Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
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Von Raum- und Räumdiensten

Integrative Ausgrenzung durch kommerzielle Sicherheitsdienstleister

Mit der „Stadt als Unternehmen" bilden sich auch in Berlin Wohlstandsenklaven auf der einen und Armutsinseln auf der anderen Seite heraus. Diese Spaltungs- und Polarisierungsprozesse städtischer Gesellschaften finden ihren Niederschlag auch in der Umstrukturierung „Innerer Sicherheit". Teil dieses Umstrukturierungsprozesses ist das Wachstum privater Sicherheitsdienste, denen es in den vergangenen Jahren nicht zufällig gelungen ist, auch in der aktiven Arbeitsmarktpolitik eine besondere Rolle zu spielen.

Einerseits ist „Sicherheit" zu dem Schmiermittel der Umstrukturierung bundesrepublikanischer Städte geworden, andererseits spielt niedrigentlohnter Arbeitszwang eine zunehmend bedeutsamere Rolle. Die Ambitionen des Gewerbes, als gleichwertiger Partner im Politikfeld Innere Sicherheit anerkannt zu werden, korrespondieren insofern mit Interessen von Unternehmen in der Stadt wie mit der Stadt als Unternehmen. Der stark gekürzte Text basiert auf einem Vortrag, den der Autor im April 2001 auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung und der Landespolizeischule Berlin gehalten hat.

Von A wie Alarmverfolgung bis Z wie Zwangsernährung – aus den Nachtwächtern des 19. Jahrhunderts, dem ersten deutschen Wach- und Schließdienst von 1901, den Werkschützern der 60er und Schwarzen Sheriffs der 70er Jahre ist in der Bundesrepublik eine Branche erwachsen, die bei heute sechs Milliarden Mark Jahresumsatz rund 200000 Mitarbeiter beschäftigt. Dabei teilen zehn der bundesweit 2500 gemeldeten Unternehmen unter sich 60 Prozent des Umsatzes auf und beschäftigen zwei Drittel aller Mitarbeiter. Das Aufgabenspektrum ist breit gefächert. Ein relativ neues Wachstumsfeld sind die Stadtentwicklungs- und aktive Arbeitsmarktpolitik, die sich derzeit in einer erheblichen Umbruchphase befinden.

Harmoniestrategien

Kleinteilig und problembezogen sollen Sauberkeitsvorstellungen, Ordnungsstandards und Verhaltenskodizes möglichst billig durchgesetzt werden. Während in den Konsumzonen vor allem die Verbände des Einzelhandels zu den Ausgrenzungsstrategen gehören, die den innerstädtischen Raum als Privatbesitz verstehen und ihre Areale „störerfrei" halten wollen, zeichnen sich in den Wohngebieten vorrangig Wohnungsbaugesellschaften für den Einsatz von Blockwarten und Sicherheitsdiensten verantwortlich.

Die Berliner Wohnungsbaugesellschaft GesoBau sandte Wohnungsinteressenten Ablehnungsbescheide mit der Begründung zu, sie wolle „im Interesse unserer hier wohnenden Mieter eine gewisse Harmonie in Zusammenhang mit Alter, Sozialstruktur, kulturellen und traditionellen Gewohnheiten sicherstellen." Die Neuköllner Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land verweigert türkischen und arabischen Familien den Zuzug, der Beschäftigungsträger BEQUIT GmbH installiert dort Second-Hand-Sicherheitsdienste, die aus Arbeitslosen rekrutiert werden, und läßt sich das aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt" kofinanzieren. Zur Durchsetzung solch gewisser Harmonie kommen andernorts private Sicherheitsdienste zum Einsatz, so etwa die mit Hunden durch Marzahner Wohngebiete patrouillierende Securitas GmbH.

Ausgrenzung via Wachschutz beschränkt sich also nicht auf innerstädtische Areale. Auch kann keine Rede davon sein, daß sozialpolitisch engagierte Wohnungsbaugesellschaften ihren „überforderten Nachbarschaften" in der polarisierten Stadtgesellschaft den Rücken stärken wollten. Tatsächlich sortieren sie unter Zuhilfenahme privater Sicherheitsdienste, mit Quartiersmanagement und „Sozialer Stadt" die Struktur ihrer Mieterklientel neu.

Arme gegen Arme in Anschlag gebracht

Sicherheitsfirmen profitieren nicht nur von Ausgründungen großer Konzerne, sondern betreiben sie mittlerweile selbst. So auch die IHS Beschäftigungs- und Qualifizierungs-gGmbH (IHS BQ), eine gemeinnützige Tochter des Sicherheitsdienstes Industrie- und Handelsschutz GmbH, die zu den Marktführern gehört. Die Branche kooperiert auch mit freien Trägern und drängt damit in die aktive Arbeitsmarktpolitik. Gleichzeitig wird das Politikfeld Innere Sicherheit von freien Trägern und Kommune erschlossen.

Durch die Verknüpfung beider Politikfelder (Arbeitsmarkt- und Sicherheitspolitik) werden nun kostengünstig Arme gegen Arme in Anschlag gebracht ­ was wohl kein Zufall ist, denn solche Projekte werden gern als notwendiger „Beitrag zur Selbstregulation der Quartiere" verkauft. Ist nun, wenn etwa Sozialhilfeempfangende und Langzeitarbeitslose über Programme wie Hilfe zur Arbeit oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) als sog. Bürgerhelfer oder Sicherheitspartner gegen Armutsbevölkerung zum Einsatz gebracht werden, von Bemühungen um Integration zu reden? Ist daher Quartiersmanagement, dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt", dem Einzelhandel und ABM zu danken ­ oder handelt es sich nicht eher um neue Ausgrenzungstechniken durch verknüpfte Arbeitsmarkt- und Stadtentwicklungsprogramme? Was ist mit den Löhnen? Fragen, die sich zum Beispiel die als fortschrittlich gehandelte Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit (BAG Arbeit), ein Zusammenschluß freier Träger in der BRD, stellen könnte ­ immerhin ist die IHS BQ dort Mitglied.

Die jedenfalls vermittelt seit 1991 Arbeitslose – nach Vorauswahl, mit öffentlich finanzierter Beschäftigung und Kurzschulung – in Berliner Wachschutzunternehmen. Dabei nimmt, wie sie heute schreibt, die IHS BQ „auch die Funktion wahr, dem Arbeitsamt gegenüber Hinweise auf Arbeitsunwilligkeit von Maßnahmeteilnehmern zu übermitteln. Es gibt keine Tarifbindung; die Tarife sind an den gewerblichen Niedriglohnbereich angelehnt. [...] Die Orientierung auf das Niedriglohnsegment des Arbeitsmarktes erscheint weiterhin als sinnvoll. Dies bedeutet auch, schon in den Maßnahmen sehr geringe Personalkosten anzusetzen. Die Kosten pro Arbeitsplatz in ABM sind bei der IHS BQ GmbH um ein Drittel geringer als der Durchschnitt."

Sichere Niedriglöhne in der Sozialen Stadt

Ein ähnliches Projekt begann im Herbst 1999 unter Beteiligung des Arbeitsamtes in Zusammenarbeit mit dem bbw Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin-Brandenburg, der debis AG und den Sicherheitsdiensten Gegenbauer und Securitas GmbH. Sogenannte benachteiligte junge Menschen sollen im Rahmen des ABM-Projektes „Potsdamer Platz-Bewachungsdienste" Aufgaben im Rahmen der Wach- und Streifendienste übernehmen. Finanziert aus dem Jugendsofortprogramms JUMP soll bis August 2001 jungen Menschen die „Chance zu einer wirtschaftsnahen praktischen Tätigkeit gegeben" werden. Es werden lediglich Praktikumsverträge abgeschlossen, ein Berufsabschluß ist mit der Maßnahme nicht verbunden.

Solche Maßnahmen, die sich als „Integrationsprojekte" verstehen, werden nicht allein vom Sicherheitsgewerbe, sondern auch von den Bezirken entwickelt. So schufen im April 1999 die Wohnungsbaugesellschaft WIR, das Bezirks- und Arbeitsamt sowie der gemeinnützige Träger Internationaler Bund in Schöneberg für Jugendliche ein Projekt, das ebenfalls aus dem JUMP-Programm sowie EU-Mitteln finanziert wird. Drei Millionen Mark zahlt das zuständige Arbeitsamt, die Wohnungsbaugesellschaft beteiligt sich mit 44000 Mark. Jugendliche werden als uniformierter Wachdienst eingesetzt und sollen für Sauberkeit sorgen, Drogenhandel und Überfälle verhindern.

Angeleitet werden die Jugendlichen vom Gegenbauer-Sicherheitsdienst: „Wir werden den Streifendienst immer dorthin schicken, wo Jugendliche, Penner oder Drogensüchtige herumstehen", so der Geschäftsführer. Ähnliche Projekte gibt es in anderen Bezirken. Auch hier ist von wie auch immer qualifizierenden Berufsabschlüssen nicht die Rede.

Was ist also zu beobachten: Erstens wird unter Beteiligung sowohl großer Konzerne wie freier Träger ein Klientel mit öffentlichen Geldern in Vertreibung vorgeschult, zweitens feiern alle Beteiligten diese Schulung in Ausgrenzungspraktiken als Integrationsleistung aktiver Arbeitsmarktpolitik zur Stabilisierung der Quartiere und drittens schließlich spielen Arbeitsinhalte wie -bedingungen und -perspektiven bei diesen Akteuren offensichtlich keine Rolle. Vierzehnstündige Dienstschichten im Gewerbe, (fehlende) Qualifikationen, entgarantierte und schlechte Arbeitsbedingungen sind bekannt, im Ausgrenzungsdiskurs aber kein Thema.

Das gilt auch für das Aufgabenfeld, die Durchsetzung von Partikularnormen: Was etwa Wohnungsbaugesellschaften, Einzelhandel, Sicherheitsbehörden oder schlicht Volkes Stimme als „unerwünschte Person" gilt, soll kontrolliert, zurechtgewiesen und vertrieben werden. Gerade diese je spezifischen Partikularnormen ­ der eine will seine Ruhe, die andere ihren Profit ­ sind hochkompatibel mit kleinräumigen und problemorientierten Ansätzen der jüngeren Stadtentwicklungs- und Arbeitsmarktpolitik neosozialdemokratischer Prägung, die explizit auf Strategien und Taktiken von Fall zu Fall und von Ort zu Ort abheben: paßgenauer Arbeitszwang durch „Case management" beim Sozialamt etwa, das sauber und ordentlich gemanagte Quartier, rassistische Belegungspraxis durch Wohnungsbaugesellschaften.

Man wird das im Auge behalten müssen, wenn demnächst in diesem Theater dann wieder von der sozialen und sicheren Stadt die Rede ist.

Volker Eick

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