Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Im Namen des Volkes

Der Berliner CSD geriert sich antifaschistisch

Die Christopher-Street-Day-Paraden von Kiel bis Ravensburg sind ein buntes, auch ein lukratives Spektakel. Homos, die nichts Besseres zu tun haben, können von Anfang Juni bis Ende Juli diverse Parties besuchen. Sie finden statt unter Mottos wie „Anders ist richtig rum" (Hamburg), „Stuttgart ist bunt" oder „Im Namen des Volkes: Traut Euch!" (Köln); denn von der einst politischen Schwulenbewegung ist bloß eine FDP-kompatible Ehe-Lobby übriggeblieben. Der Berliner CSD hat sich, letztes Jahr, als der staatliche „Antifaschismus" in voller Blüte stand, für 2001 das Motto „Berlin stellt sich que(e)r gegen rechts" gegeben. Die „Siegessäule", das Lifestyle- und Werbeblatt für den Berliner Homosexuellen, nennt das „eine klare Aussage gegen Intoleranz und Minderheitenfeindlichkeit"; die Deutsche Aids-Hilfe schaltet eine Anzeige, die das Profil eines bösen Skins zeigt, der einem Normalhomo mit etwas längeren Haaren grimmig in die Augen blickt. Nur blöd, daß der böse Skin ziemlich genau dem schwulen Schönheits-ideal unserer Tage entspricht, worüber einen ein Besuch in der Greifbar oder im lab.oratory belehren kann. Wohlmeinende Kommentatoren meinen, die schwulen Skins sollten doch zumindest auf weiße Schnürsenkel verzichten, Hardcore-Fetischisten lehnen das ab; der „Skinmaker", ein Blatt für schwule Skinheads, spricht gar von einer „antifaschistischen Pogromstimmung gegen alles, was auch nur nach Nazi aussieht".

Aber nicht nur Homo-Skinheads wenden sich gegen die „gut gemeinten Aktionen gegen Rechts". Am 23. Juni, dem Tag des großen Berliner CSD-Umzugs, findet um 18 Uhr wieder eine alternative Kundgebung auf dem Kreuzberger Oranienplatz statt. Der bereits im Vorfeld veröffentlichte Aufruf „Wir stellen uns quer gegen den staatlichen Rassismus" ist die einzige vernünftige Wortmeldung in der ganzen Que(e)r-Rechts-Debatte. Zum „Schöneberger" CSD und seinem Motto heißt es dort: „Und wieder macht die Übernahme des staatlichen Anti-Nazi-Kampfs durch die Zivilgesellschaft halt vor einer Kritik an Abschiebepolitik und institutionellem Rassismus." Sicher ist es doof, wenn der Partner oder die Partnerin aus einem Nicht-EU-Land stammen, aber das wird sich schon durch ein Ehe-Gesetz regeln lassen. Ein sogenannter „Zivilcouragepreis" wird auf der Abschlußkundgebung des großen CSD ausgerechnet an das „Schwule Überfalltelefon" von Mann-o-Meter verliehen. „Dieses erstellt", so die Kreuzberger in ihrem Aufruf, „seit zehn Jahren quasi in staatlichem Auftrag und gegen andauernden Protest Gewaltstatistiken entlang „rassischer" Kriterien, also physischer Merkmale, die als „südländisch" empfunden werden.

Florian Neuner

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