Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ist ja geil

Rainald Goetz an der Partyfront

Vergnügt sein heißt einverstandensein.
M.Horkheimer/T.W.Adorno

Der Kult um sogenannte DJs markiert vermutlich die äußerste Schwundstufe, auf welche der Konsum industrieller Musik herunterkommen konnte. Das Recycling des Immergleichen wird zur Kunst verklärt, der Mann, der die Platten auflegt zur Projektionsfläche romantischer Phantasien von schier grenzenloser Einfalt: die Inkarnation des Originalgenies, der Heilsbringer. Nun, der Gerechtigkeit halber muß angemerkt werden, daß viele Techno-Anhänger auf solche hanebüchenen Überhöhungen ohnehin pfeifen, nicht mehr wollen als eine gelungene Party; das mag man gut finden, bedenklich oder schlicht unerheblich. Für den Schriftsteller und Berufsjugendlichen Rainald Goetz allerdings muß Techno alles kompensieren, was sich bei dem Ex-Linken an Frust und Ratlosigkeit offenbar angestaut hat.

"Er war im Bund mit Feen, Faunen und Teufeln." Dieser Satz von Rainald Goetz über DJ Sven Väth ist allem Anschein nach ernst gemeint, denn Ironie und Distanz sind ihm, der, was er für die Sache des Techno hält, der mit beispiellosem Bierernst und Übellaunigkeit verficht, vollkommen fremd. Gedruckt wird dieser Quatsch bei Suhrkamp. Celebration heißt Goetz' jüngste Textsammlung rund um Techno, ein "Buch, das man eigentlich nicht mehr lesen muß. Das einfach so rum liegt, in dem man bißchen blättert, das einen angenehm anweht, fertig", so der Wunsch des Autors. Gewiß muß man Celebration nicht lesen. Der Titel ist Programm: Verklärt und abgefeiert werden Parties und DJs, denen Goetz rund um die Welt nachreist. Wer sich aber nun von dem Buch Aufschluß darüber erhofft, warum die jugendliche Musikmode den 45-jährigen Schriftsteller derart umtreibt, wird enttäuscht. Goetz hat keine Sprache für die Trancezustände und Exzesse, denen er sich in den Techno-Clubs hingibt, seine Beschwörungsformeln sind banal und hilflos. Zudem verzichtet er auf die Anstrengung einer Argumentation, nach der das Aufplustern einer Musikmode zur Heilsbotschaft ja wirklich verlangen würde. Diesen Verzicht auf Diskurs, pure Affirmation, hält Goetz für provokant. Es ist jenes jämmerliche Aufbegehren gegen den vermeintlichen Korrektheitsterror, mit dem auch Leute wie Schlingensief um ein bißchen Medieninteresse buhlen. Vollends peinlich wird es, wenn Goetz am Techno den "Abschied vom Terror der Tonalität" rühmt. Davon, daß es ernsthaft arbeitende Komponisten gibt, die diesen Abschied bereits vor Dezennien vollzogen haben, scheint er noch nichts gehört zu haben. "Jeden verstehe ich, mit allem bin ich einverstanden, alles ist toll" - das ist die armselige Quintessenz von 280 quälenden, selbstverliebten, reich bebilderten Seiten (ja sicher, die üblichen Schnappschüsse von den Parties).

Damit, die Technobewegung als Antwort auf die Umbrüche von 1989 zu begreifen, mag Rainald Goetz recht haben. Jedoch anders als er denkt. Keine neuen Wege werden durch diese Musik erschlossen, keine Heilsbotschaft verkündet, vielmehr tritt hier Anfang der neunziger Jahre eine Jugendbewegung auf den Plan, die mit allem einverstanden ist, nichts zu sagen hat, nach keinen Alternativen sucht, vollkommen zahnlos - die Doofen, auf die das politische Personal der "Berliner Republik" gewartet hat, das den Staat neoliberal umbauen will und auch endlich wieder Krieg spielen.

Nach einem Artikel zur "Love Parade", der wieder nur so strotzte vor Heilskitsch und anti-intellektuellen Ressentiments, wurde Goetz von der Zeitschrift Texte zur Kunst zu einer Aussprache geladen. Artikel wie Gespräch finden sich in Celebration. Auf das Prekäre seiner Intellektuellenfeindlichkeit und der Affirmation des Massenerlebnisses ("Kirche der Ununterschiedlichkeit") angesprochen, weiß Goetz nichts zu erwidern, pocht nur immer wieder auf sein Recht, zu provozieren. "Die Lichterketten haben die Republik verändert", verkündet Goetz in dem Gespräch, "so Leute wie Thomas Gottschalk, Giovanni di Lorenzo (...)" Zynismus? Oder sind die letzten Gehirnzellen den stampfenden Rhythmen zum Opfer gefallen?
(Um nicht selbst allzu übellaunig zu wirken, nur dies: beim Sex im Darkroom kann ich Techno eigentlich ganz gut vertragen. Aber nur dort.)

Florian Neuner

Rainald Goetz: Celebration. Texte und Bilder zur Nacht.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. DM 24.80.

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