Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Korsar oder Freibeuter

Einblicke in Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens

"Die meisten Menschen müssen ein monotones Leben führen. Beamte, Fabrikarbeiter und Angestellte folgen jahrein, jahraus einer täglichen Routine. Welchen größeren Kontrast könnte es dazu geben als das Piratenleben? Die Piraten standen außerhalb der Gesetze und Regeln, die für die meisten von uns gelten. Sie rebellierten gegen die Obrigkeit und gaben sich eigene Gesetze. Sie traten aus der tristen Welt verregneter Straßen in sonnige Gefilde. Wir sehen sie vor uns, wie sie am Strand liegen, in der Hand eine Flasche Rum, neben sich eine schöne Frau, während vor der Küste ein schnittiger schwarzer Schoner darauf wartet, sie zu fernen, exotischen Inseln zu bringen." So erklärt David Cordingly im Nachwort "Faszination der Piraterie" das anarchische Element derselben. Seine Untersuchung "Unter Schwarzer Flagge" ist im Untertitel zu Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens eingegrenzt. Die Studie umfasst 220 Seiten und einen kurzen Appendix, in seinen Kapiteln geht der Autor Themen wie "Stürme, Schiffbrüche und das Leben auf See", "Pirateninseln und andere Schlupfwinkel", "Gewalt und das Aussetzen auf einsamen Inseln" auf den Grund.

Bemerkenswert an diesem Buch sind nicht etwa die nacherzählten und sattsam bekannten Piratenbiografien einiger "Großer" der Zunft, sondern die akribisch erarbeitete Faktensammlung. Der "Schlüssellochblick" in das Leben der Piraten wird so spannend dargeboten, dass den Leser die eine oder andere Gänsehaut befällt. Natürlich sind die Foltermethoden der Piraten höchster Garant für ein entsetztes Schaudern: "Eine besonders teuflische Methode hatte sich Montbars von Languedoc ausgedacht: Er schnitt seinem Opfer den Bauch auf, zog ein Stück Darm heraus, nagelte es an einen Pfahl und zwang den Unglücklichen dann, sich zu Tode zu tanzen, indem er ihn mit einem glühenden Holzscheit aufs Gesäß schlug."

Cordingly klärt die Unterschiede zwischen den Begriffen Pirat, Freibeuter, Korsar und Bukanier. Nach Heinrich VIII. galten "nicht nur räuberische Überfälle auf hoher See als Piratenakte, sondern auch alle Verbrechen, Diebstähle und Morde, die in einem Hafen, einer Bucht, auf einem Fluss und überall dort verübt wurden, wo die Admiralitätsgerichte zuständig waren." Die Definition von Piraterie des International Maritime Bureau London/Kuala Lumpur klingt heute noch ähnlich: "Das Betreten eines Schiffes oder Bootes in der Absicht, Diebstahl oder ein anderes Verbrechen zu begehen – mit der Absicht oder Fähigkeit, Gewalt im Verfolg dieses Aktes anzuwenden – stellt Piraterie dar."*

Mit einigen Abbildungen versehen, erhellt Cordingly sehr anschaulich, wie Piraten verfolgt, gefasst und gehenkt wurden und wie sie zu ihrem Beruf kamen. Wir erfahren, auf welchen Weltmeeren sie sich herumtrieben und auf welchen Inseln sie zeitweise sesshaft wurden. Es fehlen manche Kapitel der internationalen Seeräubergeschichte, die der Ost- und Nordsee zum Beispiel. Diesen Mangel gleichen die gut überarbeiteten englischen Quellen aus. Der Autor entnahm ihnen Schilderungen, die Berichten Forschungsreisender zu wilden Stämmen ähneln. Die ursprüngliche Intention Cordinglys, Legende von der Wirklichkeit des Piratenlebens zu trennen, ist ein unromantisches Unterfangen. So wird zum Beispiel unterschieden, welche Schiffstypen die Schriftsteller für die Beschreibung ihrer Piratenfahrten bevorzugten und welche die Regisseure. Das berühmteste aller Piratenschiffe, die Hispaniola aus Robert Louis Stevensons 1883 erschienener Erzählung "Die Schatzinsel" ist ein Schoner. Regisseure aufwendiger Piratenfilme verwendeten gewöhnlich große Dreimaster oder spanische Galeonen. "Dass nur wenige Piratenschiffe eine annähernd vergleichbare Größe besaßen, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der Piratenmythos die Wirklichkeit überlagerte." Doch ohne sich den Mythos vermiesen zu lassen, kann man bei Cordingly einige kurzweilige Details der "echten" Piratengeschichte entdecken.

aha

*aus: mare Nr.7 April/Mai 1998 Piraten & Meuterer

David Cordingly, "Unter schwarzer Flagge/Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens", aus dem Englischen von Reiner Pfleiderer und Wolfram Ströle, Sanssouci Verlag Zürich, 1999, 244 Seiten, 39,80 Mark

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