Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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76300 oder 127600 in 2010

Rettet das Bevölkerungswachstum die Infrastruktur in Mitte?

76300 Menschen leben zur Zeit im Bezirk Mitte, Tendenz fallend. Bis Ende 1995 lag die Einwohnerzahl noch über 80000, seitdem ging sie deutlich zurück. Dieser Trend wird sich aber nicht weiter fortsetzen, darin sind sich die verschiedenen Bevölkerungsprognosen, die für Mitte erstellt wurden, einig. Die Spannweite der Vorhersagewerte für das Jahr 2010 ist allerdings erstaunlich: sie reicht von einer Stagnation der Einwohnerzahl auf heutigem Niveau bis zu einer Zunahme um zwei Drittel auf 127600 Bewohner.

Die Prognose der Bevölkerungsentwicklung ist eine wesentliche Grundlage für die Infrastrukturplanung. Die Versorgung mit Kindertagesstätten, Schulen, Senioreneinrichtungen oder Bibliotheken kann nur zuverlässig geplant werden, wenn man den künftigen Bedarf kennt. Die Faktoren, die Zuzüge und Fortzüge, Geburten und Sterbefälle beeinflussen, sind allerdings vielfältig. Wie weit wohnungsbaupolitische Bedingungen, Wohnumfeldqualität, Infrastrukturangebot oder das Einkommen der Bewohner auf die Bevölkerungsentwicklung einwirken, ist kaum ausreichend erfaßbar. Daher gibt es auch eine Vielzahl verschiedener Berechnungsmodelle, die zu den weitgestreuten Prognosewerten führen.

Weite Streuung im Senat

Die am weitesten auseinanderliegenden Annahmen stammen erstaunlicherweise beide aus dem Senat: Das Stagnationsszenario kommt aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (SenSUT), die höchste Prognose aus der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr (SenBWV). Die Bauverwaltung zählt dabei das geschätzte Neubaupotential von 18680 Wohnungen zu den vorhandenen 46220 Wohnungen (abzüglich zwei Prozent Abriß) und rechnet mit einer Belegungsdichte von durchschnittlich 2,0 Bewohnern pro Wohneinheit. So wird für 2010 ein Zuwachs auf 127600 Einwohner vorhergesagt.

SenSUT geht hingegen davon aus, daß sich der Trend zu kleineren Haushaltsgrößen weiter fortsetzt. Der Wohnungsneubau würde daher in Mitte keinen Bevölkerungszuwachs bedeuten, da im Wohnungsbestand immer weniger Menschen in einem Haushalt wohnen. Das bedeutet letztlich, daß SenSUT von einem weiteren Bevölkerungsrückgang im Altbau ausgeht.

Knackpunkt Altersstruktur

Der Bezirk Mitte hält beide Prognosen für wenig realistisch und geht für 2010 von einer Bevölkerungszahl von 107000 bis 110000 aus. In dieser Spanne bewegen sich sowohl die Werte der BEP-Prognose als auch die Kalkulationen des Stadtplanungsamts Mitte. Auch die Berechnung des Koordinationsbüros, das in den Sanierungsgebieten auch die Potentiale aus Dachgeschoßausbau und Leerstandsbeseitigung berücksichtigte und diese Ergebnisse auf die übrigen Bereiche des Bezirks übertrug, kommt mit 109000 Einwohnern zu einem ähnlichen Resultat.

Für die Infrastrukturplanung ist die Altersstruktur der Bevölkerung besonders wichtig. Obwohl der Geburtenrückgang in Mitte gestoppt ist, nimmt die Zahl der schulpflichtigen Kinder noch weiter ab. Angesichts dieser Entwicklung ist es schwierig, Kindertagesstätten- und Schulstandorte trotz mangelnder Auslastung zu halten. Gerade weil eine schlechte soziale Infrastruktur für Familien mit Kindern oft als Abwanderungsgrund gilt, ist es wichtig, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Die sozialen Infrastruktureinrichtungen müssen bis zum tatsächlichen Einsetzen des Bevölkerungswachstums irgendwie hinübergerettet werden, wenn der Anspruch, den Baustadtrat Thomas Flierl formulierte, eingelöst werden soll: "Die Mitte der Stadt muß auch weiterhin ein Wohnort für die verschiedenen sozialen Gruppen und Milieus sein."

Jens Sethmann

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