Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
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Hassemers Quasselbude (Teil 2)

Das Berliner Stadtforum, das unter Stadtentwicklungssenator Hassemer gegründet worden war, um in der schwierigen Nachwendezeit die Politik zu beraten, feierte kürzlich zehn jähriges Jubiläum. Die Architekturhistorikerin Simone Hain zieht ein Resümee in zwei Folgen: von Hassemers "Klub" bis zu Stimmanns „Coup d`Etat"

Nichts mehr mit Glöckchengebimmel: Die zweite Periode des Stadtforums begann mit Pauken und Posaunen. Wie Weiland vor den Toren von Jericho sollten die Fanfaren der „kritischen Rekonstruktion" die letzten Bastionen der Moderne zum Einsturz bringen: Der Fürsorgestaat ist tot, weil pleite! Es lebe die privat verfaßte Bürgerstadt! Mit dem Wechsel des Stadtplanungsressorts von der CDU (Hassemer) zur SPD (Strieder) änderte sich in Stil, Arbeitsweise und Inhalten einfach alles. Nach dem großen Kassensturz von 1995 war klar, daß man sich kein richtiges Stadtforum mehr leisten konnte. Dessen luxuriös finanziertes, aber wirkungsloses Palaver mußte gerade Hans Stimmann, dem „mächtigen Mann" der Berliner Bau-szene und „ästhetischen Arm" seiner Senatoren, hochgradig ineffizient erscheinen, hatte er doch den Stein der Weisen längst in der Tasche: Die Renaissance der europäischen Stadt per Parzellierungsrecht. Wegen Amtsanmaßung im Bauministerium als Beamter geschaßt, erlebte er nun als Staatssekretär für Stadtentwicklung ein triumphales Comeback.

Dort räumte ihm der von machtpolitischen Weichenstellungen okkupierte Peter Strieder zur eigenen Entlastung volle Verfügungsgewalt über die Verwaltung ein. Seinem Anspruch verpflichtet, als bedeutender Planungsstratege und „neuer Martin Wagner" in die Berliner Geschichte einzugehen, legte Stimmann 1996 einen städtebaulichen Plan auf dem Tisch ­ das „Planwerk Innenstadt". Mit Unterstützung der für die SPD politisch interessanteren Opposition sollte es binnen einiger Wochen durch den Senat gebracht werden: als tragfähiges Zukunftsprojekt einer neuen Regierungsmehrheit. Um vor allem grüne Zustimmung für sein Jahrhundertwerk zu gewinnen, fiel Stimmann das alte Stadtforum wieder ein. Immerhin hatte es das Image einer parteiübergreifend konstruierten „Berliner Gesellschaft" und bot damit medienpolitisch eine reizvolle Bühne, die exklusive Undercover-Agentur Planwerk Innenstadt vor der Öffentlichkeit zivilgesellschaftlich zu legitimieren. Hatte Stadtforum-Initiatorin Helga Faßbinder die viel gescholtene „Quasselbude" mit der Notwendigkeit des „Redens gegen einen neuen Autoritarismus" verteidigt, schlug nun die Stunde der Verkündung, „wohin die Reise geht": Nachhaltige neue Mittenbildung per aktiver Bodenpolitik. Staatliche Planung versus neoliberales Laissez-faire.

Das hieß seit der 60. Sitzung des neuen Stadtforums Hegemonie pur: Frontale Kommunikation schon in der äußerlichen Sitzordnung im größten Saal des Staatratsgebäudes. Keine „Werkbänke" und autonomen Berichterstatter mehr, sondern geballte Gehirnwäsche – garniert mit sorgfältig installierten Quotenquerulanten, die sich in einem einzigen, zehnminütigen Statement als Pflichtverteidiger für inkriminierte Sichtweisen „verbrannten". Geschickterweise gab es auch Saalmikrophone für „Zwischenrufe" aus dem Publikum, die in der Gesamtbilanz als „kontroverse öffentliche Debatte" und „demokratische Meinungsbildung" durchgingen.

Da die Veranstaltung aber weiterhin „Stadtforum" hieß, ging die entscheidende Tatsache unter, daß mit Vorlage des Planes für die Berliner Innenstadt nahezu alle zuvor stadtpolitisch erarbeiteten Konsense über den Haufen gefahren worden waren. So die Leitideen des ersten Stadtforums: Polyzentralität, Stadt als Ganzes betrachten, Grünflächenziffer einführen, Ökologie innerstädtischer Freiräume, soziale Stadt und Alltagsnutzung und Ost-West-Dialog. Daß keine Ostplaner in die Erarbeitung des Planwerks einbezogen worden waren, war keinesfalls ein bedauerlicher Lapsus, sondern Bestandteil einer gezielten stadtplanerischen „Abwicklung Ost". Die diesbe-züglichen „Kampfansagen" reichten von Stimmanns „Mit den Ostberlinern müssen wir einfach in Westberliner Bauherrenart kontrovers reden" bis zu Dieter Hoffmann-Axthelms „Aufräumen im Ossi-Zoo". Pikanterweise eigneten sich die Protagonisten im selben Moment den „Geist von 1989" an, der ex oriente die Rückkehr der Bürgergesellschaft eingeleitet habe. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, den Prozeß, der auf den Straßen und Plätzen des europäischen Ostens mit Demonstrationen und Lichterketten gegen die Stadt als staatlicher Veranstaltung begann, endlich auch im Westen fortzusetzen: die Reprivatisierung des Gemeinwesens.

Das Planwerk richtete sich als Verfahren gegen die kommunale Planungshoheit und die sozialen Interessen der Innenstadtbewohner und war wettbewerbswidrig im Direktauftrag von Stimmanns Günstlingen erarbeitet worden. Im Namen der durch die staatsmonopolistische Moderne „niedergewalzten Kleinbürgerinteressen" (Hoffmann-Axthelm) unterbreiteten die Planer ein großräumiges Kaufangebot für neubürgerliche Kolonisten, die durch Kulturarbeiten auf den modernen „Stadtglatzen" ein klassenbewußtes „Wiederaufforstungsprogramm" (Michael Mönniger) beginnen sollten. Motto: „Bürgerliche Stadtkultur versus Verluderung der öffentlichen Räume" (Klaus Hartung). Der „Planer-Coup" wurde als „baugesetzlicher Masterplan zur knallharten Regulierung des geschundenen Stadtkörpers" und „größter Stadtumbau nach Haussmanns Pariser Gewaltschlägen" (Mönninger) annonciert, der aber gänzlich ohne Abrisse auskäme. In Fortsetzung des sozialen Wohnungsbaus sollte der Staat zu politisch sanktionierten Preisen nun den Mittelstand bedienen ­ und durch Verkäufe öffentlichen Bodens Geld in die chronisch lecken Haushaltkassen fließen. Der von dieser Wendung sichtlich schockierte Stadtforumsgründer Volker Hassemer ließ sich zur Bemerkung „Landnahme nach Gutsherrenart" (Süddeutsche Zeitung) hinreißen. Dieter Hoffmann-Axthelm bekräftigte in der „Kommune": „Wer Bauland will, muß es politisch erobern". Gegen die „Rechthaberei der Basis", des „rot-grünen Feuchtbiotops aus Protest und Milieu, aus sozialdemokratischer Betroffenheitslyrik und Ost-algie" und namentlich dreier „abge-härmter Frauen" ­ der Stadtbaurätinnen der betroffenen Bezirke ­ forderte Klaus Hartung Satisfaktion für die beleidigte Würde von 80 Millionen Hauptstadttouristen und altlinken Parvenues. Sämtliche Feindbilder seines scharfmacherischen Dossiers zum Planwerk Innenstadt, passen wie ein Steckbrief auf die von dem Amerikaner Neil Smith als „revanchistischer Stadtumbau" beschriebenen üblichen Verdächtigen: Subbürgerliche Milieus werden für die Verwahrlosung öffentlicher Räume haftbar gemacht. „Die Reaktion zielt darauf, sich die Stadt und das ganze Land wieder zurück zu erobern. Das ist ihre Sprache. Das ist ihre zutiefst anti-demokratische, bösartige und gefährliche Politik" (Smith). Auch Alain Tourraine, Vordenker der französischen Sozialdemokratie, hat das Gerede um den „Wiederaufbau der Städte" eindeutig als reaktionäres Projekt, als „Adelstitel für eine Politik der Ausgrenzung" beschrieben.

Das Ungeheuerliche an der antidemokratischen Inbesitznahme des Stadtforums lag vor allem in der Verquickung von erster, zweiter und vierter Gewalt. Demokratisch gewählt, übergab Peter Strieder sein Senatorenamt weitgehend in die Hand eines stadtbekannten Machtmenschen, der umgehend die Exekutive zum ausführenden Organ seiner Stadtvision machte und gleichzeitig wichtige Pressevertreter wie den politischen Redakteur der „Berliner Zeitung" und den Feuilletonredakteur der „Zeit" in die Lenkungsgruppe des Stadtforums inkorporierte. In enger operationaler Einbindung wurde ein Teil der Presse zum Verlautbarungsorgan der Verwaltung und existentiell abhängige Journalisten funktionierten als Denunzianten von Gegnern und Räumen. Auf Stimmanns Wink hin wurden immer neue Quartiere verbal planungsreif geschossen.

Trotz organisierten Widerstandes einer kleinen Gruppe ­ vor allem (noch) grüner Parteimitglieder und kritischer Journalisten ­ der immerhin einen über zweijährigen Legitimierungsmarathon der Planwerker erzwang, offenbarte sich in den Auseinandersetzungen eine weitgehende Erosion des traditionellen kritischen Potentials der Stadt. Die „Stadtentwicklungsfamilie" war einerseits durch existentielle Abhängigkeiten korrumpiert oder meinte, sich nicht in vorderster Front für eine Sache verheizen zu müssen, die ohnehin wegen ihres informellen Charakters nicht ernst zu nehmen sei. Nicht allein, daß eine Stellungnahme der Gründungseliten des Stadtforums ausblieb, Architekturkritiker Wolfgang Kil fand nicht einmal die Unterstützung des gegenkonzeptionell begründeten „Stadtforums von Unten". Seine Moratoriumsforderung „Das Planwerk muß vom Tisch" wurde von Werner Orlowski mit einem erstaunten „Na, das ist ja starker Tobak" vom Tisch gefegt. Die Grünen konnten nur durch einen Trick von der Zustimmung zum Planwerk abgehalten werden. Die PDS wollte auf Peter Strieders Angebot eingehen, ihr nach der nächsten Wahl zu einer neuen politischen Stellung zu verhelfen, und entschied sich gegen eine offene Konfrontation zugunsten klammheimlichen Tauschhandels.

So konnte Hans Stimmann seine Interessen unangefochten weiterverfolgen. Als deutschem Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig, verschaffte er seinem Planwerk den Lack kulturellen Avantgardismus'. Und als besonders aktives Mitglied der unabhängigen Expertenkommission Schloßplatz arbeitet er zielstrebig daran, sein Planwerk nun auch auf diesem Wege legitimieren zu lassen. Der Macchiavelli aus Lübeck hat sich inzwischen die Stimme von Hannes Swoboda geliehen. Berlin wird sich noch wundern, denn einen rot-rot-grünen politischen Neubeginn, der von Strieders langer Hand sorgfältig vorbereitet, nun in aller Munde ist, hat es mit dem Planwerk Innenstadt schon teuer bezahlt: Als Lizenz zum Ausverkauf seiner offenen Mitte.

Simone Hain

Berichtigung: Der frühere Staatsekretär im DDR-Umweltministerium heißt Michael Succow, nicht Sukopp, wie irrtümlich im 1.Teil der Stadtforumsbilanz angegeben.

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