Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
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Endzeit an der Eastside

Spaceclubs versus „webspace" ­ die Neuen Medien fressen ihre Standortfaktoren

Nun ist's soweit: Bot sich nächtlichen Kunden der BP-Tanke Mühlenstraße in Friedrichshain bis vor kurzem noch ein wildes Durcheinander junger Leute, teils schwarz in Lack und Leder, teils bunt bepuschelt und plateaubestelzt, andere wieder im Lederjacken-Turnschuh-Outfit, sich drängend nach Bier und Chips, nach Kippen und Kaffee, ist dies, zum Leidwesen der Tankstellenpächter, ein weiteres Stück Berliner Clubgeschichte. Die in der Umgebung gelegenen Etablissements, die für die nächtliche Kundschaft verantwortlich waren, gehen nämlich nach und nach den Weg aller Berliner Clubs: Sie weichen den Plänen der Stadtentwickler. Viele nicht das erste Mal: Das legendäre ehemalige Maria am Ostbahnhof ging aus dem mindestens ebenso legendären und ebenso ehemaligen Eimer in Mitte hervor, der nun wegen maroder Elektrik geschlossen und zum Einkaufszentrum umgebaut werden soll – wann auch immer. Zum Jahresanfang mußte nun auch das neue Domizil geräumt werden. Auch das (noch) in der Nähe befindliche Casino lockte schon einmal Investoren: Der frühere Standort in Prenzlauer Berg wird gerade zum Zentrum für „Neue Medien" ausgebaut. Das WMF in Mitte läßt grüßen. Dort kam einem tanzbegeisterten Wohlstandssöhnchen aus den Staaten nach ein paar Pillen die Vision eines Medienzentrums – offenbar blieb er mit dieser Idee nicht allein. „Für eine Zwischennutzung ist man gut, wenn aber Investoren kommen, wird man abgeschoben", klagt Bastian Fritz vom Casino und der Berliner Club Commission. Von der Vertretung der Clubs hört Bezirksbaustadtrat Schulz zum ersten Mal: Abgesehen vom Maria, für das er eine Galgenfrist heraushandeln konnte, sei keiner der Clubbetreiber an ihn herangetreten. „Von den meisten auf dem Gelände beÞndlichen Clubs erfahre ich nur aus der Zeitung", gibt er zu. Er habe durchaus Interesse, diese im Bezirk zu halten. Bastian Fritz hält dagegen: „Um heutzutage einen Club zu betreiben, muß man schon Geld reinstecken, das sich irgendwie amortisieren muß. Schade, wenn man dann bei den Planungen übergangen wird." Nun hofft er, den bis zum Jahr 2005 laufenden Mietvertrag durchsetzen zu können. Schlechter sieht es für das Ostgut nebst Panoramabar und lab.oratory aus: Zum Spätsommer soll dort planiert werden – obwohl der Mietvertrag bis Jahresende läuft. „So eine Halle finden wir doch nie wieder in Berlin", meint Micha vom Ostgut lakonisch.

Dies sind drei Beispiele für Läden, für die, ebenso wie für ihre ehemaligen Nachbarn NonTox, Razzle Dazzle und N.A.K.T. im Zentrum kein Platz mehr war. Hier, zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße, fanden sie Asyl. Doch nun holt das Zentrum sie ein, auch in dieser Ödnis. Anlaß des erneuten Exodus sind die Aktivitäten des amerikanischen Multimilliardärs Philip Anschutz. Eigener Auskunft nach (www.anschutz-investments.com) ist er Inhaber eines der größten US-Unternehmen in Privatbesitz, zu dem dutzende Firmen gehören, darunter auch zahlreiche Sportvereine wie z.B. der EHC Berliner Eisbären. Die sollen hier nun endlich ein angemessenes Stadion erhalten, eine wahrhaft amerikanisch dimensionierte Mehrzweckhalle mit 16000 Plätzen, in der an spielfreien Tagen Phil Collins auftreten kann. Das Ganze wird umkränzt von einer Performance Zone, was immer das sein soll. Vermutlich eine Suggestion öffentlichen Raums. 150 Millionen Euro läßt sich Anschutz seine erste Halle in Berlin kosten. Und damit sich das alles rechnet, wird für noch mal denselben Betrag „dichte Blockrandbebauung" geschaffen, der heiligen Dreifaltigkeit moderner Stadtprivatisierung (Wohnen – Einkaufen – Büros) folgend. Gemeinsam mit dem benachbarten Postareal werden über eine Million Quadratmeter Geschoßfläche entstehen (das ist mehr als am Potsdamer Platz). Da sind 240 Hektar Gesamtfläche schnell verplant, und richtig: Es darf ruhig ein Hochhaus mehr sein. Anschutz und Post planen insgesamt zehn davon, mit einer Traufhöhe von bis zu 150 Metern. Während Senatsbaudirektor Stimmann über „venezianische Optik" halluziniert, ist sein Bezirkskollege Schulz weniger begeistert: „Dieses Hochhausgewitter ist städtebaulich nicht vertretbar", meint er. Dumm nur, wenn Investoren an keine Auflagen gebunden sind – außer an die ihrer Bilanz.

Foto: Steffen Schuhmann

Auf dem ungünstig zwischen Bahndamm und Spree gelegenen Areal, das sich größtenteils in Post-, BSR- und Bahnbesitz befand, wird dann selbstredend kein Platz mehr sein für die vielzitierte Subkultur, die z.B. Universal Music in die wenige hundert Meter entfernten Spreespeicher gelockt hat. Gegenüber dem Stadtteilausschuß Kreuzberg gab sich Anschutz-Vertreter Murphy noch kumpelhaft: Die Clubs würden integriert, die Bautätigkeit sei für seinen Arbeitgeber eine Art Hobby. Doch ein Recht auf Hobbies scheint nicht jeder zu haben. Die Clubs jedenfalls erhielten kein Angebot für Parties im Penthouse. Dafür wird sich den erwarteten Medien-Yuppies auch aus den unteren Etagen der Blick auf die Spree öffnen, dafür sorgt der geplante East-Side-Gallery-Durchbruch ­ Mauerfall auf Amerikanisch sozusagen. Wen kümmert da der Denkmalschutz. Es sei denn, Axel Schultes' Entwurf „Spreesinus" für das Investorenkonsortium MediaSpree schiebt sich in die Sichtachse. Dafür müßte der Club Deli sein heutiges Quartier räumen. Auch die weitere Umgebung wird bereitet: Bald ist der Ostbahnhof dank der Mehdorn-Doktrin von Obdachlosen und ihren Unterstützern gesäubert ­ jüngst hat der Chef der Deutschen Bahn angekündigt, die ansässige Bahnhofsmission zu beseitigen. Der RAW-Tempel wird laut Bezirksamt „angemessen untergebracht", und die Oberbaum City steht bereits jetzt leer. Die Stadt Berlin, die sich so gerne als „Wasserstadt" in spe präsentiert ­ der Planungsbereich erstreckt sich längs der Spree von Ostkreuz bis Jannowitzbrücke ­ freut sich offenbar schon darauf, ihre Olympia-2000-Relikte Velodrom und Max-Schmeling-Halle angesichts der neuen Konkurrenz noch höher zu subventionieren. Der Bezirk hofft auf die 2 Millionen Arena-Besucher jährlich, die für einen rentablen Betrieb nötig sind, fürchtet allerdings zugleich ihre Autos. Und die Bahn schließlich verkauft in der ersten Euphorie schon mal Grundstücke, die ihr gar nicht gehören. Rechtmäßiger Eigentümer der „Osthafenmühle", die sie bereits an Anschutz veräußerte, war nicht sie, sondern die Osthafenmühlen-GmbH. Der Fall ist jetzt vor Gericht.

Bleibt zu hoffen, daß die verjagten Clubs Geduld und Glück bei der Suche nach neuen Räumen haben, in denen sie uns zum Tanzen bringen – unseren Stadtvätern zum Trotz. Im Falle des Maria dürfte der Name helfen, auch das NonTox hat gerüchteweise einen Standort auf der Stralauer Halbinsel gefunden – bis das Zentrum nachrückt und uns mit neuen Büros beglückt? Nun müssen wohl vorerst Discount-Discos wie die Kulturpanscherei die Rolle des Berliner „Subgrounds" übernehmen. Vielleicht reicht's ja, um Georg Gafron in der Stadt zu halten ...

micha w.

www.club-commission-berlin.net

www.stadtteilausschuss.de

www.ostgut.de

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