Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Kicken und boxen

Wie Freizeitfußball wirklich ist

Wenn man von einer Fußball-Freizeitliga reden hört, denkt man wohl zuerst daran, daß sich da ein paar Sportbegeisterte regelmäßig zu einem fröhlichen Kick treffen ­ eben so zum Spaß und ohne Leistungsdruck. Und hinterher wird gemeinsam ein Bier getrunken. Das ist nicht so oder besser gesagt nicht ganz.

In Berlin gibt es seit vielen Jahren eine mittlerweile vierklassige Fußball-Freizeitliga. In den einzelnen Staffeln tummelt sich ein Konglomerat von Vereinen ganz verschiedener Couleur: Da spielen Freizeitmannschaften von Fußball-clubs, die eigentlich in der „normalen" Berliner Liga kicken wie etwa Hertha Zehlendorf oder Rotation Prenzlauer Berg, viele ausländische Teams wie Karadenizspor oder SV Slovenija, Mannschaften mit merkwürdigen Namen wie Cosmos Moabit oder Aufbau Alex und Vereine, deren Namen unverhohlen zugeben, daß sie vom Tresen einer Wirtschaft kommen: Der Franziskaner FC etwa rekrutiert sich aus Betreibern und Gästen des „Franziskaners" in der Dresdener Straße in Kreuzberg. Die Fluktuation in der Liga durch neuangemeldete bzw. aufgelöste Mannschaften ist jedes Jahr beträchtlich. In der letzten Saison beteiligten sich fast achtzig Vereine an der Meisterschaft.

Die Liga wird vom Berliner Fußballverband (BFV) verwaltet, und in dieser Konstruktion findet sich schon einer der wichtigsten Gründe, weshalb der Freitzeitkick kein reiner Spaßfußball ist. Der BFV stellte in bester bürokratischer Manier die Regeln für die Liga auf: So müssen die Teams als regelrechte Vereine eingetragen sein, die Spieler vor der Saison beim Verband angemeldet werden. Das geht so weiter bis ins Detail. Natürlich beruht die Freizeitliga auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, vorausgesetzt wird aber die grundsätzliche Bereitschaft der Spieler, wenn schon nicht zum Training, so doch auf jeden Fall zu den Punktspielen da zu sein ­ kein Team tritt gerne nur unvollständig an.

Zusätzlich aufgeweicht wird der Spaßgedanke durch eine zumindest fragwürdige Bestimmung des BFV: Ein Verein, der in den Spielbetrieb der „normalen" Liga einsteigen will, muß zuvor drei Jahre in der Freizeitliga Dienst getan haben. Drei Jahre, in denen der ehrgeizige Verein häufig genug gegen ­ nach seinem Verständnis ­ Gurkentruppen antreten muß und nicht gegen ernstzunehmende Clubs.

Dabei sollte man das Niveau der Berliner Freizeitliga keineswegs unterschätzen. Es gibt einige ehemalige Leistungssportler, die hier nach dem Ausstieg aus der Fußballerkarriere eine neue Möglichkeit gefunden haben, ihre Leidenschaft auszuleben. Kicker, die in ihrer Jugend bei bekannten Clubs spielten, sich dann aber für einen anderen Beruf entschieden. Oder aber geniale Balltreter, die sich zuvor der Fußball-Vereinsmeierei entzogen. Beleg für die Lobhudelei: Der Meister der Freizeitliga SG Medizin Friedrichshain schlug in einem Freundschaftsspiel kürzlich den Bezirksligameister der „normalen" Liga BFC Dynamo II mit 6:2.

Was die Freizeitligavereine trotz allem von den mehr oder weniger professionellen Clubs unterscheidet, ist im Grunde genommen eine Sache: Üblicherweise wird die Mannschaft zusammengestellt, die Mannschaften der Freizeitliga finden sich. Es gibt kein Probetraining, nach dem ein Trainer entscheidet, ob ein Spieler ins Team aufgenommen wird oder nicht. Gleiche Interessen entscheiden, Freundschaften, der Kiez, die Nationalität, nicht zuletzt Zufälligkeiten. Deshalb treten in der Freizeitliga Vereine an, die beispielsweise hauptsächlich aus Studenten bestehen, Quasi-Betriebselfs, Freundeskreise, Teams, deren einziger gemeinsamer Nenner die Nationalität ist, aber auch bunt zusammengewürfelte Haufen.

Ein eklatantes Problem, das die Freizeitliga, wie auch den unterklassigen Bereich der „normalen" Liga beherrscht, ist die Gewalt. Da hauen sich die Spieler schon mal ordentlich in die Fresse, vertrimmen den Schiedsrichter, geben sich ganz als zünftige Hooligans. In der Freizeitliga mußten deswegen etwa 40 % der Spiele unterbrochen werden. Der BFV steht diesem Phänomen einigermaßen hilflos gegenüber. Die Schlägereien gehen häufig von ausländischen Mannschaften aus, und der Verband, ängstlich darum bemüht, nicht als fremdenfeindlich zu gelten, eiert herum. Vor kurzem verurteilte ein BFV-Gericht einen Ausländer, der seinem Gegenspieler ins Gemächt getreten hatte, zu einer lächerlich geringen Strafe mit der kuriosen Begründung, der Spieler sei bei der Verhandlung nicht zugegen gewesen und deshalb habe sich das Gericht kein Bild von ihm machen können. Auf diese Weise wird der BFV kaum Herr des Problems.

Weshalb soviele ausländische Spieler an den Konflikten beteiligt sind, läßt sich nur mutmaßen. Vielleicht ist es die aus alltäglicher Benachteiligung entstandene Aggression einer marginalisierten gesellschaftlichen Gruppe, die sich gerade hier, beim Fußball, ein Ventil sucht. Es läßt sich nicht letztgültig entscheiden, auch deutsche Spieler prügeln munter mit.

In der Konsequenz ähnelt Fußball so mitunter dem wilden Treiben, welches die Sportart in ihren Anfängen, also lange vor ihrer Zähmung durch die Oberschichten war: eine chaotische Hauerei um eine Kugel, mit dem Resultat, daß schließlich alle eine blutige Nase hatten – eine Veranstaltung zur Befriedigung männlicher Urtriebe. Und das ist Fußball trotz weitestgehender Domestizierung im tiefsten Grund wohl bis heute geblieben.

J. Luther

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 07 - 2001