Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das jeanstragende Land an sich

Eine Konferenz über amerikanische Kultur

in der DDR im Literaturforum

Im Schaufenster des Brecht-Hauses an der Chausseestraße leuchtete dieser Tage eine weiße Mickeymousehand auf knallrotem Grund. Sie drückt eine kräftige, gelbe Arbeiterhand ­ Bruderbund oder Würgegriff? Die farbenprächtige Doppelkarte lädt zur Konferenz „Jeans, Rock und Vietnam, Amerikanische Kultur in der DDR" ein. An vier Abenden versuchte man sich im Literaturforum in der Klärung offener Fragen. Welche Amerikabilder existierten überhaupt in der DDR? Was trieb die Jugend um und welche Bücher las man?

Die USA lösten nach '45 den Faschismus als Feindbild ab. Die DDR verpönte die amerikanische Kultur, den Jazz, die Petticoats, Niethosen, Texashemden und Schuhe mit Kreppsohlen. An den Schulen fanden sogenannte „Schund-und Schmutzkontrollen" statt, bei denen Mickeymousehefte konfisziert wurden. Verbleib unklar. Amerikanische Serien wie Bonanza und in den achtziger Jahren Dallas wurden in breitem Maße konsumiert.

1983 kreierte die Rockband Pankow ihren Song „Rock ´n´ roll im Stadtpark". Die DDR hatte sogar ein eigenes Woodstock! 1971 lagerten auf einer Festwiese vor Crimmitschau tausende Ostjeansträger und sangen amerikanische Lieder.

Auch das DDR-Design hatte transatlantische Vorbilder. Dem Ford Echsel der fünfziger Jahre entlehnten die Erfinder des Trabants die Haifischflosse und ließen sie an der „Pappe" zum „Heringsschwanz" mutieren. Ein Unikum des DDR-Freizeitsdesigns stellte die „Hollywoodschaukel" dar, eine Kreuzung uramerikanischer Elemente ­ Hängematte und Schaukelstuhl.

Und wie hielt der Western Einzug ins Theater? Benno Besson ließ 1964 am Deutschen Theater den Lanzelot seiner Drachen-Inszenierung als Westernhelden auftreten. Damit kritisierte er auf abstrakte Weise die amerikanische Kultur, aber mehr noch die „DDR-Leute, die sich demütigen und erniedrigen ließen", so der Theaterwissenschaftler Fiebach. Und wie war das eigentlich mit der Jeans? Bei Amtsantritt kaufte Erich Honecker für 1 Million Westmark (!) Originaljeans aus Westdeutschland ein, die kontingiert über Betriebe abgesetzt wurden. Mitte der siebziger Jahre begann die eigene Produktion von Boxer oder Wisentjeans. Zu der Frage „Jeans in DEFA Filmen" sah Karen Kramer so viele DEFA Filme, daß sie „fast blind geworden" sei! Ihre interessante Analyse (immer auf das Gesäßteil der Protagonisten in DEFA Filmen schielend) ergab, daß im Film Berlin um die Ecke erstmals eine Jeans (deutlich) gezeigt wurde; das war 1965. In Für die Liebe zu mager schimpft der langhaarige Klempner sogar über seine zerrissene Jeans: „Mensch, das war ne Levis!" Plenzdorf formulierte in Die neuen Leiden des jungen W. das Credo einer Generation: „Jeans sind eine Einstellung und keine Hose". Kramer befindet, daß die DDR in Zukunft als das jeanstragende Land an sich gesehen werden muß. Das Publikum amüsierte sich und stimmte zu, es gab wenig Widerspruch. Man half sich beim Zusammenbau eines großen Puzzles. Ja, so war's.

Kathrin Hirschmann

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