Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
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Der hinterhältige Charme der Bourgeoisie

Isabelle Huppert brilliert in Chabrols „Süßes Gift"

Man nehme eine Krimivorlage vorzugsweise angelsächsischer Herkunft, lasse eine beängstigend-mysteriöse Atmosphäre aufbrodeln, würze mit hervorragenden Darstellern und gieße eine gehörige Portion Ironie über das Ganze: Fertig ist der Chabrol. Seit nunmehr 40 Jahren bedient sich der Mitbegründer der „Nouvelle Vague" filmischer Rezepte, die fast immer aufgehen. Sein neues Werk „Süßes Gift" (Merci pour le chocolat) ist wieder ein bittersüßer cineastischer Leckerbissen.

Nach Muse und Ex-Gattin Stéphane Audran in den 70ern bereichert nun die wundervolle Isabelle Huppert das Universum des Altmeisters. „Süßes Gift" ist ihre sechste Zusammenarbeit mit Chabrol. Durfte sie als vorlaute Postangestellte am Schluss von dessen Meisterwerk „Biester" (1993) noch eine großbürgerliche Familie niedermetzeln, mimt sie hier eine Vertreterin eben dieser, von Chabrol so innig gehassten, Klasse.

Alles beginnt sehr beschaulich in der zur Postkartenidylle stilisierten Schweiz: Marie Claire „Mika" Müller (Huppert), die Erbin eines Schokoladenimperiums, ehelicht nach jahrelangem Zusammenleben den berühmten Pianisten Polonski (herrlich zerstreut: Jacques Dutronc). Dieser bringt seinen so talentlosen wie trotteligen Sohn Guillaume in die Ehe. Aber ist er wirklich sein Sohn? Das Klaviertalent Jeanne, zufällig am selben Tag wie Guillaume geboren, behauptet jedenfalls, im Krankenhaus mit ihm vertauscht worden zu sein. So verschafft sie sich Zutritt zu Polonskis Haus und bekommt zur Belohnung für ihre Dreistigkeit privaten Musikunterricht vom Meister, der der jungen Schönheit nicht abgeneigt ist. Auch die kinderlose Mika empfängt sie herzlich. Doch deren betont freundliche Fassade macht Jeanne misstrauisch. Etwas ist faul in dem makellosen Hause Polonski: Warum verabreicht Mika etwa ihrem ahnungslosen Stiefsohn all-abendlich einen Kakaotrunk, der voller Schlafmittel ist?

Mit spürbarer Freude verkörpert Huppert die emotional leere, machtbesessene Mika, ganz im Sinne ihres Regisseurs und dessen Spaß am (Ver-wirr-) Spiel. So wie Mika als ordentliche Hausfrau an einer spinnennetzähnlichen Handarbeit strickt, spinnt auch Chabrol ein Netz von Intrigen und Neid, in dem am Ende nicht unbedingt die vermuteteten Opfer zappeln. Die Schlauen sind am Schluss die Dummen, Einfalt wird nicht bestraft, sich in Sicherheit wiegende List umso mehr. Die Parallelkonstruktionen und die Psychologie interessieren Chabrol dabei nicht wirklich. Er amüsiert sich lieber, spielt mit der Verwechslungsepisode etwa direkt auf Etienne Chatiliez' „Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss" an. Das Bürgertum entlarvt Chabrol am Beispiel Mikas einmal mehr als überholtes Modell, wenn auch nicht mit derselben grimmigen Konsequenz wie in „Biester". Damit bleibt er als wahrer Könner sich selbst treu und ist dennoch nicht redundant. Merci Chabrol, vergiften Sie uns bald wieder!

Kira Taszman

Chabrols Süßes Gift (Merci pour le chocolat), F 2000. Regie: Claude Chabrol. Mit: Isabelle Huppert, Jaques Dutronc, Anna Mouglalis, Rodolphe Pauly u.a.
Kinostart: 4. Januar 2001

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