Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Grüße aus der Vergangenheit
Kommunistenporträts, dezent retuschiert

Seidige Schmetterlinge flattern über dem Porträt Willy Stophs, des letzten DDR-Ministerpräsidenten. Seine Gesichtszüge sind eingefallen, seine Lippen schmal, sein halboffener Mund zahnlos. Er sieht aus, als hätte man ihn zum fünfzigsten Jahrestag der DDR-Gründung noch einmal aus dem Grab geholt. Eine Porträtserie von Studenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee belebt nach zehn Jahren die Führungspersönlichkeiten des verblichenen Staates.


Nicht wegwerfen! - das war der erste Gedanke des Designstudenten Jens Harder, als er beim Renovieren fünfzwanzig auf Hartfaserplatten geklebte Drucke kommunistischer Leitfiguren fand. Mehr als ein Jahrzehnt hatten sich ihre Gesichter im Innern einer Trennwand aus Holzleisten und Pappe gegenseitig angeschaut. "Als ich mit dem Kuhfuß die äußere Schicht wegriss, blickten sie dann auf mich", erzählt Harder. Er packte die Platten ins Auto und fuhr zur Kunsthochschule. Nach kurzer Absprache mit den Kommilitonen Kai Pfeiffer, Ulli Lust, Kathi Käppel und Tim Dinter war klar: "Die werden übermalt."

Die Ausstellung "Post.Komm." ist Symbol für den Umgang der Wendegeneration mit der Vergangenheit. Als Markenzeichen dient ein roter, fliegender Broiler. "Ich finde den Umgang mit großen Persönlichkeiten interessant, die keine Macht mehr haben", sagt Harder. "Egal, wie viele Menschen sie über die Klinge springen ließen, ihre Bilder landen im Museum."

Die Drucke wurden in der deutsch-deutschen Gruppe verteilt. Honeckers gabs im Sixpack; Breshnew, Fidel, Grotewohl und Co. waren rarer.

Premiere des Projekts war in Stralsund. "Im Sommer stellten wir dort eine Woche lang in einem ehemaligen Konsumgeschäft aus", erzählt Kai Pfeiffer. "Unter den Besuchern gab es oft Rätselraten , wer das auf den Bildern nun sei. Die meisten fanden es lustig." Manche älterer Stralsunder sei hingegen irritiert gewesen vom ironischen Umgang mit den einstigen Größen. "Eigentlich enthalten unsere Arbeiten nur persönliche Aussagen, sie sind eine freie Erzählung", sagt Pfeiffer.
Christian Domnitz

"Post.Komm." vom 9. bis 14. November in der Galerie Radio Berlin, Veteranenstr. 22, Mitte
Eröffnung am 9. November, 19 Uhr

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  Ausgabe 09 - 1999