Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Happy End

Die „Internationale Expertenkomission Historische Mitte Berlin", die sogenannte Schloßplatzkomission, hat entschieden. Das Areal des ehemaligen Stadtschlosses soll weitgehend leergeräumt und in die Vorkriegssituation zurückversetzt werden. Nach außen soll das neue Stadtschloß dem alten gleichen; nur an der Spreeseite wird dem Bau eine Fassade zugestanden, die etwas mit seinem funktionalen Innenleben zu tun hat. Als da wäre: Viel bildungsbürgerliche Hochkultur, etwas effziente Kongreßmaschine, ein Schuß touristisches Amüsement, vom Palast der Republik ein paar museale Reste. Als Name wählte man – Trommelwirbel – „Humboldtforum". Verhaltener Beifall, mürrische Kritik.

Und kaum ist der Vorhang gefallen – da sagen Bund und Land alle Finanzierungshilfen ab. „Für das Stadtschloss gibt es vom Land kein Geld", beschied trocken Bernd Holtfreter von der PDS, und die SPD stimmte zu. Auch der Bund weist barsch alle Verpflichtungen von sich. Die Realpolitik stoppt das Projekt. Nur für so lange, bis Geld da ist, natürlich – aber das kann dauern, denn Geldmangel ist ein ewiges Problem. Es mehren sich die Stimmen, die eine provisorische Nutzung des Palastes der Republik fordern. Ein Provisorium ist zwar nicht perfekt, aber wenigstens bezahlbar. Und vor allem kann man es – anders als ein Wolkenschloß – benutzen.

Fragen der Nutzung (und damit der Nützlichkeit) waren der Komission fast so lästig wie das Problem der Finanzierung. So eifrig sie versuchte, Bibliotheken, Konzertsäle und Kongreßzentren herbeizuträumen, es fehlte ihr die große Idee. Und die ist für ein großes Projekt nun einmal notwendig. „Die unmittelbare Nutzung des Gebäudes hinter Fassade und Kuppel ist zwar nachrangig", gestand selbst der Vertreter der „Gesellschaft zum Wiederaufbau des Stadtschlosses e.V." mit verblüffender Offenheit ein, „aber bedeutsam für Effizienz und Finanzierung." Was also tun? Eine Rückkehr der Hohenzollern konnte man ja schlecht fordern. Aber auch ein langweilig-gediegenes Museumsschloß nach Vorbild des Louvre wäre zur „Wiedergewinnung einer stadtbürgerlichen Öffentlichkeit" (Strieder) wenig geeignet. Auf der Suche nach inspirierenden Vorbildern verfiel man darum auf das Centre Pompidou. Dieses gigantische Kulturzentrum im Zentrum von Paris gilt als Erfolg; es wird gut genutzt und ist bei Einheimischen wie Touristen hoch geachtet, und das, obwohl es ein dezidiert moderner Bau ist. Außen altehrwürdiger Louvre, innen quirliges Centre Pompidou – das war die Idealvorstellung der Komission.

Ein entlarvendes Mißverständnis! Das Centre Pompidou ist Anti-Architektur, deren Architekten nichts wollten als freie Vielfalt der Nutzungen. Es besteht aus nüchtern gestapelten Geschossen mit offenen, flexiblen Grundrissen, freiliegenden Leitungs- und Erschließungsträngen, nackter Konstruktion. Es ist unmißverständlich funktional. Wie peinlich für seine vorgeblichen Bewunderer in der Komission: Diese Kulturmaschine ist das genaue Gegenteil des barocken Kulissenzaubers, den sie sich für Berlin wünschen. Noch viel peinlicher dürfte es ihnen sein, daß eine
solche Maschine bereits auf dem Schloßplatz steht! Man muß sie nur anschalten. Es ist die Ruine des Palastes der Republik. Eine großzügige, robuste Struktur, offen für jede phantasievolle Initiative. Kluge, schöne Zweckmäßigkeit.

Seit Beginn der Schloßplatzdebatte hat es Skeptiker gegeben, die alles, was da stand, stehen lassen und warten wollten, bis eines fernen Tages eine gute Lösung ganz von selbst herangereift wäre. Der Palast der Republik bliebe vorerst Ruine, die Fläche davor Brache, beide unvollständig und vorläufig, aber eben auch frei. Daß diese so schlichte wie schillernde Idee nun ausgerechnet von den Finanzpolitikern als den phantasielosesten Vollstreckern der Realpolitik unfreiwillig Unterstützung erhält, ist nicht weiter schlimm. Denn es spricht mehr dafür als nur das Geld: Die Berliner Off-Kultur hat bewiesen, daß Brachen und Ruinen die besten Centres Pompidous sind. Ihre Räume sind flexibler und inspirierender als jede Mehrzweckhalle. Es sind wahrhaft freie Räume, in denen von der Gemäldeausstellung bis zur Jamsession, vom Massenrave bis zur Dichterlesung alles irgendwie möglich ist – und interessant zu werden verspricht. Und für diejenigen, die ein Happy End brauchen, enthalten solche Orte eine schöne Hoffnung: Hier gibt es Unfertiges, das schrittweise ergänzt und Mangelhaftes, das allmählich verbessert werden kann. Und irgendwann kann daraus die unumstritten gute, womöglich ideale Lösung entstehen, zu der wir heute offenbar unfähig sind.

Johannes Touché

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