Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wie konnte ich entkommen?

Es war der alte Trick mit der Tageskarte. Man würde einen Autofahrer spielen, der zu stempeln vergessen hatte. Ich steckte zehn Mark in den Kasten und wählte die Uhr. Ratternd kamen Wechselgeld und Fahrschein.

Kaum aus dem Bahnhof raus, bemerkte ich es. „Vergessen zu stempeln", schoss es mir durch den Kopf, „also doch Alzheimer". Nächster Halt: Prinzenstraße.

Unmöglich aus meinem Wagen zum Entwerter zu gelangen. Kottbusser Tor stiegen sie zu. Mein Puls raste. „Warschauer Straße. Da ist der nächste Stempelschlitz auf meinem Weg. Da schau mer mal", begann mein Schwarzfahrerhirn zu arbeiten.

„Die Fahrausweise mal bitte zur Kontrolle", da steht einer direkt vor meiner Nase. Ich zeige ihm die Tageskarte. Er schaut sie sich genau an. Von allen Seiten. Sie ist nicht gestempelt.

„Haben sie noch einen anderen Fahrschein?", fragt höflich der Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens.

In diesem Moment bemerke auch ich meinen Fehler: „Oh, der ist ja nicht gestempelt."

Er fragt mich, ob ich wisse, dass das 60 Mark kostet, ich hab das Geld schon abgezählt bereit. ‚Der Untertan', von Heinrich Mann fällt mir ein, dass ich dem angeblich ähnlich sehe, und ich fühl mich auch so. Er sagt, ich könne auch einen Zahlschein haben. Nein! Ich zahle bar (wg. Datenschutz).

Wir steigen aus. Wir stehen uns gegenüber. Dann spiele ich meinen Trumpf aus. Ich zeige ihm die ADAC-Mitgliedskarte. Er blickt sich um. Er nickt. „Na, denn gehen Sie mal da hinten stempeln", raunt er und dreht sich weg. Ich sage: „Vielen Dank", entwerte und nehm den nächsten Zug.

Der alte Trick mit der Tageskarte: Ein Tipp aus dem ADAC-Magazin. Wusste ich vorher auch nicht, dass es da eine Absprache gibt zwischen Daimler-Chrysler, dem ADAC und dem Berliner Senat, dass man bei Vorlage des Mitgliedsausweis keine 60 Mark zahlen muss. Aber so isses. Ihr könnts gerne ausprobieren. Wer Auto fährt, soll nicht auch noch bestraft werden, wenn er die BVG benutzt.

Ein Opfer für Berlin - Beginn einer Fortsetzungsgeschichte im BVG-Milljö

Sprechen wir von den zivilen Fahrgastbestreuern im 100er Bus. „BerliSchnau" heißen sie im Behördendeutsch. Diese bundesweit einmalige ABM-Maßnahme scheut den grellen Medienrummel. Sie tun ihre Pflicht. Für Berlin. Stille Helden. Seit 10 Jahren „reiten" sie den 100er und verbreiten ihre Botschaft. Eine Aufgabe nicht ohne Risiko.

„Nicht in jedem Bus sitzt ein Mitarbeiter", erklärt mir Helmut Kleinschmidt von der Senats-Verkehrs-Verwaltung, Projektleiter BerliSchnau. In seinem gläseren Büro in der Gormannstraße sitzen wir uns gegenüber in weinroten Ledersesseln. „Wir erreichen zur Zeit lediglich 8% des Betriebsaufkommens", gibt er zu. Ich sage: „Immerhin".

„Die Arbeit ist nicht ungefährlich. Wissen Sie, die meisten meiner Mitarbeiter sind Geisteswissenschaftler. Die habens hier (er tippt sich an die Stirn) aber nicht hier (=keine Muckis). Trotzdem waren in diesem Jahr schon zwölf meiner Leute in Schlägereien verwickelt."

„Die Aggression geht immer von den Einheimischen aus", weiß Michael K., ein langjähriger ziviler Fahrgastbereuer. Er lädt mich ein, ihn einmal zu begleiten, auf seiner täglichen Tour mit dem 100er.

Am Zoo stiegen wir ein. Sofort war er als Berliner kenntlich. Neugierige Blicke tasteten ihn ab. Mir hatte man immerhin eine Kamera in die Hand gedrückt, so war ich getarnt.

Bei Einfahrt in den Tiergarten begann er ein Gespräch mit einem Stuttgarter Ehepaar. Wartete noch ab. Zimmerlautstärke. Das Haus der Kulturen der Welt war sein Startsignal. Michael erhob die Stimme: „Schwangere Auster ist das. Sollten Sie wissen. 'n Geschenk vom Amerikaner. Alles Pfusch natürlich, is schon mal eingestürzt. Ham wir wieder aufgebaut. Sind ja nicht undankbar. ­ Sind ja Berliner."

Ein paar Japaner applaudierten.

Hans Duschke

Wie es weiterging, ob noch ein Berliner im Bus saß, und wie es zu dem schrecklichen Unfall kommen konnte, erfahrt ihr dann beim nächsten Mal.

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