Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Neue Vorstellung am Zirkus

Wo einmal Affen turnten, sollen bald Büroangestellte vor ihren Bildschirmen sitzen

Überdimensionierte Projekte gab es am Gelände „am Zirkus" in der Geschichte schon öfter, insofern mag die Fehleinschätzung angemessener Größenverhältnisse Tradition haben. 1866 wurde hier Berlins erste Markthalle gebaut, eine für damalige Verhältnisse hypermoderne Anlage aus Gußeisen und Glas, die nur durch eine aufwendige Pfahlkonstruktion daran gehindert wurde, im morastigen Grund zu versinken. Die potentiellen Kunden jedoch zogen die schmuddeligen Wochenmärkte unter freiem Himmel vor, die Halle mußte bereits zwei Jahre nach Eröffnung wieder schließen. Daß später in denselben Räumen unter Ernst Jakob Renz ein Zirkus, unter Max Reinhard ein Theater und anschließend ein Varieté beachtliche Erfolge feierten, ist dem Improvisationstalent der Betreiber zu verdanken. Zu Zeiten des großen Schauspielhauses hatte es der Architekt Hans Poelz sogar vollbracht, im vormaligen Markthallenzirkus einen kuppelüberwölbten Theatersaal nach antikem Vorbild zu realisieren. Die Kuppelkonstruktion, die aus akustischen Gründen mit herabhängenden Zapfen versehen wurde, wurde weltberühmt. Reinhard spielte hier Shakespeare, für ein Kabarett im Keller – einst die Fischbassins für die Markthalle – schrieben Tucholsky, Mehring und Ringelnatz. Zu Revuezeiten brachten in der umgemünzten Halle Marlene Dietrich wie Fritzi Massary ihre Reize zur Geltung. In den 80er Jahren, als das Haus in der DDR unter dem Namen „Friedrichstadtpalast" weiterbetrieben wurde, waren endlich die Holzpfeiler durchgefault, die die ganze Konstruktion getragen hatten. Es folgte der Abriß.

Seither hat der ehemalige Sumpf wieder Frieden. Zwischen Gras und Schutt vermodern entsorgte Stühle und Automatten. Die Wohnstraßen um das Karree tragen immer noch den Namen: „Am Zirkus", doch die Bewohner blicken auf inzwischen hochgewachsene Pappeln und Rubinien.

Die Ruhe täuscht. Die nächste Kapitel des „Zirkus" ist schon eingeläutet.

Als Wirklichkeit von Morgen zeigen Computersimulationen einen gigantischen käseglockenartigen Kuppelbau – vielleicht eine Glas-Stahlkonstruktion. Architekten sind das Büro „Bothe, Richter Theherani" aus Hamburg. „Es sieht aus wie ein riesiges Ufo, das zwischen den anderen Häusern gelandet ist", sagt Jürgen Nottmeyer, Architekt und Mitstreiter der Bürgerinitiatve der Anwohner. Er zeigt auf ein Modell, an dem die Größenverhältnisse zwischen dem neuen Kubus und der Bebauung der Wohnstraße deutlich werden. Um die Landung des „Ufo" hat es einen langen Streit gegeben, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Die Wohnhäuser „am Zirkus" von etwa 1850 haben drei Obergeschosse und ein Dachgeschoß. Sie erreichen bis zur Regenrinne eine Höhe von etwa fünfzehn Metern. Laut Planung des Investors Hamburger Immobilien, soll das neue Gebäude 32,5 Meter hoch werden und hat insgesamt neun Stockwerke – sechs Geschosse bis zur Dachkante und drei Dachgeschosse. „Die Dimensionen entsprechen fast den Blöcken in der Friedrichstraße auf der Höhe Gendarmenmarkt", urteilt Nottmeyer, der als ehemaliger Geschäftsführer der Internationalen Bauaustellung vom Fach ist. „Früher stand Nottmeyer noch auf unserer Seite", klagt Frank Bohlander von der Hamburger Immobilien. Nun hat er mit seinem Know How die Fronten gewechselt. Frei nach dem Motto „Not in Back Yard" kämpft er heute gegen die Segnungen des Städtebaus, die sein helles Büro zu einem düsteren Loch werden lassen sollen. Die Bürgerinitiative will juristische Schritte in die Wege leiten, die Planung und das Verfahren rechtlich überprüfen zu lassen. Gerade wurde nämlich der Bebauungsplan in der BVV vorzeitig abgesegnet. Durch die Erklärung einer sogenannten vorzeitigen Planungsreife, darf mit dem Bau begonnen werden, noch bevor das Genehmigungsverfahren alle sonst üblichen Schritte durchlaufen hat. Diese Ausnahmeregelung sei nur zulässig, wenn der Bebauungsplan nicht strittig sei, erklärt Nottmeyer. Strittig aber ist der Fall, daran lassen die Anrainer keinen Zweifel.

Stadtentwicklungsstadträtin Dorothee Dubrau betrachtet den Fall als nicht zweifelhaft, denn schon Mitte der 90er Jahre habe es eine mündliche Zusage an die „Reinhard-Erben" gegeben, das Grundstück mit einer sogar noch größeren Baumasse zu bebauen. Ein entsprechendes Gutachten ließ der Bezirk 1995 erstellen. Die Erben Max Reinhards hatten damals Restitutionsansprüche gestellt. Damit sie auf Ansprüche am Deutschen Theater und den Kammerspielen verzichteten, hatte man ihnen zugesagt, das Grundstück am Zirkus über das übliche Maß hinaus ausnutzen zu dürfen. Zwar wurden die Erben mittlerweile anderweitig abgefunden und haben das Gelände am Zirkus auch schon lange weiterverkauft, die Vereinbarung bestehe jedoch weiterhin.

„So kann man keine Stadtplanung machen!" wettert dagegen Nottmeyer. Ein Gutachten als Auftragsarbeit, das nur rechtfertigen soll, möglicht viel Baumasse auf ein Grundstück zu bringen, habe nichts mit vernünftigen städtebaulichen Erwägungen zu tun. Seiner Auffassung nach steht die Planung im Widerspruch zum Baugesetzbuch, nach dem die Dimensionen neuer Häuser aus denen ihrer Umgebung abgeleitet werden müssen.

Das nächste Kapitel am Zirkus ist offen. Wenn die Wünsche des Investors Wirklichkeit werden, arbeiten hier bald Menschen aus der Medienbranche in einer riesigen hypermodernen Konstruktion, aus Stahl, Beton und Glas. Ob auch dieses Bauwerk irgendwann im Morast versinkt?

Tina Veihelmann

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