,5 Prozent, sollten die Scheine wieder ihren eigentlichen Nennwert erhalten. Auf diese Weise glaubte er, einen schnellen und wirtschaftsbefördernden Geldumlauf in Gang zu bringen ­ eben weil niemand interessiert sein kann, eine für jegliche Spekulation untaugliche Währung zu horten: Das Zeug ist Scheiße, schnell weg damit.

Gesell selbst hat eigentlich nichts zur praktischen Umsetzung seiner Ideen beitragen können; als Zwei-Wochen-Finanzminister der Münchner Räterepublik 1919 war ihm auch kaum die Zeit dafür gegeben. In den zwanziger Jahren gab es allerdings einige Vereinigungen von Freiwirten, die Gesells Theorie zu verwirklichen suchten. So gründete sich 1929 die Wära-Tauschgesellschaft in Erfurt, die an ihre Mitglieder Wära-Tauschbons ausgab ­ damals als Notgeld deklariert und eine Art Komplementärwährung mit negativem Zins (ganz so, wie sich heute die Regiogelder präsentieren). Gesell beteiligte sich jedoch nicht an der Wära-Aktion, mit der man „in der kapitalistischen Wüste" vergeblich „kleine Oasen wirtschaftlicher Gerechtigkeit" zu schaffen versuchte.

Gesell starb 1930. Und bekam deshalb ein Freigeld-Experiment nicht mit, daß von seinen Anhängern später gern und immer wieder für die Richtigkeit seiner Thesen angeführt wurde: Wörgl, eine 4200 Einwohner zählende österreichische Marktgemeinde, war als Bahnverkehrsknotenpunkt von den Folgen der Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen, im Frühjahr 1932 gab es rund 400 Arbeitslose, die Verschuldung der Gemeinde belief sich auf über 1,3 Millionen Schilling. Um der katastrophalen Lage Herr zu werden, entwickelte der Wörgler Bürgermeister Unterguggenberger, im Wissen um die Gesellsche Theorie und die Unternehmungen der Wära-Tauschgesellschaft, ein Nothilfeprogramm, in dessen Rahmen es zur Ausgabe sogenannter Arbeitsberechtigungsscheine kam. Die Scheine im Wert von einem, fünf und zehn Schilling funktionierten nach dem Prinzip des Freigelds: Die monatliche Entwertung um ein Prozent des Nennwerts, welcher durch den Kauf einer Klebemarke wiederhergestellt werden konnte, sicherte den raschen Umlauf. Beim Rücktausch der Scheine in Schilling mußte man eine Gebühr von zwei Prozent als „Arbeitbeschaffungsbetrag" entrichten. Die Gewinne stellte die Gemeinde einem Armenfonds zur Verfügung. Das Wirtschaftsleben in Wörgl erholte sich zusehends: Die Arbeitslosenzahlen sanken um 25 Prozent (während sie anderswo in Österreich um etwa denselben Prozentsatz stiegen), verschiedene Bauvorhaben konnten in die Tat umgesetzt werden. Das Experiment lief dreizehn Monate, bis die Österreichische Nationalbank die Ausgabe des Ersatzgeldes im September 1933 verbot (wie auch schon ein Jahr zuvor in Deutschland die Wära-Tauschbons aus dem Verkehr gezogen worden waren).

Die Wörgler Selbsthilfeaktion erregte großes, auch internationales Aufsehen. In Österreich beabsichtigten 200 Gemeinden, das Wörgler Modell zu kopieren, nach dem Verbot durch die Nationalbank ließen sie jedoch davon ab. Es gab andere, kleinere Versuche, Schwundgeld zu etablieren, z.B. in der Schweiz, in Frankreich, in den USA. Sie verliefen aber allesamt weitaus weniger erfolgreich als das Wörgler Vorbild und wurden bald eingestellt. Lange Zeit war die Schwundgeldtheorie aus dem öffentlichen Bewußtsein geschwunden und nur in kleineren Zusammenhängen von Bedeutung, wie etwa bei der nach freiwirtschaftlichen Prinzipien arbeitenden WIR-Bank in der Schweiz, die seit 1936 besteht und heute 60000 Mitglieder hat; erst in letzter Zeit wurden die Freigeld-Ideen sozusagen wiederentdeckt.

1993 gab es im Prenzlauer Berg ein von großem Medieninteresse begleitetes Kunstspektakel, das den Schwundgeld-Gedanken wiederaufnahm, jedoch weniger als Freigeld-Experiment zu verstehen war denn als symbolische Aktion, die auf die Auswüchse der kapitalistischen Zinswirtschaft hinzuweisen gedachte. Eine „Dezentralbank" in der Oderberger Straße gab für den Zeitraum von sieben Wochen im Verhältnis von 1:1 zur D-Mark „Knochengeld" aus, das wöchentlich um fünf Prozent an Wert verlor. Mit den Scheinen, von Künstlern wie etwa A. R. Penck oder Klaus Staeck als Unikate gestaltet, konnte man in etwa zwei Dutzend Geschäften im Kiez einkaufen. Die Aktion entwickelte jedoch eine voraussehbare Eigendynamik: Nur ein Viertel der Knochen kam tatsächlich in Umlauf, weil viele der Besitzer die Scheine zurückhielten, nicht zu Unrecht darauf spekulierend, daß der Wert der Kunstobjekte steigen würde. Mithin funktionierte die Knochengeld-Aktion also auch als eine Geldbeschaffungsmaßnahme für Künstler.

Die Regiogeld-Initiativen beziehen sich in ihren Grundsatzerklärungen natürlich nicht auf die Knochengeld-Aktion ­ die wenigstens zum Teil von einem antikapitalistischen Impetus getragen wurde ­, vielmehr nennen sie verschiedentlich Wörgl als Vorbild. Der Vergleich der heutigen Regionalwährungen mit den Freigeld-Experimenten der dreißiger Jahre fällt jedoch schwer. Seinerzeit herrschte Deflation, Geld (etwa über Kredite) „war damals nicht einmal, wenn man ein Konto bei der Sparkasse oder bei der Bank hatte, von diesen Institutionen zu bekommen", wie einer der Gründer der Wära-Tauschgesellschaft anmerkte. Das ist heute so nicht der Fall.

Überhaupt erscheint merkwürdig, daß das Komplementärwährungsexperiment in einer reichen, vom Tourismus lebenden Region wie der um die Kleinststadt Prien am Chiemsee offensichtlich recht gut funktioniert, in einer kriselnden Großstadt wie Bremen hingegen nicht. Es erhebt sich die Frage, ob Regiogeld, statt die Wirtschaft in ökonomisch schwächelnden Regionen „nachhaltig anzukurbeln", nicht zum bloßen touristischen Souvenir verkommt.

Roland Abbiate

 
 
 
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