Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Wohnen darf nicht Ware sein

Fortführung der "Wohnungspolitischen Selbsthilfe" gesichert

Trotz knapper öffentlicher Finanzen scheint die Fortführung des Förderprogramms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" gewährleistet und auch vom Senat gewollt.

Noch am Jahresanfang hieß es: Selbsthilfe in Not! So titelte die Mietergenossenschaft Selbstbau e.G. aus dem Prenzlauer Berg in ihrer Stadtteilzeitung "Vor Ort". Es lagen Förderanträge für 100 Millionen DM vor. Doch die Senatsverwaltung für Finanzen, so schrieb der AKS (Arbeitskreis Berliner Selbsthilfegruppen im Altbau e.V.) in einer Stellungnahme "hat 1998 erstmals in der Geschichte des Programms den Abschluss von Förderverträgen unter Hinweis auf die bereits erfolgte Ausschöpfung des Rahmens (30 Mio DM) verweigert." Das bedeutete, dass auf die für 1998 genehmigten Projekte schon die Fördersummen von 1999 verteilt werden mussten. Für dieses Jahr war auf einmal kein Geld mehr da. Alle Projekte, die für 1999 vorgemerkt waren, wurden auf die Folgejahre vertröstet. Und da das Programm zum Jahresende auslaufen sollte und ein neues noch nicht aufgelegt war, standen etliche Hausprojekte angesichts einer vielleicht auf Jahre verschobenen Auszahlung vor dem Aus.

Von der Straße zur Schubkarre

Doch nachdem das politische Engagement und die Öffentlichkeitsarbeit der Projekte und ihrer Aktiven in den letzten Jahren wohl etwas eingeschlafen waren "rafften sich angesichts der drohenden Pleiten", so der AKS erleichtert in seinem Rundbrief 1/99, "verschiedene Gruppen und Institutionen auf, es wurde eine ordentliche Öffentlichkeits- und Politikeragitationskampagne initiiert." Am Ende beschloss der Hautausschuss des Abgeordnetenhauses "gegen den Willen der Finanzverwaltung" (AKS) eine Aufstockung des Fördervolumens, zuerst auf 65 Mio DM, später sogar auf 100 Mio DM. Die Mittel dazu kamen aus dem Topf "stadtweite Maßnahme"´. Aufatmen in der Szene: Fast alle förderungsreifen Projekte waren damit abgedeckt.

Das Programm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" wurde zum ersten Mal im Oktober 1981 in Westberlin aufgelegt "damals auch ein Instrument zur Befriedung der Hausbesetzerszene". Bedingung einer Förderung ist nämlich, dass ein Teil der Sanierung in Selbsthilfe, dass heisst durch Eigenarbeit, erbracht werden muss. "Von der Straße zur Schubkarre" hieß das Stichwort. Etwa 300 Projekte haben seitdem das Programm durchlaufen. Der Schwerpunkt der Förderung hat sich seit Anfang der 90er Jahre in den Ostteil der Stadt verlagert, wo eben mehr Bedarf bestand und besteht.

Seit 1981 gibt es auch den AKS, der sich als politische Vertretung und Beratungseinrichtung der Selbsthilfeprojekte betätigt. Getragen wird er zur Zeit von etwa 35 Hausgemeinschaften. Der AKS sei die einzige Interessenorganisation der Berliner Hausprojekte, gibt Fabian Tacke an, bei dem im Moment die Geschäftsstelle des Vereins ist. Anfang der 90er Jahre waren noch 5-6 ABM-Kräfte beim AKS beschäftigt, Tacke war 1991-93 eine von ihnen. 1997 fiel die letzte dieser Stellen weg, der Bedarf an Beratung schien gesunken. Tacke sieht Gründe in einer "Tendenz zur Individualisierung". Inhaltliche Aspekte bei den Wohnprojekten würden in den letzten Jahren in den Hintergrund treten, das Engagement, sich zu vernetzen, ließe nach. Es ginge heute oft eher ums "Schöner Wohnen".

Schwerpunkt ökologische Stadterneuerung

"Wohnen darf nicht Ware sein", ist dagegen das Motto des AKS. Man sieht die Selbsthilfe "in der Tradition des genossenschaftlichen, solidarischen Wohnungsbaus", den es in Deutschland schon seit 1889 gibt. In den 90er Jahren gab es in Berlin einige Neugründungen, so die Selbstbau e.G. und die SOG, die Selbstverwaltete Ostberliner Genossinnenschaft, zu der drei ehemals besetzte Häuser in Friedrichshain gehören. Ihr Hauptproblem ist, dass sie zu klein sind, um sich bezahlte Verwaltungskräfte leisten zu können. Alle Arbeit geschieht ehrenamtlich. Da bleibt oft keine Kraft mehr für Öffentlichkeits- oder politische Lobby-Arbeit. Die dann der AKS alleine übernehmen muss.

Die Tendenz bei den Projekten der Selbsthilfe gehe inzwischen aber eher zur GbR, der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, so Tacke. Bei der GbR sind alle Mitglieder rechtliche Einzelpersonen, d.h. ihnen gehört anteilig der Besitz. Das Programm der wohnungspolitischen Selbsthilfe beinhaltet zwar eine Schutzfrist, aber nach 15-25 Jahren ist die Aufsplittung in Eigentum möglich. Bei den ersten Westberliner Projekten von Anfang der 80er Jahre geschehe das bereits. Mit ein Grund für die Entscheidung zur GbR sei allerdings auch, dass zunehmend ganz normale Mietergemeinschaften ihre Häuser kauften. Die hätten keinen politischen Ansatz, sondern wollten einfach in ihren Wohnungen bleiben, wenn z.B. die Wohnungsgesellschaften verkauften. Für diese "Klientel" sei eine GbR die einfachste Lösung. Der AKS legt derweil neue Schwerpunkte auf die "ökologische Stadterneuerung". Hierzu gehören zum Beispiel eigene Blockheizkraftwerke für die Häuser, was sich sowohl umweltentlastend wie energiesparend auswirkt.

Von der Wirksamkeit der Förderung überzeugt

Das Förderprogramm für 1999 ist also gerettet, aber die Konditionen haben sich in den letzten Jahren "rabiat" (AKS-Rundbrief 1/99) verschlechtert. Wurden 1990 im Rahmen des im Bürokraten-Deutsch "ModInstRL" genannten Programms noch bis zu 85 Prozent der förderungsfähigen Kosten gewährt, müssen die Projekte mittlerweile bis zu 25 Prozent der Summe durch Selbsthilfe erbringen, was eine Arbeitszeit von 15-20 Stunden pro Woche für jeden Bewohner bedeutet "neben dem sonstigen Alltag". Darüber hinaus müssen 3/8 der Gesamtsumme als Kredit aufgenommen werden, nur die restlichen 3/8 kommen noch aus dem Fördertopf. In der Panik vom Jahresanfang wurde allgemein befürchtet, dass sich die Bedingungen im nächsten Jahr weiter verschlechtern würden.

Doch da gibt es inzwischen Entwarnung. Nachdem sich der Bauausschuss des Abgeordnetenhauses Mitte des Jahres bei einer Besichtigungstour zu einigen Projekten von der Wirksamkeit der Förderung überzeugt hat, hat sich der Senat "darüber verständigt, das momentane Selbsthilfeprogramm bis April 2000 weiterlaufen zu lassen", so Dr. Hucke, der Gruppenleiter für Sanierungs- und Instandsetzungsförderung beim Bausenat. Ebenso soll ein neues Förderprogramm aufgelegt werden in einer Größenordnung von 50 Millionen und zu den alten Bedingungen. Dies stehe aber alles noch unter dem Vorbehalt eines neuen Senats, betont Dr. Hucke, und dem neuen Haushalt müsse dann auch noch das Abgeordnetenhaus zustimmen. Doch der Senat habe Interesse am Programm einer sozialen Stadterneuerung, versichert er, man wolle eine "Selbstnutzungskomponente für kaputte Häuser", und das auch bei "starker Konkurrenz von Erwerbern". Was wohl heisst, die Häuser nicht nur denen zu überlassen, die genug Geld haben, sie zu kaufen, sondern auch denen, die schon darin wohnen und bereit sind, eigene Arbeit hineinzustecken, um bleiben zu können.

Wohnen eben nicht als Ware. Bleibt zu hoffen, dass der neue Senat genauso denkt.
Bernd Hettlage

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