Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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"Ein starkes Stück"

Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) privatisiert an den Mietern vorbei - die Käufer verscherbeln zum Vielfachen des Preises weiter

"Wir befragen natürlich", so im letzten Frühjahr die klare Antwort von WBM-Geschäftsführer Falk Jesch auf die Frage, ob bei WBM-Hausverkäufen zunächst eventuelle Kaufinteressen der Mieter berücksichtigt werden. Daß dem keineswegs so ist, mußten Mieter mehrerer WBM-Häuser erfahren. Der Hintergrund: Obwohl die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft ihr Privatisierungssoll aus dem Altschuldenhilfegesetz längst erfüllt hat, will sie sämtliche Altbauten ihres Bestandes veräußern, die nicht rückübertragen werden. Motto: "Altbauten sind für uns nicht rentabel." Ende letzten Jahres lief der Verkauf auf Hochtouren, denn zum 1.1.99 liefen die Sonderabschreibungen Ost aus. Vor allem der Zwischenerwerb von Gebäuden bei anschließender Umwandlung in Eigentumswohnungen und deren Verkauf an Kapitalanleger florierte.

Dabei scheint die WBM bestimmte Stammkunden zu bevorzugen, zum Beispiel die Duisburger Immobilien-Bau-Contor (IBC), die den Hauskomplex Pflugstraße 9-10 ("Wöhlertgarten") in Mitte mit ca. 130 Wohnungen erwarb - obwohl die Mieter selbst Interesse am Erwerb des Wohnkomplexes hatten, bei der WBM mehrfach nach dem Stand der Eigentumsklärung fragten und sich bereits mit bestehenden Genossenschaften konsultierten.

Ungleiche Angebote

Die IBC ist ein guter Kunde der WBM: Bereits 1995/96 erwarb sie im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes als sogenannter Zwischenerwerber WBM-Häuser mit über 800 Wohnungen. So auch die Invalidenstraße 134-143, deren meist ältere Mieter nun über Schikanen bei der Modernisierung klagen - die Wohnungen sollen als Eigentumswohnungen an Kapitalanleger verkauft werden (und leere Wohnungen verkaufen sich leichter als vermietete). Ebenso die Wohnungen in der Pflugstraße: Nachdem die IBC sie zum Verkehrswert von ca. 700 DM/qm erwarb, bot sie einen Teil den Mietern unsaniert zum Preis von 1200-1300 DM/qm an. Gleichzeitig wurde sowohl Mietern als auch Dritten das Angebot unterbreitet, die sanierten Eigentumswohnungen zum "Vorzugspreis" von 3000 DM/qm zu kaufen. Entscheidungsfrist für die Mieter: eine Woche. Einer zitiert den WBM-Geschäftsführer Schmidt: Man solle ruhig für 3000 DM/qm kaufen - hinterher könnten die Mieter doch "für 3700 Mark an Bonner Beamte weiterverkaufen".

Eine Preisklasse höher liegt der noch pikantere Fall der Häuser Reinhardtstraße 15-17 / Am Zirkus 2-3. Hier veräußerte die WBM an die "G+R Altbausanierung". Auch Franz-Josef Glotzbach, einer der Gesellschafter, ist ein alter Bekannter der WBM: Früher war er Gesellschafter der MM Grundstücksgesellschaft, mit der die WBM ursprünglich zusammen die lukrativen "Neuen Hackeschen Höfe" errichten wollte - doch die Kooperation platzte. Sowohl die MM als auch Glotzbach erwarben diverse Immobilien von der WBM: die MM u.a. im letzten Jahr den Schiffbauerdamm 12, die Glinkastraße 17, die Taubenstraße 51/52 und die Habersaathstraße 24-26, Glotzbach u.a. die Marienstraße 4.

Die WBM, die nach eigener Aussage "prinzipiell zum Verkehrswert" verkauft, veräußerte das Altbauensemble an der Reinhardtstraße laut Mieterinformationen für ca. 1050 DM/qm an Glotzbach. Doch schon kurze Zeit später offerierte das Maklerbüro "Dr. Lübke Immobilien" das Gebäude überregional: für schlappe 6240 DM/qm saniert. Kapitalanleger werden dabei umworben mit den Abschreibungsmöglichkeiten und dem "Triple-Net-Sicherheitspaket" inkl. garantierten "Netto-Mieteinnahmen von 3% p.a. aus dem notariellen Kaufpreis" - was faktisch Mieten von ca. 18 DM nettokalt bedeutet.

Erfahrung im Entmieten

Mit Glotzbach hat die WBM offenbar nicht an einen "vertrauenswürdigen Investor", sondern lediglich an einen Vermittler verkauft - Eigentümer der Immobilie war nämlich schon wenig später der "Bau Verein zu Hamburg", wie auch der Makler bestätigt. Und der, so der Makler gegenüber einem Mieter, sei "erfahren im Entmieten". Die Hamburger Aktiengesellschaft hatte wenige Wochen zuvor bereits 650 Wohnungen in Zehlendorf von der WIR Wohnungsbaugesellschaft gekauft. In Mitte kamen weitere 150 Wohnungen hinzu - Sanierungsobjekte "in bester Lage".

Auch "Am Zirkus" hatte die WBM zuvor den Mietern kein Kaufangebot unterbreitet, obwohl einer der Gewerbemieter selbst Antrag auf Investitionsvorrang bei der WBM gestellt hatte - und abgewiesen wurde. Später hieß es, das Haus sei nicht restitutionsbelastet, sondern im Eigentum der WBM, somit sei ein Investvorrang-Verfahren gar nicht möglich.

Kurioserweise beruft sich die WBM nun genau darauf: die WBM sei nur "Vermittler" gewesen, Glotzbach habe die Immobilie per Investitionsvorrang erworben. Das behauptet sie auch schriftlich gegenüber dem Bezirk und dem Aufsichtsrat - obwohl sowohl die zuständige Bearbeiterin bei der Senatsverwaltung für Finanzen, über deren Tisch ein solcher Verkauf gehen müßte, als auch Petra Reetz, Pressesprecherin der Senatsbauverwaltung, klipp und klar Gegenteiliges sagen: Für einen Verkauf sei einzig die WBM als Eigner verantwortlich.

Kurios auch, daß WBM-Geschäftsführer Karl-Heinz Schmidt, der auf einer Mieterversammlung auf die exorbitanten Preise des Käufers angesprochen wurde, völlig erstaunt reagiert: Er habe "nichts davon gewußt", das sei aber "ein starkes Stück". Ein Mieter jedoch bestätigt, daß Schmidt Wochen zuvor mit der Immobilien-Anzeige konfrontiert wurde.

WBM-Aufsichtsrat nur noch ein Popanz

In jedem Fall jedoch könnte die WBM den Verkauf rückabwickeln: Bei einem Investvorrang, weil der Erwerber laut Vertrag nicht weiterveräußern darf, bei einem normalen Verkauf mit den sonst üblichen WBM-Mieterschutzklauseln, weil dem Käufer Luxusmodernisierungen untersagt sind. Aber was nützen Mieterschutzklauseln, wenn die WBM die verkauften Mieter darüber erst gar nicht informiert? Die WBM indes teilte dem Bezirk bündig mit: "Die WBM beabsichtigt nicht, den Verkauf rückabzuwickeln". Die Wohnungen Am Zirkus waren nach Maklerauskunft schon kurz nach Erscheinen der Anzeige für über 6000 DM/qm verkauft.

Sowohl in der Reinhardt- als auch in der Pflugstraße fragen sich die Mieter nun, wie das Gebaren der WBM eigentlich mit der "Berliner Eigentumsoffensive" des Senats zusammenpaßt und wie das Land Berlin seine Wohnungsbaugesellschaften kontrolliert. Der Aufsichtsrat scheint nur noch ein Popanz zu sein. Bezirksbürgermeister und WBM-Aufsichtsratsmitglied Joachim Zeller winkt nur ab: "Wir haben zwei bis drei zweistündige Aufsichtsratsitzungen im Jahr, da werden wir mit Aktenbergen zugeschlagen." Einzelverkäufe würden dabei nicht geprüft. Und WBM-Geschäftsführer Falk Jesch antwortete auf die Nachfrage, warum Mietern nachweislich kein Vorrangangebot unterbreitet würde, lediglich: "Ernsthaft: Meinen Sie denn, daß es Sinn gehabt hätte, sie zu fragen?"

Eine entsprechende Anfrage auf Landesebene hat die Bündnisgrüne Rita Keil nun im Abgeordnetenhaus gestellt. Eine Antwort steht noch aus.
Ulrike Steglich

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