Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
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Denkmal der Gefühle

HA Schult verpackt das Postfuhramt

Was macht ein Künstler, wenn ihm für ein Projekt das nötige Kleingeld fehlt? Er sucht sich ein Unternehmen als Sponsor. Was macht ein Unternehmen, das sein Image aufbessern will? Es bedient sich eben dieses Künstlers. Und wo bleibt die Kunst dabei? Ganz einfach ­ auf der Strecke.

Mitte der neunziger Jahre hatte der Aktionskünstler HA Schult sein Projekt „Hotel Europa" realisiert, indem er an eine nahe der Autobahn Köln-Bonn gelegene Hotelrohbauleiche aus den Siebzigern über 100 großformatige Porträts aktueller Prominenter hatte anbringen lassen. Gesponsert wurde die Aktion von der Deutschen Post. Der regional bekannte Bau und sein Standort garantierten öffentliche Aufmerksamkeit, einen Platz in den Kunstgeschichtsbüchern sollten die Bezeichnungen „Skulptur des europäischen Gedankens" und „Walhalla der Gegenwart" sichern.

Nun wäre das alles vielleicht nicht weiter bemerkenswert, hätten sich nicht ein paar findige Köpfe bei der Post eine Fortsetzung ausgedacht. War beim „Hotel Europa" der „Briefmarkenblock" nur assoziiert worden, wollte sich die Post jetzt ganz konkret einbringen. Und was paßt da besser, als den ganz normalen Brief zum Träger eines Kunstwerks umzufunktionieren?

Ungefähr so muß es dann weitergegangen sein: Was für Briefe denn? Liebesbriefe, da werden die Leute sentimental. Und was mit den Briefen anfangen? Ein Gebäude damit einpacken, das ist auffällig. Und wo? In Berlin, wo sonst? 1. hat Christo mit seiner Reichstagsverpackung da auch Erfolg gehabt. 2. haben wir da das Postfuhramt, das liegt schön zentral. Und 3. wo sonst läßt sich zur Zeit mit solcher Leichtigkeit jeder x-beliebige Schrott als Kunst inszenieren? Und wer soll das machen? HA Schult natürlich, dem haben wir schließlich seine letzte Aktion bezahlt, der macht uns alles.

Als Anreiz für die Leute zum Briefeschreiben, wurden noch fünf Autos (von HA Schult gestaltet, also künftig Augen auf im Straßenverkehr!) als Gewinn in Aussicht gestellt. Aus ein paar Textbausteinen mit hohem Bekanntheitsgrad wurde rasch noch etwas ideologischer Überbau zusammengebastelt ­ „Kunstwerk der Liebe" (für die Romantiker), „Denkmal der Gefühle" (für die Nostalgiker), „Loveletters-Building" (für die Trendigen).

Und was sagt die Kunst dazu? Nichts, denn sie ist sprachlos.

Carola Köhler

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