Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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Schneller Warten

Zeittotschlagen im Wartesalon

In Berlin-Mitte, um skurrile Angebote und Lokalitäten nie verlegen, macht seit kurzem ein Dienstleister mit einem fast schon absurd anmutenden Service von sich reden. Ausgerechnet in den Räumen des ehemaligen Bestätigungsinstituts in der Torstraße 161 bietet jetzt "Protempora" seine Dienste an.

Die Idee ist bestechend einfach: Zur Entlastung der Behörden werden nach und nach die Warteräume privatisiert. Mit der räumlichen Auslagerung geht dann auch ein verbesserter Service einher. Zum einem gibt es die Möglichkeit des "Vorwartens", also des Absitzens einer zu erwartenden Wartezeit im voraus. Dafür stehen ansprechende Räume zur Verfügung, mit schöner Musik, Lesestoff sowie Snacks und Getränken, oder natürlich die Möglichkeit, zwischendurch noch kleine Erledigungen "ums Eck" zu tätigen, ohne Gefahr zu laufen, daß zwischenzeitlich die Wartemarke verfällt. Mit der so im voraus erworbenen, und von "Protempora" bestätigten Wartezeit bekommt man dann beim Amt entsprechend Wartenummern erlassen, also z.B. zehn Wartenummern Vorspung für eine Stunde Warten, wobei der Umrechnungsschlüssel von Behörde zu Behörde variiert.

Eine andere Möglichkeit ist das "Fremdwarten", also jemand anders für sich warten zu lassen. Man schickt dazu eine Person seiner Wahl, "Protempora" kann aber auch gut ausgebildete Wartekräfte zur Verfügung stellen. Experten sehen darin schon den dritten Arbeitsmarkt, den "Wartemarkt" heraufziehen.

Zu guter Letzt gibt es eine Härtefallösung für zeitlich Schwache, z. B. Jungunternehmer, die weder Zeit zum Vorwarten, noch Geld zum Fremdwarten haben. Entsprechend Kanzler Schröders Neujahrsansprache muß diese Personengruppe besonders gefördert werden, deshalb gibt es bei "Protempora" Formulare, auf denen sich o. g. Personen ihre Wartezeit an Supermarktkassen, Bahnhöfen o. ä. bestätigen lassen können.

Insgesamt also ein großer Schritt in Richtung Bürgernähe und Kundenservice. Auch daß in wenigen Jahren durch eine komplette Online-Abwicklung aller Behördenangelegenheiten Wartezeiten ganz entfallen, ist als Zukunftsperspektive erfreulich, wird doch der Mensch nach Jahrhunderten des Amtsschimmels endlich als Mitmensch und nicht als Untertan behandelt.

Christoph Zschaber

© scheinschlag 2000
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