Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Abschiebung vor Aussage

Opfer rechter Gewalt kurz vor Prozessbeginn nach Polen abgeschoben

Vor einigen Wochen sorgte ein Brief von Bundespräsident Wolfgang Thierse für Schlagzeilen. Der SPD-Politiker warf dort dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) vor, für die Abschiebung Opfer rechter Gewalt aus Deutschland die Verantwortung zu tragen. Doch Brandenburg steht mit dieser Praxis wohl nicht allein.

Vor wenigen Tagen hat sich das Berliner Abgeordnetenhaus mit einem ähnlichen Fall in Berlin beschäftigt. Der bündnisgrüne Abgeordnete Hartwig Berger wollte in einer kleinen Anfrage wissen, wie die Abschiebung des Opfers eines „vermutlich rechten Überfalls"zu rechtfertigen sei. Man habe bei der Abschiebung nicht gewusst, dass der junge Pole, der in einem Abbruchhaus angetroffen und abgeschoben wurde, wenige Tage später als Zeuge vor Gericht aussagen sollte, rechtfertigte sich Berlins Innensenator Eckart Werthebach.

Es war vor allem dem Polnischen Sozialrat zu verdanken, dass der Fall überhaupt bekannt geworden war. Ein polnischer Punk, der im Juli vergangenen Jahres bei einer Auseinandersetzung mit einem Rechten vor die S-Bahn gestoßen wurde und dabei einen Arm und ein Bein verloren hatte, wurde Anfang November nach Polen abgeschoben. Wenige Tage später sollte er vor Gericht über den Tathergang vernommen werden. Der Angreifer, ein Bauarbeiter aus Berlin, bestritt im Prozess jede rechtsextreme Gesinnung und stellte das Geschehen als Unglücksfall hin. Als Verteidiger hatte er allerdings mit dem langjährigen Führer der mittlerweile verbotenen rechtsextremen Wikingjugend, Wolfgang Nahrath engagiert ­ einen Staranwalt der rechten Szene. Nachdem sich der Angeklagte ein Hakenkreuz-Tattoo am Arm, das Auslöser für den Konflikt auf den S-Bahnhof war, mittlerweile übertätowieren ließ, wurde der Anklagepunkt der Zurschaustellung verfassungsfeindlicher Embleme vom Amtsgericht Tiergarten fallengelassen. Auch vom Vorwurf der schweren Körperverletzung wurde er aus Mangel an Beweisen am 9. November freigesprochen.

Der Anwalt des Opfers hat ­ unterstützt vom Polnischen Sozialrat ­ Berufung gegen den Freispruch eingelegt. Er will den Fall erneut vor Gericht bringen und dieses Mal auch den Schwerverletzten hören. Da das Gericht mit der Begründung, die finanziellen Hintergründe des jungen Polen seien nicht bekannt, einen Antrag auf Prozessbeihilfe ablehnte, hat der Polnische Sozialrat bisher sämtliche Kosten für die Nebenklage getragen. Dabei sei die finanzielle Situation seines Verbandes äußerst prekär, betont Mariusz Preogowski vom Sozialrat, der mittlerweile zur Finanzierung des Revisionsverfahrens eine Spendenkampagne gestartet ht.

Peter Nowak

Spenden für das Wiederaufnaheverfahren: Polnischer Sozialrat e.V., Konto-Nr. 3375409, BLZ 100 205 00, Bank für Sozialwirtschaft, Infos über den Fall: www.polskarada.de

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2000