Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Von offenen und geschlossenen Räumen

Damals war der Weltraum – aus gesamtdeutscher Sicht – klar aufgeteilt: Während im westdeutschen Fernsehen die Raumpatrouille Orion Frogs vertrieb und der draufgängerische Kommandant Allister McLane die Erde ein ums andere Mal rettete, lagen die Aufgaben der DDR-TV-Kosmonauten eher in der Weiterentwicklung des sozialistischen Menschen in Raum und Zeit. Schnöde Weltraumaction und einzelgängerisches Heldentum waren nicht angesagt. Kosmos! (All Score), eine Zusammenstellung von Filmmusik aus DDR-Science-Fiction-Filmen zeigt, daß die DEFA-Kosmonauten auch musikalisch mutig voranschritten. Mit geradezu schwereloser Leichtigkeit wird die Tonspur bei frühen Filmen der sechziger und siebziger Jahre mit experimentellem Orchester-Frühelektronikgeräusch belegt. Spätere Filme, wie Staub der Sterne von 1976, werden hingegen mit der gesamtkosmischen Musik von psychedelischem Choreinsatz bis zu Beatgitarre und Weltraumwalzer unterlegt. Daß die Zukunft es auch im Sozialismus nicht immer leicht gehabt hat, zeigen mehrere Bonustracks: Spaciger Deutschrock beispielsweise von der „Stern Combo Meißen" mit der zweifelhaften Qualität, auch auf der Erde eine Art von Weltraumfieber auszulösen.

Eine wesentlich realere Aufteilung thematisiert eine Mini-CD von Ultra Red. La Economica Nueva – Operation Gatekeeper (Hausmusik) ist die Soundcollage einer Demonstration an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, die zu den bestgesicherten Grenzen weltweit gehört. Während Kapital und Güter dank der NAFTA, dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen, frei fließen können, bleibt die militärisch gesicherte Grenze für die meisten Mexikaner unüberwindbar.

Die Frage, wie man die Demonstration anläßlich des Menschenrechtstages musikalisch dokumentieren kann, haben Ultra Red konsequent gelöst: Einerseits setzen sie auf Schnipsel aus den Reden und Interviews, die sie an der Grenze aufgezeichnet haben und unterlegen diese mit minimalistischen elektronischen Beats. Gleichzeitig modulieren sie die verbalen Schnipsel so weit, daß diese selbst in der Musik verschwimmen und so die Trennung zwischen Wort und Musik auflösen.

Einer freiwilligen Abschottung haben sich dreizehn kanadische Musiker unterworfen: Unter dem Projekttitel Set Fire To Flames haben sie sich fünf Tage lang in ein Haus zurückgezogen und in diesem Material für eine CD aufgenommen. Dabei wurde das Gebäude selbst zu einem Klangkörper: Geräusche von der Straße, Quietschen der Türen, Knarren von Treppenstufen und Gespächsfetzen der Musiker wurden in die Aufnahme miteinbezogen. Herausgekommen ist dabei ein sehr reduzierter und elegischer Soundtrack, getragen von Gitarren, Geigen, Schlagzeug und einer unendlichen Anzahl von Samples. Aus über zwölf Stunden Material haben die Musiker dann schließlich 70 Minuten Ambient, Jazz und Krautrock herausdestilliert. So kryptisch wie der Titel Sings Reign Rebuilder (FatCat) erscheint auch das Ergebnis: Trotz aller scheinbaren Reduzierung ergibt sich ein vielschichtiges Hörspiel, das auch nach mehrmaligem Zuhören immer noch nicht voll erschlossen ist.

Marcus Peter

Websites zum Thema Grenzregime:

www.afsc.org/sandiego/brdr2k03.htm

www.resistmilitarization.org

www.actionla.org/border

www.nadir.org/nadir/kampagnen

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