Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Expansion in Zeiten der Stagnation

Z.B. Wien: Bauboom auf Kosten der Allgemeinheit

Das traditionell sozialdemokratische Wien stellt seine Stadtentwicklung seit der Ostöffnung in den Dienst potentieller Großinvestoren, um im Standortwettbewerb mit Warschau, Prag und Budapest zu punkten. Die klassischen Ziele einer sozialen und demokratischen Stadtplanung bleiben dabei auf der Strecke.

Kaum ein Entwicklungskonzept oder Strategiepapier hat seit Mitte der neunziger Jahre das Stadtplanungsamt verlassen, in dem Wien nicht vorrangig als Wirtschaftsstandort bezeichnet wurde, den es mit allen Mitteln zu sichern gelte. Vorrang wurde dabei sogenannten Großprojekten eingeräumt – ungeachtet ihrer Stadtverträglichkeit: Die Politik rechtfertigt dies mit der Hoffnung, einige „Hot Spots" würden die gesamte Stadt- und Wirtschaftsentwicklung ankurbeln. Daß Investoren, die am Stadtrand Einkaufszentren eröffnen dürfen, aber alles andere als Stützen der Wiener Wirtschaft sind, sollte mit einem Blick auf den Niedergang des städtischen Einzelhandels ebenso klar sein wie der Umstand, daß in peripheren Lagen errichtete Bürotürme zwar Platz für neue Jobs bieten, diese aber nicht zwangsläufig auch schaffen.

Quantität statt Qualität

2,4 Millionen Quadratmeter Büroflächen sind in den vergangenen zehn Jahren in Wien entstanden, und bis 2005 werden noch weitere 800000 Quadratmeter neuer Büros fertiggestellt ­ vorrangig in Form sogenannter Großprojekte. Auch die Zahl der Shopping Center ist weiter im Steigen begriffen ­ Österreich liegt beim Vergleich von Einzelhandelsfläche pro Einwohner im europäischen Spitzenfeld, deutlich vor Deutschland. Dabei haben sich Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum auch hierzulande bei äußerst bescheidenen Werten eingependelt, woran selbst die bevorstehende EU-Erweiterung mittelfristig nicht viel ändern dürfte.

Anstatt in Zeiten der Stagnation aber eher auf Qualitätssteigerung (Stichworte Bürgerbeteiligung, Stadterneuerung, Verkehrsberuhigung, städtische Grünflächen etc.) als auf Expansion zu setzen, werden immer neue Entwicklungszonen für die derzeit unausgelastete – und traditionell politiknahe – Bauwirtschaft geschaffen. Welchen Sinn aber macht es für die Stadt, noch weitere Standorte zu erschließen, wenn bereits erschlossenes Bauland brachliegt? Welcher öffentliche Nutzen rechtfertigt die immensen Kosten der Allgemeinheit für die infrastrukturelle Nachrüstung oft abgelegener Bauprojekte? Und wie fügen sich die erwähnten Großbauten in die bestehende bzw. gewünschte Stadtstruktur ein?

Daß private Projektentwickler keineswegs so rational und erfolgreich agieren, daß die Stadt Wien ihre Entwicklung in deren Hände legen sollte, zeigt das Beispiel des Florido Tower im 21. Bezirk. Eine Mischung aus zweitklassiger Architektur, mangelndem städtischen Umfeld und fehlender Direktanbindung durch den öffentlichen Verkehr läßt den Büroturm seit seiner Fertigstellung 2001 mehrheitlich leer stehen. Nichtsdestotrotz ist der Bauträger des Hochhauses, der Baukonzern Porr, soeben dabei, weitere Türme unter ähnlichen Voraussetzungen am Laaer Berg im Süden Wiens zu errichten. Der Unterschied mag darin liegen, daß das Grundstück hier bereits im Besitz des Investors war ­ und die Entwicklung des bis vor kurzem als Betriebsgelände dienenden Areals zu einem neuen Stadtteil eine Versilberung des abgelegenen Standorts bedeutet.

Daß der „Monte Laa" durch die Stadtautobahn A 23 durchschnitten wird, tat dem Projekt keinen Abbruch: Die meistbefahrene Straße Österreichs wurde auf einer Länge von 220 Metern einfach überplattet, um darüber nun 4000 Büroarbeitsplätze und, wie es heißt, „1000 Wohnungen im Grünen für Familien mit Kindern" zu schaffen – mit Mitteln der kommunalen Wohnungsbauförderung. Nicht nur aus stadtstruktureller und -ökologischer Sicht, auch aus verkehrsplanerischer Perspektive ist das Großprojekt äußerst bedenklich, zumal es für die schon jetzt permanent überlastete A 23 noch 10000 tägliche Autofahrten mehr bedeuten wird.

Geringfügige Abweichungen

Die Praxis zeigt, daß Wiens willfährige Planungspolitik nur selten den erhofften Investor aus dem Ausland ködert, der dann tatsächlich auch Geld in die Stadt pumpt. In der Regel sind es lokale Größen mit ausgezeichneten Kontakten ins Rathaus, die auf Kosten der Allgemeinheit immense Flächenwidmungsgewinne lukrieren ­ teils auch unter öffentlich tolerierter Umgehung sämtlicher Planungs- und Bauauflagen. So wurde der Millennium Tower in Wiens 20. Bezirk ursprünglich mit 120 Metern Höhe genehmigt. Daß es im Endeffekt 202 Meter geworden sind, ist nicht mehr auf die großzügige Auslegung der Wiener Bauordnung allein zurückzuführen (die in §69 „geringfügige Abweichungen" von der zulässigen Bauhöhe erlaubt) ­ zumal der Bauträger im Sockelbereich von Österreichs höchstem Gebäude auch noch ein ausgedehntes Einkaufszentrum ohne Bewilligung realisieren konnte.

Man muß den Millennium Tower vielmehr als Ergebnis völligen Politikversagens oder aber von Korruption sehen ­ und die Sonntagsreden über „Public-Private-Partnership" zwischen der Stadt Wien und den Betreibern von Großprojekten als leere Worthülsen abtun: Die Errichtung der neuen U- und S-Bahnstation unmittelbar neben dem Millennium Tower kostete den Eigentümer des Wolkenkratzers keinen Cent. Auffallend ist an nahezu allen Großprojekten, daß etablierte Stararchitekten vor den Karren der Bauträger gespannt werden: Zum einen, um bei Planungsbehörden leichter die gewünschten Genehmigungen zu erhalten. Zum anderen, um die Namen der prominenten Baukünstler zu vermarkten. Oft bleiben diese neuen Zentren aber dennoch halb leer, da es einzig und allein darum ging, überschüssiges Kapital internationaler Investment- und Pensionsfonds zu verbauen.

Fotomontage: Stadt Wien/urban-FILTER.com

Die politische Rechtfertigung, durch die massive Verdichtung dieser Projekte knappes städtisches Bauland sparen zu wollen, ist mit einem Blick auf die Wiener Bodenpolitik zu entkräften. Das Stadtgebiet verfügt seit dem frühen 20. Jahrhundert über ausgedehnte Kleingartenanlagen, die ursprünglich von der Kommune an Kleingartenvereine verpachtet wurden und ­ gemäß ihrer Nutzung ­ als Grün- und Erholungsflächen galten. Durch die sukzessive Ausdehnung Wiens wurden manche dieser Standorte mit der Zeit zu attraktiven Hoffnungsgebieten der Stadtentwicklung, deren konzertierte Bebauung nach Ablauf der Pachtverträge problemlos möglich gewesen wäre. Mitte der neunziger Jahre aber verkaufte die Stadt Wien ­ wohl aus wahltaktischen Überlegungen ­ Tausende dieser Parzellen zu günstigsten Konditionen an die jeweiligen Pächter und erteilte ihnen obendrein das Baurecht. Die einst charakteristischen Gartenlauben weichen seither mit Wohnungsbauförderung errichteten Einfamilienhäusern von zweifelhafter Gestaltqualität. Zudem fehlt diesen Siedlungen jegliche Ausstattung ­ von Kindergärten und Schulen über öffentlichen Verkehr bis hin zu Parkplätzen und Kanalisation.

Schnell ins Grüne

Daß stadtplanerische Fehlentwicklungen immer wieder auch auf parteipolitische Interessen zurückzuführen sind, zeigt auch ein anderes Beispiel: Selbst für Planungsbeamte im Rathaus war es nicht nachvollziehbar, als die traditionell alleinregierenden Sozialdemokraten vor kurzem eine Verlängerung der U-Bahn-Linie 6 ­ über den Heurigenort Stammersdorf hinaus ­ bis in die Weingärten am nördlichen Stadtrand beschlossen. Der politisch verantwortliche Planungs- und Verkehrsstadtrat räumte zwar ein, daß es für einen ökonomischen Betrieb dieses Teilstücks rund 30000 zusätzliche Bewohner im (roten) Bezirk Floridsdorf bräuchte. Wenn die Bundesregierung aber wie bisher die Hälfte der U-Bahn-Errichtungskosten übernehmen sollte, wird die U-Bahn zur Freude der Floridsdorfer Parteigenossen und einiger großer Baukonzerne wohl dennoch in Angriff genommen.

Bei der geplanten Südverlängerung der U1 wiederum steht der U-Bahn-Bau in klarem Widerspruch zu allen übergeordneten stadtplanerischen Grundsätzen, die der Gemeinderat in den vergangenen Jahren beschlossen hat. Bis in ein Grüngebiet, das bis vor kurzem noch als ein Herzstück des Wiener Wald- und Wiesengürtels galt, soll die U1 künftig führen. Mit dem bereits begonnenen Bau der S1 ­ jener umstrittenen Schnellstraße, die den Transitverkehr um Wien herumführen soll ­ erhalten die abgelegenen Felder am südlichen Stadtrand also in den nächsten Jahren eine hochrangige Verkehrserschließung, wodurch der Stadtrand zwangsläufig zum El Dorado wird.

Solche öffentlichen Vorleistungen im billigen Grünland rufen natürlich Grundstück- und Immobilienspekulanten auf den Plan. Schon gibt es Pläne für ein großes Shopping- und Entertainment-Center samt Fußballarena am künftigen Knotenpunkt von U1 und S1. Dieses würde nicht nur die bestehenden Einkaufszentren im Wiener Speckgürtel in den Schatten stellen, sondern wohl auch das endgültige Aus für zahlreiche innerstädtische Geschäftsstraßen bedeuten. Schließlich drohen die zu erwartenden Pkw-Kolonnen den ohnehin schon überlasteten Südraum Wiens vollends im Verkehr zu ersticken ­ neue Transitumfahrung hin oder her. Das vermeintliche Umwelt-Musterland Österreich liegt unter allen EU-Staaten hinsichtlich der Erfüllung der Kyoto-Ziele zur CO2-Reduktion an vorletzter Stelle. Und auch in Wien haben die emittierten Treibhausgase (vor allem des Autoverkehrs) trotz aller Beteuerungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung bislang nicht ab-, sondern zugenommen.

Durch die Erschließung neuer peripherer Standorte untergräbt die Stadt Wien nicht zuletzt die wünschenswerte Folgenutzung ihrer großen innerstädtischen Brachen, die seit Jahrzehnten wie Wunden im dichtbebauten Stadtkörper klaffen. Selbst wenn es für diese Areale – ob ehemaliger Nordbahnhof, Nordwestbahnhof oder die Aspanggründe – teils schon seit Jahren fertige Bebauungskonzepte gibt und im Umfeld U- oder S-Bahn-Anschlüsse bestehen. Angesichts des nun auch in Wien abflachenden Baubooms, vor dem Hintergrund wachsender Büroleerstandsraten sowie stagnierender Wirtschafts- und Bevölkerungsdaten werden diese zentrumsnahen Entwicklungsgebiete wohl noch länger ihrer Urbanisierung harren.

Reinhard Seiß

> Der Autor ist Stadtplaner und Publizist in Wien.

 
 
 
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