Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Klassenkampf, neu aufgelegt

Der kurze Sommer der flachen Hierarchie

Die Organisation der Arbeit ist flexibler geworden, eine neue Gewerkschaftsarbeit muß adäquate Formen finden. Die Gewerkschaft FAU sieht im Anknüpfen an die Tradition der „Direkten Aktion" einen gangbaren Weg. Ein Interview mit den Aktivisten Sabine, Nadine, Arne, Peter und Frank (Namen geändert):

Was ist die Freie ArbeiterInnen Union (FAU)?

Arne: Die FAU ist der Versuch, in Deutsch- land wieder eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft aufzubauen. Es gab sie schon einmal in den zwanziger und dreißiger Jahren, als sie bis zu 150000 Mitglieder hatte. 1933 waren es noch ein paar tausend, als Krieg und Faschismus dieser Bewegung den Garaus gemacht haben. Sie wurde 1977 in Deutschland wiedergegründet und hat jetzt zirka 200 Mitglieder.

Wir beziehen uns auf die Traditionen des Anarchosyndikalismus beziehungsweise des revolutionären Syndikalismus, der Ende des vorletzten Jahrhunderts in Frankreich entstand. Die Geburtsstunde war die Gründung der CGT, die es heute noch gibt, aber jetzt eher kommunistisch orientiert ist. Es war eine Gewerkschaft für alle Arbeiter, alle Lohnabhängigen, sie war selbstorganisiert, hatte keinen großen bürokratischen Apparat, und sie praktizierte die Direkte Aktion. Das heißt, kollektiv und direkt seine Forderungen durchzusetzen und nicht über irgendwelche vermittelnden Instanzen zu gehen, wie zum Beispiel DGB-Gewerkschaften oder Parteien.

Welche Branchen versucht ihr als Kultursyndikat gewerkschaftlich zu organisieren?

Arne: Als relativ neue Branchengruppe innerhalb der FAU für den Kultur- und Medienbereich versuchen wir dort Menschen anzusprechen, die eine gewerkschaftliche Alternative zu ver.di suchen. Momentan sind Leute aus den Bereichen Spracharbeit, Kino, Film sowie Bühnenarbeit bei uns. Das ist die Ausgangsbasis. In diesen Bereichen haben wir individuelle Arbeitskämpfe geführt, die immer recht erfolgreich waren. Es gab unterschiedliche Stufen von Eskalation in diesen Arbeitskämpfen. Das Einfachste war, daß wir einen Brief geschrieben haben für eine Ticketverkäuferin, die schwarz angestellt war und die über ein Jahr auf ihren Lohn gewartet hat. Das hat schon gereicht, was uns selbst gewundert hat.

Ein problematischerer Fall war ein Übersetzer, der auch von einem Auftraggeber sein Geld nicht bekommen hat. Da hat das nicht gereicht, und wir sind direkt bei dem zu Hause aufgelaufen, zwei, drei Mal. Er hat auch bezahlt, weil wir diesen Fall in seiner Umgebung öffentlich gemacht und dadurch Druck erzeugt haben. Dieser Übersetzer ist eben selbständig und fällt damit aus dem Arbeitsrecht raus. Für uns war das ein Versuch, auch in solchen Beschäftigungsverhältnissen irgendwas zu reißen.

Sabine: Das ist gerade das Problem im Kultur- und Medienbereich, daß viele frei arbeiten und man dann keine Kollegen hat, mit denen man zusammen etwas organisieren kann. Wir probieren, trotzdem Druck zu erzeugen, um bei Arbeit- oder Auftraggebern unsere Rechte durchzusetzen.

Im Kultur- und Medienbereich haben die Beschäftigten die unterschiedlichsten rechtlichen Absicherungen. Ist es nicht schwierig, unter solchen Bedingungen an einem Strang zu ziehen?

Arne: Gemein ist uns, daß wir alle abhängig beschäftigt sind. Wir haben im Kultursyndikat einen Klassenstandpunkt und sagen, auch wenn die Beschäftigungsverhältnisse verschieden sind, haben wir trotzdem die Gemeinsamkeit, daß wir ausgebeutet werden und daß wir nicht so arbeiten können, wie wir wollen, weil es immer einen Chef oder eine Hierarchie gibt.

Aber es kann zum Beispiel passieren, daß du als Selbständiger arbeitest und Aufträge weiterverteilst. Wo ist dann der Klassenstandpunkt? Bist du dann Unternehmer oder bist du Arbeiter?

Arne: Bei uns ist die Grenze da, wo jemand andere fest anstellt, da wechselt er die Seiten. Obwohl diese Grenzen nicht einfach zu ziehen sind und es da auch Probleme gibt, auf die wir nicht immer eine Antwort haben. Aber gerade dadurch, daß man eine Praxis entwikkelt, kann man solche Grenzen ausloten.

Besonders in eurem Betätigungsfeld arbeiten viele nicht nur zum Geldverdienen, sondern auch, um sich selbstzuverwirklichen. Leute, die sich auf der Arbeit selbstverwirklichen wollen, sind eher bereit, schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Sind die für den Klassenkampf nicht verloren?

Arne: Das ist ein Problem, aber du hast auch in anderen Bereichen diesen Stolz, zum Beispiel in einem bestimmten Betrieb arbeiten zu dürfen. Das ist natürlich sehr ausgeprägt in dieser Branche, aber das gibt es auch woanders.

Peter: Wobei ich glaube, daß seit in der New Economy die Blase geplatzt ist, auch das Selbstverständnis dieser Bran- che anders wird. Da läßt sich eine andere Haltung bei einigen Angestellten beobachten. Seitdem ist klar geworden, daß dieses Abgehobene, auf irgendetwas Supermodernem zu schwimmen, was sowieso unantastbar ist und völlig anders funktioniert, dieses: „Wir setzen uns zusammen und klären die Sache mit dem Chef" nicht so richtig stimmt und daß die Strukturen genauso funktionieren, wie schon immer. Vorher war bloß das Geld da, und man konnte das von einer anderen Seite sehen.

Ihr formuliert einen großen Anspruch, wenn ihr euch an einer revolutionären Strömung der zwanziger Jahre orientiert mit 150000 Beteiligten. Gleichzeitig führt ihr relativ kleinteilige Kämpfe, um überhaupt agieren zu können. Habt ihr eine Idee, wie der Weg sein könnte, zu einer stärkeren Kraft zu werden?

Arne: Ich denke, daß das genau der Weg ist, über diese kleinen Kämpfe mehr Leute zu erreichen. Das Problem der Linken ist, daß sie irgendwelche abstrakten Kämpfe oder Kampagnen führt und dadurch nicht attraktiv wird für die Masse der Bevölkerung. Es ist natürlich schwieriger, in Betrieben was zu reißen oder in konkreten Fällen etwas auf die Beine zu stellen. Aber ich denke, daß das genau der Ansatzpunkt dafür ist, langsam wieder eine Bewegung aufzubauen, die diesem Kapitalismus Paroli bieten kann.

Frank: Was ich sowohl aus meinen früheren Erfahrungen in der autonomen Szene genauso wie jetzt bei den Anti-globalisierungsdemos weiß, ist, daß klare Strukturen fehlen. Bei diesen grossen Demos gibt es viel Spontanität, was erstmal gut ist. Es besteht aber die Gefahr, daß entweder alles verpufft, man wieder nach Hause geht und es bleibt wie vorher, oder daß sich einzelne Figuren an die Spitze der Bewegung stellen und am Ende etwas ganz anderes dabei rauskommt, als die Leute eigentlich wollten. Also ist es wichtig, wenn es zu einer Bewegung kommt, daß schon Strukturen da sind, die genutzt werden können.

Arne: Was wir bisher gemacht haben, waren individuelle Kämpfe, und wir haben geguckt, wie können wir etwas in einem größeren Bereich machen, über die individuellen Arbeitskämpfe hinausgehend, auch wenn wir wenige sind. Da ist beispielsweise die Idee, eine Kampagne zu machen für Kinoarbeiter: Das heißt, mit Öffentlichkeitsarbeit über die Konsumenten Druck auf die Kinos auszuüben. Nicht unbedingt aus den Kinos heraus, sondern von außen. Außerdem werden wir versuchen, über Fragebögen erstmal die Situation zu klären, die unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnisse und die unterschiedlichen Probleme, die da sind, um dann zu gukken, was man machen kann. Aber grundsätzlich denke ich schon, daß wir dahin kommen sollten, von außen über Konsumenten Druck zu machen, weil gerade in diesem Kultur- und Medienbereich die Außenwirkung absolut wichtig ist. Wenn man da kratzt, dann tut es weh.

Nadine: Es gibt in Frankreich eine ähnliche Gewerkschaft. Im Kulturbereich haben sie angefangen wie wir. Sie waren sehr wenige, aber sie haben Aktionen gemacht, wie ins Kino zu gehen, den Film zu stoppen und einfach mit dem Publikum zu sprechen. Sie haben Erfolg gehabt und Leute erreicht, auch durch Medien, und die haben gesehen, daß etwas im Kulturbereich passiert. So sind sie größer geworden.

Die alten anarchosyndikalistischen Gewerkschaften waren hauptsächlich in den Fabriken verankert. Heute ist die Arbeit dezentraler organisiert. Kommt euch das nicht entgegen?

Sabine: Die Leute haben kein Klassenbewußtsein mehr, weil sie sich sagen, es gibt kein Oben und Unten, deswegen kann ich auch nicht sagen, daß ich unten bin und mich organisieren muß. Das ist eine Meinung, auf die man oft stößt: „Ihr wollt Klassenkampf, aber es gibt doch keine Klassen mehr."

Arne: Aber ich denke, daß gerade diese neuen Arbeitsverhältnisse, wo sie einerseits ein Problem sind, auch eine Chance bieten für uns, weil die Leute nicht mehr über die klassischen Vermittlungsinstanzen gehen können, um ihre Rechte zu vertreten, wie Betriebsräte und so weiter. Die Chefs brauchen diese vermittelnden Instanzen nicht mehr, weil sie sowieso die Macht haben und es keine radikale Arbeiterbewegung gibt, die dem etwas entgegensetzen kann oder will. Diese neuen Arbeitsverhältnisse schreien geradezu nach direkten Aktionen, wo man unmittelbar seine Forderungen durchsetzt, und nach radikaleren Formen, sich zu organisieren, nach selbstorganisierten, dezentraleren und damit flexibleren Formen, wenn man so will. Auf der einen Seite hat man einen flexibleren Kapitalismus, dementsprechend müßte auch die Organisation der Arbeiter flexibler werden, um dem Paroli zu bieten.

Interview: Søren Jansen

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