Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Gesundheitsrisiko Loveparade

Zum individuellen Umgang der Tiergarten-Anwohner
mit Jugendkulturzwang, Massenentblößung und Volksverdummung

Klaus Vielrose (60) wohnt an der Bis-marckstraße im Opern-Viertel, also im Aufmarschgebiet der Loveparade:

„Also mir persönlich geht's ausgesprochen prächtig. Und wenn ich mich hier umgucke und so viel Grün sehe und so viel Bewegung von Menschen, dann denk ich, die Loveparade ist absolut in Ordnung. Die Natur erholt sich doch immer wieder. Und vollgepißt wird der Tiergarten doch das ganze Jahr über. Außerdem haben wir früher unsere Musik auch wahnsinnig laut gehört, bis zum Exzeß, bis uns die Eltern was weiß ich alles mögliche angedroht haben. Damals, das war Rock`n`Roll. Ich find das witzig, wenn die jungen Leute hier ausrasten und flippen. Musik muß laut in den Kopp kommen, dann spürt man irgendwas und das war früher nicht anders als heute. Und wem die Musik zu laut ist, der kann doch weggehen für die paar Stunden!"

Barbara Schröter (40) lebt mit ihren zwei Jungs nicht direkt an der Loveparade-Umzugsstrecke, sondern mehr im Hinterland, in der Helmholtzstraße:

„Nein, gesundheitliche Schäden stellen wir nicht fest. Wir schlafen halt zwei Nächte lang nicht so besonders. Bei uns sind dann z.B. sämtliche Hausecken vollgepißt und der Krach geht die ganze Nacht. Die Leute parken bei uns ihre Autos ein und übernachten dann da. Die drehen ihre Lautsprecher auf in den Autos und machen die Türen auf, weil´s meistens ziemlich warm ist. Und dann ist man beschallt. Für uns ist das eher ´ne Belastung. Aber ich hab ´nen 13-jährigen Sohn, der mischt da natürlich mit. Die Jugendlich finden´s eben toll und da muß man das akzeptieren."

Ben Wargin wohnt direkt am S-Bahnhof Tiergarten. Wenn´s losgeht, stecken er, sein Haus und seine Ginko-Bäume mitten drin im Hexenkessel:

„Deswegen hab ich ja die Brennesseln ganz hoch im Wuchs gelassen, damit sie wenigstens die erste Welle vom Abscheißen und Pissen etwas zurückhalten. Aber so ab Mittag haben die selbst das dann durchbrochen, weil der erste dann ganz mutig alles breit tritt und später ist einfach die ganze Vegetation weg. ­ Die Loveparade ist ein Stück extremer kollektiver Verblödung. Wo hat Kultur bei uns überhaupt noch diesen Begriff verdient, Kultur zu sein? Ich glaube, daß all unsere Kulturformen sich im Grunde eigentlich in der Verblödung verwirklichen. ­ Ich kann nur einfach weiter versuchen, dem ein oder anderen Baum eine Chance zu geben, daß er einen Teil davon wieder korrigiert."

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  Ausgabe 06 - 2001
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