Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
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Scheitern muß man sich leisten

Ein Gespräch mit dem Regisseur Jan Jochymski

Wir haben uns hier am Theater unterm Dach getroffen, wo du deine ersten Erfolge in Berlin gefeiert hast. Befällt dich ein wenig Wehmut?

Nein, das war eine ziemlich harte Zeit. Aber das Theater unterm Dach war das erste, das Produktionen von mir in Berlin gezeigt hat. Vor drei Jahren fing das an. Seitdem ging es los, hat sehr viel in meiner Laufbahn geklappt, meine Stücke wurden angenommen, ich wurde weiterempfohlen, und dann war klar, daß der Raum mir hier zu klein wird.

Neue Räume hast Du mittlerweile im Deutschen Theater bezogen, wo du den Leutnant von Inishmore inszeniert hast. Ein Stück mit Oliver Bukowski zusammen entwickelst du gerade.

Die Produktion mit Bukowski ist eine von TheaterschaffT, aber in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater. Ich habe mit den Schauspielern schon improvisiert, er hat sie kennengelernt.

Wie funktioniert das?

Es gibt Vorgaben von mir, dann schicke ich die Schauspieler ins Spiel, und während sie improvisieren, arbeite ich mit ihnen. Oliver nimmt derweil alles mit der Kamera auf und schreibt dann am Ende. Wir machen das Stück zusammen, es wird schon vor den praktischen Proben aufgeschrieben, aber nicht ganz fertig.

Und worum geht in diesem Stück genau?

Um Zeit. Wir haben noch keinen Arbeits - titel, deswegen sage ich immer „Bukowski". Leute kommen durch einen Fluglotsenstreik nicht mehr weg, ihnen wird plötzlich Zeit geschenkt, womit sie erst gar nicht umgehen können, weil sie ja wichtig sind und in Eile. So auf sich geworfen, haben sie plötzlich Zeit, neue Entscheidungen zu fällen, alles zu hinterfragen. Es geht um Leute, die auf der Flucht vor sich selbst sind, die das ganze System mit ihrer Abwesenheit von sich selbst eigentlich stützen. Weil man immer von dieser ichbezogenen Zeit redet. Je lauter jemand nach Ich ruft, um so weniger ist da. Ironische Distanz und Selbstbefriedigung, das sind die Stichworte.

Wenn man drei Themen hat für sein Leben, für die man sich interessiert, die einen nicht langweilen, kann man froh sein.

Und welche wären das?

Die habe ich noch nicht.

Gibt es denn eines?

Das Mann-Frau-Thema, was wir in den letzten beiden Spielzeiten hatten, Stellungskriege und Operation Zucker, aber auch Morgen danach. Da hat den Leuten die Dimension der Liebesgeschichte am besten gefallen. Der Mann muß sich zwischen seiner Arbeit und seiner Frau entscheiden und sagt: „Du, ich muß jetzt die Welt retten", und sie pflichtet ihm bei. Alle wußten, daß sie sich nie wiedersehen werden, weil er erst in 1000 Jahren zurückkommt, wegen der Photonenraumschiffe. Er schafft es nachher doch und ist ein Held. Das sind die interessanten Dinge: die Lebensfähigkeit eines Menschen, weil man damit ein Leben lang zu tun hat. Ob man sie hat oder nicht.

Bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Spielzeit ist besonders auf die Vermischung des neuen Ensembles hingewiesen worden und auch auf den Ost-West-Proproz. Ist das überhaupt noch interessant?

Die Vermischung von Alt- und Neuengagierten schon. Die Vermischung von Ost und West ist nicht mehr, da das alles junge Leute sind. Das war eine tolle Atmosphäre am Anfang. Es gab keine Konkurrenz. Die anderen Regisseure sind übrigens zum Teil auch Freie wie ich. Eigentlich heißt es ja freischaffend. Das ist es, was ich vorhabe. Frei zu sein und zu schaffen.

Foto: Mathias Königschulte

Viele würden sonst etwas für ein Pöstchen geben. Warum willst du das nicht?

Ich habe eine staatliche Schauspielausbildung in Leipzig gemacht, war dann an staatlichen Theatern, in Chemnitz und Rudolstadt, also richtig tief in der Provinz. Ich habe da gespielt und inszeniert. Ich kenne das Stadttheater, und ich mag es nicht. Dieses System schluckt zuviel Geld, und der ganze Apparat ist zu starr. Damit meine ich das Stadt- oder Staatstheaterprinzip hier in Deutschland allgemein. Es gibt bessere Modelle in Frankreich oder Holland. Dort sind die Künstler zwar unsicherer, dadurch aber besser. Die Russen haben irgendwann einmal gefordert ­ das war zu Sowjetzeiten ­ daß die Künstler weniger abgesichert sein sollten, weil dann mehr entsteht.

Wie sollte denn die Theaterlandschaft aussehen in Deutschland?

Es sollte einige Staatstheater geben, so als Kulturburgen. Dann sollte es viel mehr Theater geben, die Companies arbeiten lassen, ohne diesen Repertoirestückplan. Also, wenn du mal was Gutes siehst, empfiehlst du das im Freundeskreis, und dann wird das erst wieder einen Monat später gezeigt und wird vergessen. Das Kino ist da viel klüger. Die führen Filme wieder auf, wenn sie gut sind. Zuerst können sie aber alle sehen.

Stichwort Strukturen. In deinen Stücken geht es ja auch immer wieder darum. Hat das möglicherweise was mit dem Osten zu tun?

Zur Wende war ich 20 und habe nicht groß unter dem System gelitten, sondern es eher zu nutzen verstanden. Theater im Osten war aufreibend. Ich habe mich dort ausleben können, vielleicht hätte ich Konflikte bekommen, wäre ich älter gewesen. Aber gegen Strukturen angehen finde ich wichtig. Nicht nur im Staat, sondern auch in einer Beziehung. Du fängst an, Strukturen aufzubauen, indem du dich sicher fühlst, weil sie dir Gewohnheit geben. Und bald kommt der Rückschlag, weil diese Dinge dich dann verzweifeln lassen. Kampf gegen eigene Gewohnheiten und gegen Autoritäten. Ich habe auch ein Autoritätsproblem. Aber ob das was mit dem Osten zu tun hat, weiß ich nicht.

Leute mit Autoritätsproblemen sind meistens selber autoritär. Muß man nicht als Regisseur genau so sein?

Von einem Regissuer wird Autorität erwartet. Manchmal schlüpfe ich halt in diese Rolle, schreie rum und so. Jedes Theater kennt schreiende Regisseure. Ich finde das eigentlich total albern, aber ich habe es noch nie anders erlebt, daß ohne Zoff etwas erreicht wurde. Wenn ich es mit Freundlichkeit und Demokratie versuche, verzettelt sich das, und ich habe sofort eine Anarchobrut vor mir.

Aber diese Arbeit macht doch auch Spaß ...

Natürlich, und ich bin beseelt davon, wenn ich an eine Idee glaube, die ich mit einem Stück habe. Weil ich weiß, daß sie sich potenziert, erst bei den Schauspielern, danach bei den Zuschauern. Deswegen mache ich diesen Beruf auch gerne. Bei der letzten Arbeit (Inishmore) ist es passiert, daß ich es nicht mehr gern gemacht habe, weil ich daran nicht mehr glauben konnte, was wir da vorhatten. Nach dem 11. September kam uns das alles albern vor. Und mir ist im Moment der Ohnmacht nichts anders eingefallen, als das Stück zu entschlacken und zu versuchen, es ganz pur hinzustellen. Als Künstler bin ich hier auf der Strecke geblieben, weil ich nichts mehr entgegensetzen konnte mit meiner Arbeit. Aber Scheitern muß man sich leisten.

Interview: Ingrid Beerbaum

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