Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Boulevard gaga

Der Walter Serner-Preis 2000 und „Max" von Daniel Klaus

Juroren

Freitag, 24.11. Abends. Der Saal im Literaturhaus beginnt sich zu füllen. Freie Plätze werden allmählich rar. Ein älterer Herr weist Nachkommende ein. Klappstühle werden gebracht. Hier, neben der Dame ist noch ein Platz frei. Ja, gern geschehen. Lachen. Gehüstel. Pünktlich tritt der ältere Herr ans Pult, stellt sich vor, spricht einige Formeln ins Mikro, dankt der Jury, dankt Daniel Klaus und den Vorjahressiegern, dankt der Bertelsmann AG. Beifall. Er bittet Frau Reschke ans Pult. Frau Reschke aus Berlin. Sie ist Autorin und war Mitglied der Jury. Beifall. Frau Reschke hält die Laudatio. Sie spricht von Erzählungen, die „unsere kleine literarische Welt in Atem halten“, und gibt einen historischen Ausblick auf die Kurzgeschichte. Kleist habe sie erfunden. Von Hemingway und Djuna Barnes sei sie im 20. Jahrhundert weiter entwickelt worden. Dies die Namen, die sie nennt. Kein Boccaccio. Kein Poe und kein Kafka können diese Einsicht trüben. Am Ende der Kurzgeschichte stehen Judith Hermann und „Max“, zu dem der Autorin eigentlich nichts einfällt, außer, dass es um die Begegnung zweier Männer geht. Beifall. Eine Urkunde wird überreicht; klarsichthüllengeschützt.

Junior

Daniel Klaus nimmt am breiten, schweren Tisch Platz. Gleich mit dem ersten Satz hat er die Stimmung temperiert. Der Ton ist leise, trocken und extrem humorlos. Hauptsätze. „Max“ und Ich. Vermeidung der Metapher, des Bildes; Daniel Klaus phantasiert nicht, er berichtet. „Max“ - eine Erzählung, die gleich mit dem ersten Satz benennt, was sie nie mehr verlassen wird: die konventionell erstickte Form.

Junge, Junge

„Ein neues Jahr hatte begonnen.“
„Der Frühling kam. Zuerst waren es nur einige Tage...“
Dann wurden es mehr. Ein ewiges Thema.
„Max verliebte sich.“
„Er fand alles großartig, was man ihm erzählte.“
„Das ging mehrere Wochen so.“
„Ich fand sein Verhalten ziemlich
albern.“
Das ging, wie gesagt, mehrere Seiten so.
„Um 10 klingelte das Telefon.“
Ich geht ran.
„Max begann zu heulen.“
Tragik des Scheiterns.
„Ich dachte an Anna.“
Anna ist die Freundin des jungen Studenten Ich.
„Er weinte leise vor sich hin.“
Rührung, und wunderbar (dank ISDN):
„Max schaute mich an.“
Erhöhung des Blicks, und
„Draußen scheinte die Sonne, als wäre nichts geschehen.“
Sie schien nicht, sie scheinte. Der Tag ging weiter.
„Nachts konnte ich wegen den gleichen Fragen nicht schlafen.“
Ihm tagt erneut:
„Es war Nachmittag, das Fenster war gekippt, ...“
und fast auch die Stimmung:
„Andererseits war ich froh, dass er überhaupt etwas sagte.“
Wie geht’s?
„‘Beschissen’, mir geht es genauso, und da begannen wir zu lachen.“ Lachen löst.
„Ich stellte ihm die Frage, die ich ihm stellen wollte.“
„Schließlich fragte ich ihn.“
„Mir fiel zum ersten Mal auf, dass er blaue Augen hatte, wie Anna.“
„Es war der wärmste Juli seit Jahren.“
„Wir hörten Bob Marley.“
„Wir tranken Wein aus Flaschen und alles schien so einfach.“ Es scheinte nicht, es schien, doch.
„dann ging die Kerze aus.“
Ich und Max im Dunkeln.
„Wir saßen im Dunkeln.“
Und Ich bemerkt „einen kleinen Unterschied, den ich nicht benennen konnte.“
Differenz.
„Ich zählte die Sterne.“
„Wir hatten uns über einen Monat nicht gesehen.“
Und jetzt auch im Dunkeln nicht.
„Max erzählte mir von seinem Freund.“
Und Ich ist gerade ohne. Junge, Junge, alles schien so einfach.
(Beifall)
Als einer der Anwesenden nach der Lesung aufsteht, und bemerkt, das Gebotene werde dem Namen Walter Serners nicht gerecht, entsteht ein kleiner Tumult. Kurzer Beifall. Der Vorsitzende ergreift die Gelegenheit und kurz danach das Mikrophon. Es sei gar nicht erwünscht, dass einer wie Serner schreibe. Aber ein Literaturpreis brauche nun einmal einen Namen. Beifall.
Gut, aber dann bitte unterm richtigen Namen. - Nicht dem des Begründers von Dada, Serner, sondern: Boulevard gaga soll er heissen. definitif
w.lms@berlin.de

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