Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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Film, Kunst, Kampf

Mutige Filmverleiher in Berlin, Part 4: Vision Filmverleih

Einer der Hinterhöfe in der Schliemannstraße 5, Seitenflügel. Nach einigem Suchen entdecke ich die richtige Tür. Hinter mir stürmt jemand die Treppe hinauf. Es ist mein Gesprächspartner Torsten Frehse. Er ist gestreßt, die Mitarbeiterin krank, das Telefon klingelt. Im kleinen Büro herrscht kreatives Chaos, Filme stapeln sich, Videos, Ordner und die übliche Telekommunikation. Vision gibt es seit nunmehr einem Jahr, trotzdem empfinde ich ein Provisorium, etwas im Versuchsstadium.

Auf dem Türschild war auch "Lichtblick-Kino" zu lesen, ich möchte die Verbindung wissen. Torsten Frehse erläutert die gemeinsame Wurzel, aber auch, daß es zwei getrennte Unternehmungen sind, die lediglich einige Kommunikationsdienste gemeinsam nutzen. Er und sein Partner Wulf Sörgel sind dem kollektiven Lichtblick als Mitstreiter seit Jahren verbunden, daran hat sich auch mit dem Verleih nichts geändert. Wer das Lichtblick kennt, weiß um seine Ausnahmestellung als Hochburg des linken Films. Hier schwelgen Alt-Achtunsechziger in ihren Erinnerungen, hier holt sich wütenden Mut, wer noch Utopien hat, hier findet auch reflektierende Auseinandersetzung statt.

Anspruch und Notwendigkeiten

Das Filmangebot für solch kritische Klientel wird immer dürftiger, deshalb war der Schritt zum Verleih ein fast natürlicher. Und fast natürlich erscheint auch, daß es zunächst Repertoire-Filme waren, die das Verleiherduo ins Programm nahm: "Stammheim", "Die bleierne Zeit" und die lange Zeit eingemotteten Louis-Malle-Filme "Black Moon" und "Lacombe Lucien".

Der erste neue Film im Verleih von Vision, "Suzie Washington", startete Anfang des Jahres erfolgreich. Jetzt könnte man schlußfolgern, daß die Filme hauptsächlich im Lichtblick laufen. Doch hier zieht Torsten Frehse eine eindeutige Grenze: "Wenn wir der Meinung sind, einen guten Film an die Öffentlichkeit zu bringen, dann geht es uns in erster Linie um größeres Publikum. Um das zu erreichen, treten wir selbst (als Lichtblick, d.A.) zurück." Die Praxis anderer Verleiher, einen wenige Jahre nicht mehr kinopräsenten Film als Wiederaufführung zu starten, lehnt Vision ehrlicherweise ab. Deshalb finden sich im Programm auch noch etwas sperrige Titel wie "Arbeit im Mehringhof" (1985) oder "Bergmann Borsig" (1992) von Barbara Kaspar/Lothar Schuster. Diese Filme sind eine Reminiszenz an engagierte politische (Film)Arbeit und fügen sich deshalb auf den zweiten Blick durchaus passend ins heterogene Programm. Viel Geld ist mit dieser Arbeit nicht zu verdienen, "aber es steckt eine positive Dynamik drin. Man lernt Leute kennen, entwickelt Verbindlichkeiten, auch solidarische Arbeitsformen. Dazu war die kollektive Arbeit im Lichtblick ein wichtiger Punkt." Ich spüre seinen Stolz, wenn Torsten Frehse von den Anfragen erzählt, einen bestimmten Film zu übernehmen. Das sind keine großen, auch keine brandneuen Filme, aber solche, von denen der Anbieter weiß, daß sich die beiden drum kümmern werden.

Dienst am Kinokunden

Mit dem ersten Neustart hat Vision auch gleichzeitig Neuland betreten. Und das wollen die beiden anders beackern als andere Verleihe. Im Vordergrund soll die Betreuung der Kinos stehen. Erprobt ist dieser Anspruch schon: "Wenn jemand fast ein halbes Jahr nach dem Start noch "Black Moon" ins Programm nimmt, kümmern wir uns in dieser Ortschaft noch immer um die Pressearbeit. Wir kennen ja die Situation als Kinobetreiber und teilen diese Erfahrungen mit Kinoleuten überall... Man muß den Film als eine eigene Person berachten, die man fördern und hegen und pflegen muß." Just in diesem Moment klingelt wieder das Telefon und Wulf Sörgel ruft aus München an. Hier hat er eine Pressevorführung für "Suzie Washington" organisiert, obgleich nur ein Kino den Film spielt. Mit ihrem Wunsch nach bundesweiten Starts unterscheidet sich Vision vom kleinen Kollegen Peripher im fsk-Kino. Voraussetzung dafür ist eine höhere Kopienzahl und ergo höhere Vorkosten. Die Pressebetreuung vor Ort treibt die Kosten weiter in die Höhe. Bleibt abzuwarten, ob sich die beiden diesen "Luxus" auch künftig gönnen. Auf den Punkt bringen kann man diesen Anspruch mit Service und Kundendienst. Diese marktwirtschaftlichen Kriterien könnten möglicherweise eine interessante Allianz eingehen mit der geballten Gegnerschaft gegen die politisch-bürokratischen Strukturen unserer Gesellschaft.

Ein ewiger Spagat

Filmverleih als Instrument, Film als Waffe? Das klingt veraltet, und so einfach ist es auch nicht mehr. Noch dazu in Deutschland. Während der sozial-engagierte Film im übrigen Europa eine Renaissance feiert, ist er hier nahezu verpönt.

Ich kann also nur hoffen, daß die beiden ihre Prinzipien durchziehen (können) und ihr eigenes Gegengewicht zum bequemen, ironisch-distanzierten Beobachten schaffen. Gewisse Zweifel kommen mir allerdings, wenn öffentliche Förderung ins Spiel kommt. Während das Lichtblick bisher noch recht dogmatisch jede Förderung ablehnte, haben die Verleiher kein Problem mit öffentlichem Geld. Zumindest so lange, wie sie es nicht haben. "Für manche Projekte kann es wichtig sein, eine Art Anschubfinanzierung zu bekommen. Ich begrüße das Prinzip, daß es sich dabei um Filme handeln sollte, die eine Aussicht auf ein Publikum haben." Torsten Frehse ist sich des nötigen Spagats bewußt. Er versucht, dem kämpferischen Image des Kinos ein pragmatisches Bewußtsein entgegenzusetzten bzw. im besten Falle beides zu verbinden.

Visionen

Geplant ist eine Reihe von in der Sowjetunion entstandenen Exilfilmen. Dazu gehören Erwin Piscators "Aufstand der Fischer" von 1934, "Kämpfer" (1936) von Gustav von Wangenheim und der nach Friedrich Wolffs Drehbuch entstandene "Der Kampf geht weiter" (1938). Hier fließt visionäres Herzblut, hier verbinden sich filmgeschichtliche Avantgarde und revolutionäre Tradition.

Berit Wich-Heiter

"Suzie Washington" läuft noch in den Kinos Balazs, fsk, Klick und Nickelodeon. Seit 21.1. läuft der Animationsfilm "Dooly - der kleine Dino" in den Kinos Blow Up, Eiszeit, Nickelodeon, Passage, Rio und Venus.

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