Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ich bin nicht schuld, ich war nur Chef!

Beileidsbekundungen, aber kein Geld für ehemalige Callcenter-Beschäftigte

Über eine Anzeige in der „Zitty" hatte Angela D. aus England im Mai einen Job im Callcenter von Modalis Research Technologies an der Jannowitzbrücke gefunden.

„Die Arbeit war relativ angenehm – aber nicht so toll, daß ich kein Geld dafür erwartet habe", sagt sie. Bis jetzt hat die Slawistikstudentin keinen Pfennig für ihre Tätigkeit bekommen. Vom Studentenwerk erhielt sie ein „Überbrückungsdarlehen", um sich überhaupt an der FU zurückmelden zu können.

Schlimmer erging es Tomas G. aus Spanien. Er mußte sein Politik- und Geschichte-Studium an der Humboldt-Uni abbrechen, weil er noch auf 1600 Mark von Modalis wartet. Er konnte seine Semestergebühr nicht bezahlen und wurde exmatrikuliert.

Bei Modalis arbeiteten hauptsächlich Ausländer als sogenannte „Agents", die zu Marktforschungszwecken in aller Welt herumtelefonieren. Wie in der Branche üblich, gab es keine festen Arbeitsverträge. Mehrere InterviewerInnen bekamen Übersetzungsaufträge ­ für vergleichsweise lächerliche 18 Mark brutto pro Stunde.

Anfang August erhielten rund 100 Mitarbeiter per e-mail ihre Kündigung. Niek Coenen, Leiter des Callcenters, informierte sie, daß es „leider ab dem 31. August kein Modalis in Berlin" mehr gäbe. Modalis werde alle „offenstehenden Rechnungen vor dem 15. August" begleichen. Die Interviewer sollten auf rechtliche Schritte verzichten, „denn dies könnte die Bezahlung um Monate verzögern." Coenen lobte „die geleistete Arbeit und Geduld beim Warten auf die entsprechende Belohnung". Mitarbeiter ohne e-mail-Adresse wurden nicht benachrichtigt, eine offzielle schriftliche Erklärung gab es nicht.

Zwei Monate später warten die ehemaligen Mitarbeiter immer noch. Daniel W., Gewerkschaftsmitglied bei Ver.di, weiß, daß seine Chancen, auf rechtlichem Wege sein Geld zu bekommen, äußerst gering sind. Die Firma schloß ihre Türen am 31. August, die Telefonleitungen waren ab sofort tot, Post wird zurückgeschickt. Modalis Research war nie in Deutschland eingetragen, und San Francisco, Sitz der Firma, ist weit weg. Rechtsanwälte in den Staaten sind teuer, „für die Gewerkschaft Ver.di wäre es bestimmt billiger, mir mein Geld zu geben, statt einen Rechtsanwalt in den USA damit zu beauftragen!" so Daniel W. Vors Arbeitsgericht zu gehen wäre sinnlos, weil „kein Arbeitsverhältnis" bestand.

Daniel W. berichtet: „Als ich da gearbeitet habe, konnte ich kaum jemanden für die Gewerkschaft interessieren. Viele meinten, ,alles wäre doch okay', weil wir mit den Chefs auf Du waren und manche Interviewer mit ihnen sogar Fußball gespielt und gesoffen haben. Wir waren alle ,Partner', alle ,im Team' ­ es gab keine Hierarchien. Das haben sie uns zumindest erzählt."

Über das „Du-Prinzip" erweckten die Ex-GeschäftsführerInnen den Eindruck, Bosse und Interviewer säßen in einem Boot. Aber manche saßen schon im Rettungsboot, als das Schiff sank - die Ex-Chefs haben genug Geld, um neue Unternehmen zu gründen.

Klaus König etwa beschäftigt einen Großteil der festen Modalis-Mitarbeiter in seiner neuen Firma „ConSatis International Research" in der Choriner Straße. Auch Hans-Jürgen Schmolke konnte sich retten. Sein Unternehmen „MetaFacts" in der Schlesischen Straße bezeichnet sich im Internet als „europäischer Teil" von Modalis im neuem Gewand. Was nicht heißt, daß er sich für die 200000 Mark, die die Firma ihren früheren Beschäftigten schuldet, verantwortlich fühlt. Die Probleme von Modalis lägen an der Krise der „New Economy", „man kann das nicht einfach auf Personen beschränken": Er weiß von nichts, er war ja nur der Boß. Modalis beschrieb er als „eine Karrierechance für viele Leute, die in Deutschland nicht ohne weiteres einen Job kriegen". Eine fabelhafte Karriere, die mit unentgeltlicher Arbeit und Rauswurf beginnt.

Die Interviewer wollen sich nun nicht mehr mit leeren Versprechungen zufrieden geben und in die Offensive gehen.

Es gibt e-mail-Listen, in denen die Ex-Chefs offen als „Ganoven" und „Betrüger" bezeichnet werden, man tauscht klassische Losungen aus wie „Wer nicht kämpft, hat schon verloren" aus. Jurastudenten spielen mit dem Gedanken, den Fall bei einer Inkassofirma in den Staaten in Auftrag zu geben. Die Gewerkschafter beabsichtigen, an die Betriebsräte der Firmen zu schreiben, in deren Auftrag sie telefoniert haben, um ihr Schicksal unter KollegInnen bekannt zu machen. Zudem soll der Fall ins Internet gestellt werden. „Wir werden jetzt Ärger machen", so Tomas G.

Modalis ist seit neuestem wieder telefonisch erreichbar. Auf die Frage, wo sie sitzt und wer ihr den Lohn zahlt, wollte die Mitarbeiterin „keine Auskünfte" geben.

Bob Moran

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