Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
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Eine Regionalwährung für Prenzlauer Berg

Regelmäßig kurz vor Weihnachten fordern uns Zeitungsartikel und Politikerreden mehr oder weniger subtil dazu auf, endlich die heimische Wirtschaft anzukurbeln und so viele Waren zu kaufen, wie unser Bankkonto es zuläßt. Offenbar mit wenig Erfolg, klagen die Einzelhändler doch jedes Jahr über sinkenden Umsatz. Um diesem Mißstand entgegenzuwirken, besinnt sich der Verein „Berliner Regional – Verein für nachhaltiges Wirtschaften" auf das altehrwürdige Motto „Global denken, lokal handeln" und versucht, zunächst vor der eigenen Haustür der Wirtschaft auf die Füße zu helfen.

Wichtigstes Instrument dabei ist der „Berliner", ein Wertgutschein, mit dem man ausschließlich in der Region Berlin-Brandenburg ­ für den Anfang nur in Prenzlauer Berg ­ in den teilnehmenden Stadtteilgeschäften und auf Märkten einkaufen kann. Wer in den Verein eintritt, kann entweder per Abonnement oder in einigen Wechselstellen im Kiez ­ zum Beispiel im Tourist Information Center in der Kulturbrauerei ­ „Berliner" erwerben. Ein „Berliner" entspricht einem Euro. Ab einer Tauschsumme von 50 Euro bekommt man einen Bonus von zwei Prozent. Damit wir das Geld aber nicht ­ wie angeblich zu viele Euros ­ auf Konten oder gar in Sparstrümpfen horten, ist der Gutschein nur ein halbes Jahr gültig. Ist dessen Gültigkeit abgelaufen, kann man ihn zwar gegen neue „Berliner" eintauschen, muß dann aber wieder zwei Prozent Gebühr abdrücken und verliert damit den Bonus. Ziel ist also, daß wir die Kohle möglichst bald unter die Leute bringen. Was zunächst wie ein lustiges Spiel anmutet ­ daß nämlich alle Vereinsmitglieder versuchen werden, sich gegenseitig die ältesten Gutscheine zuzuschustern ­, ist durchaus gewollt. Natürlich darf man jederzeit aus dem Spiel aussteigen, muß aber beim Rücktausch der „Berliner" in Euro gleich fünf Prozent Gebühr zahlen, von denen drei Prozent gemeinnützigen Vereinen in Prenzlauer Berg zugute kommen. Die anderen zwei Prozent dienen der Finanzierung des Projektes.

Finanziert und unterstützt wird das Netzwerk unter anderem von der Grünen Liga, der Projektagentur Zukunftsfähiges Berlin am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und von 20 bis 30 Aktiven, die jeweils eine kleine Bürgschaft übernommen haben. Mehr als 20 in Prenzlauer Berg ansässige Händler haben bereits schriftlich ihre Teilnahme angekündigt, darunter IT-Dienstleister, Kneipen und Restaurants, Künstler und die Ökofutter-Kette Bio-Frische-Markt. Zu den gemeinnützigen Vereinen, die vom Erlös des Rücktausches profitieren sollen, gehören bisher die Grüne Liga und das Kinderkulturprojekt „Kolle 37". Und worauf die Initiatoren besonders stolz sind: Gedruckt werden sollen die „Berliner" in der Bundesdruckerei, um die Fälschungssicherheit zu gewährleisten, auch wenn die Gutscheine nur ein, fünf bzw. zehn Euro wert sind. Als weitere vertrauensbildende Maßnahme versichert der Verein, bei jedem Kauf eines Gutscheines den Gegenwert in Euro auf einem Treuhandkonto zu verwahren, so daß selbst im Falle eines Scheiterns des Projektes alle Teilnehmer wieder ausgezahlt werden können. An den Start gehen soll das Projekt, sobald die Bundesdruckerei die Zeit findet, die Gutscheine herzustellen.

Auf den ersten Blick erscheint die Einführung einer Regionalwährung in Prenzlauer Berg wie eines der vielen Projekte, die verarmende Stadtteile auch für Gewerbe wieder attraktiv machen wollen. Im Konzeptpapier des „Berliner Regional" ist von Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen gegen globale Handels- und Dienstleistungsketten die Rede, von Kundenbindung, von möglicher Effizienzsteigerung durch gemeinsames Marketing, von einer „nachhaltigen Unterstützung regionaler Wertschöpfungsketten". Und natürlich von Ökologie, sollen die Waren doch nicht erst um den ganzen Globus nach Prenzlauer Berg gekarrt, sondern vor Ort oder zumindest in Brandenburg produziert werden.

Doch fragt man Gerhard Bächer, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, man hätte es mit einem kleinen antikapitalistischen Verschwörerkreis zu tun. Für Bächer ist klar, daß das Geldsystem grundlegend reformiert werden muß, wollen wir den bevorstehenden Zusammenbruch unseres Gemeinwesens abwenden. Er hält nicht die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch Wirtschaftsbosse oder die Korruption der Politiker für die Hauptursache der kapitalistischen Krise, sondern das Zinssystem. Solange diejenigen, die weniger Geld haben, bei denen zahlen müssen, die davon zu viel haben, wird die Umverteilung von Arm zu Reich nicht aufhören. Solange das Wirtschaftswachstum genauso wie die Zinsrate exponentiell steigen muß, ist kein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften möglich und werden Inflationen an der Tagesordnung stehen. Zwar soll der „Berliner" nur eine Ergänzung zum Euro sein ­ will man doch weder den Export noch den Import lahmlegen ­, doch eine Ausweitung ist erwünscht; es müssen sich in anderen Stadtteilen nur Gruppen finden, die die Organisation und den Vertrieb der Gutscheine übernehmen. Bächer träumt sogar davon, daß irgendwann die kommunalen Steuern in „Berlinern" gezahlt werden. Und daß die Menschen wieder in unmittelbaren Kontakt treten beim Austausch von Waren, daß sie ­ jedes Mal, wenn sie einen Gutschein ausgeben ­ darüber nachdenken, was sie einkaufen: regionale Produkte aus ökologischem Anbau oder die Massenwaren der Global Player. Und sollten mit dem „Berliner" möglichst nur noch in Brandenburg und Berlin hergestellte Produkte erworben werden, könnten wir auch mal erfahren, wie wir ohne die Ausbeutung der Dritten Welt überlebensfähig sind.

Ob die Initiative wirklich zu einer umfassenden Korrektur der heutigen Marktwirtschaft beitragen kann, darf jedoch bezweifelt werden. Jedem Händler ist es freigestellt, dem Verein beizutreten und die Gutscheine als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Wieviele Unternehmen den organisatorischen Aufwand tatsächlich auf sich nehmen, bleibt abzuwarten. Dafür müssen sie zunächst überlegen, ob sie das Wechselgeld beim Kauf mit den Gutscheinen in harten Euros herausgeben. Für die entgegengenommenen „Berliner" müssen sie später immerhin eine Umtauschgebühr entrichten, da sie ihre Steuern und die Waren beim Großhändler weiterhin in dem gesetzlichen Zahlungsmittel zu entrichten haben. Und sollten gar große Drogerieketten, die bisher nicht gerade für ihr soziales und ökologisches Engagement berühmt sind, auf die Idee kommen, durch Beitritt in den Verein „Berliner Regional" ihr Image aufzubessern, wird es auch schon vorbei sein mit dem hehren Anspruch, regional produzierte Waren gegenüber den importieren Massenprodukten zu bevorzugen. Denn ob wir mit dem „Berliner" Bio-Eier aus Brandenburg oder Coca Cola einkaufen, kann der Verein nicht steuern.

Die Hauptschwierigkeit für den „Berliner" wird allerdings sein, daß die Kaufkraft in diesem Lande nicht nur deswegen rückläufig ist, weil die Leute angesichts verständlicher Existenzsorgen ihr Geld in private Rentenfonds anlegen oder auf Sparkonten horten, sondern daß sie schlicht viel weniger davon zur Verfügung haben. Und daran kann auch eine Regionalwährung nichts ändern. So ist der „Berliner" wohl an diejenigen adressiert, die so viel Geld übrig haben, daß sie sich überhaupt den Luxus leisten können, beim Konsum soziale und ökologische Aspekte zu reflektieren. Daß in Berlin noch genügend solcher Menschen wohnen, die die Initiative von „Berliner Regional" langfristig zum Erfolg führen kann, muß mit anderen Mitteln sichergestellt werden.

Katrin Scharnweber

Informationen unter www.berliner-regional.de

 
 
 
Ausgabe 10 - 2004 © scheinschlag 2004/2005