Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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Mitten im "dritten Akt" der Geschichte

Oder: Was verbindet das Jüdische Museum und Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" miteinander?

Daniel Libeskind ist dafür bekannt, daß Ausgangspunkte für sein entwerferisches Denken häufig außerhalb der Architektur zu suchen sind. Neben Philosophie, Literatur, Malerei, Photographie etc. spielt die Musik dabei eine besondere Rolle. Dies scheint nicht ganz unbeeinflußt von der Tatsache, daß er seine berufliche Karriere als Pianist begann (mit Auftritten in der Carnegie Hall schon als 14-jähriger), bevor er sich der Architektur zuwandte.

Im Falle des Jüdischen Museums nennt Libeskind selbst seine Auseinandersetzung mit Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" als einen der wichtigsten Ausgangspunkte für seinen Entwurf. Dabei interessiert ihn vor allem zunächst das Abbrechen der Komposition am Ende des zweiten Aktes. Schönbergs Version der alttestamentarischen Geschichte des Moses, dem im brennenden Dornbusch die Existenz des einen Gottes offenbart wird, und seines Bruders Aron, der als sein Sprachrohr fungieren und dieses verkünden soll, endet in Schönbergs Libretto in einer Katastrophe. Moses glaubt an die Nicht-Darstellbarkeit Gottes, Aron wirft ihm jedoch vor, schon durch den Gebrauch des Wortes eine Darstellung zu geben. Moses bricht mit den Worten "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt" zusammen. Damit endet der zweite Akt, ein dritter war zwar geplant, wurde von Schönberg jedoch nie komponiert. Die Oper endet stumm.

Die zentrale Thematik von "Moses und Aron", die Suche nach Darstellbarkeit des Nicht-Darstellbaren, an der Moses zerbricht und die die Ratlosigkeit des dritten Aktes hinterläßt, bringt die Oper in entscheidende Nähe zu der für Libeskind beim Jüdischen Museum zentralen Frage: Wie kann in einem Jüdischen Museum, noch dazu in Berlin, neben der Ausstellung jüdischen Kulturguts, die nicht mehr vorhandene Präsenz jüdischer Kultur und die kaum darstellbare Tatsache des Holocaust zum Ausdruck gebracht werden?

Der fehlende dritte Akt der Oper scheint für "das Wort, das fehlt" zu stehen. Die eintretende Stille, die Leere, bringt die Nicht-Darstellbarkeit erst zum Ausdruck. Sie wird für Libeskind zum entscheidenden formalen Vorbild für die Konzeption des Museums: Erst die fragmentierte Linie der freigehaltenen Leerräume innerhalb des Museumsbaus, die "Voids", bringen das "Nicht-Darstellbare", die durch Vertreibung und Vernichtung der Juden gänzlich ausgelöschte Präsenz jüdischen Kulturschaffens in Berlin zum Ausdruck.

Trennen und Verweben

Doch auch die Entwicklung des Dialogs zwischen Moses und Aron in Schönbergs Oper spielt im weiteren Vorgehen Libeskinds eine große Rolle. Die Tatsache, daß die Unvereinbarkeit der Auffassungen Moses´ und Arons nicht nur durch das Abbrechen der Komposition zum Ausdruck kommt, sondern schon in ihrer musikalischen Gestalt von Schönberg angelegt ist, ist dabei von großer Bedeutung. Aron ist eine Gesangsstimme (Tenor). Er singt seinen Text in virtuosen Linien. Seine Aussagen sind also in musikalische Form gebracht. Der Rolle des Moses wird diese musikalische Gestalt verweigert. In seiner Stimme erscheinen x-Zeichen anstelle von Noten, Tonhöhen sind nur vage angedeutet. Alles in allem ist die Figur des Moses am ehesten eine Sprechrolle. Im Dialog sind beide Stimmen wiederum häufig ineinander verwoben.

So könnte man auch im Jüdischen Museum von einer "Aron-Linie" der Ausstellungsräume und einer "Moses-Linie" der Leerräume, der Sprachlosigkeit, sprechen. Die Grundkonzeption des Jüdischen Museums ließe sich als ein Auseinanderbrechen dieser zwei sich ständig kreuzenden und kontrastierten Linien aus dem zur Entzweiung führenden Dialog zwische Moses und Aron in Schönbergs Oper ableiten. Diese formale Prinzip, ergänzt durch die formale Abhängigkeit der Leerräume von der sie umgebenden Masse, löst sich im folgenden mehr und mehr vom musikalischen Vorbild und wird zu einer Art Doppelstrategie, die den Entwurf immer wieder zu kennzeichnen scheint: Das Trennen und Verweben formaler Gegensätze.

Ein Entwurf in drei Akten

In einem ersten Schritt stehen der barocke Altbau des Berlin Museums und die Museumserweiterung von Libeskind unvermittelt nebeneinander. Und doch scheinen sich diese Gegensätze auf den zweiten Blick aus gemeinsamem Material zu entwickeln. Neben zahlreichen geometrischen Bezügen, ließe sich der Zick-Zack-Erweiterungsbau als eine Umformung des zum "U" geknickten Altbau-Riegels interpretieren. Darüber hinaus bilden beide Bauten eng nebeneinander stehend eine städtebauliche Gesamtfigur, die den gemeinsamen Park begrenzt und den Paul Celan-Hof einschließt und nach außen begrenzt.

Im Erweiterungsbau selbst ergeben in einem zweiten Schritt die beiden gegensätzlichen Baukörperlinien des geknickten Riegels und der Linie der Voids zusammen eine Figur, die an einen zerborstenen Davidstern erinnert. Der Riegel scheint sich wieder und wieder um die Leere zu winden und die Frage, ob die "Aron-Linie" der Ausstellungsräume die Kontinuität ist, die beim Begehen immer wieder Bruchstücke der "Moses-Linie" der Leerräume sichtbar werden läßt, oder ob eher die "Moses-Linie" der Voids als lineares Element kontinuierlich die "Aron-Linie" zum Knicken bringt, ist kaum zu klären. Beide scheinen wie Moses und Aron in Schönbergs Oper voneinander abhängig und doch unvereinbar.

Der dritte Entwurfsschritt Libeskinds ist vielleicht der rätselhafteste. Die Void-Fragmente erscheinen im Umraum des Erweiterungsbaus noch einmal als massive Prismen, wie aus dem Zusammenhang des Zick-Zack-Körpers herausgesprengt. Tatsächlich entsprechen sie in Form und Proportion exakt den Void-Leerräumen und verweisen so auf die Leere im Innenraum. Als völlig ungegliederte, nicht begehbare Baukörper erscheinen sie aus dem Zusammenhang herausgelöst als stumme Mahnmale noch einmal auf seltsame Art und Weise der Stille des dritten Aktes bei Schönberg verwandt. Wie alle Mahnzeichen sind sie auf Vergangenes verweisend an die Zukunft adressiert.

Gegensätzliches wird auf den zweiten Blick zusammengehalten

Jedem der drei grundlegenden Entwurfsschritte, dem Entgegensetzen von barockem Hauptbau und Erweiterungsbau (Unvereinbarkeit von barockem und modernem Weltbild), dem Gegensatz der sich durchdringenden Baukörperlinien in der Erweiterung (Unvereinbarkeit von Existentem und Ausge-löschtem) und schließlich dem Herauslösen und wiederum Körperhaft-Werden der Voids (Unvereinbarkeit von Sagbarem und Unsagbarem) scheint etwas Verbindendes innezuwohnen. Auf diese Weise entsteht eine Art widersprüchlicher Zusammenhang. Er hält, was offensichtlich auseinanderfällt, erst auf den zweiten Blick zusammen. Die Gegensätze scheinen immer wieder aufeinander bezogen und aus demselben Material entstanden. Dies führt zu einem formalen Gesamtzusammenhang.

So entsteht aus Altbau (Ganzheit - Vergangenheit - erster Akt), Erweiterung (Auseinanderfallen der Einheit - Gegenwart - zweiter Akt) und herausgelösten Voids (Präsenz der Leere und Erinnerung - Zukunft - dritter Akt) schließlich ein Gesamtzusammenhang, der nicht nur auf den stadtgeschichtlichen Prozeß des zerstörten Berlins verweist, sondern auch und vor allem an den dreiaktigen Ablauf der Oper "Moses und Aron" erinnert. Das Gesamtgefüge Berlin Museum (Altbau und Erweiterung) bildet sich als ein Prozeß des Auseinanderfallens einer Ganzheit ab, von der nur stumme Fragmente zurückbleiben.

Die Musik als Katalysator im Entwurfsprozeß

Die Nähe zum Ablauf von Schönbergs Oper "Moses und Aron" ist überraschend: Im ersten Akt noch im Auftrag der Verkündigung vereint, bleibt von der Entzweiung Moses´ und Arons im zweiten Akt im dritten Akt schließlich nur die Stille der Sprachlosigkeit, das stumme Fragment des nicht auskomponierten Librettos zurück. Libeskind scheint über thematisch inhaltliche Verwandtschaft, formale Äquivalente und schließlich strukturelle Ähnlichkeiten ein dichtes Netz von Beziehungen zwischen Schön-bergs Oper und seinem Entwurf für das Berlin Museum herzustellen, und die Musik immer wieder als eine Art Katalysator im Entwurfsprozeß zu nutzen.

Die so generierten Strategien erweisen sich dabei als sehr flexibel, sogar bis in den Prozeß der Ausführungsplanung hinein. In fast schon ironischer Parallele zum fehlenden dritten Akt von "Moses und Aron" fielen in der Planungsphase die herausgelösten "Voids" bis auf eines einer Streichung zum Opfer. Doch Libeskind konnte darauf reagieren. Im Zuge des Umbaus des Altgebäudes entsteht in dessen Innenraum ein weiteres "Void", das den Zugang in den Neubau markieren wird. Sogar in Libeskinds Projekt für das Holocaust-Denkmal erscheint eine Figur, die stark an die Void-Linie des Jüdischen Museums erinnert. Daniel Libeskind bringt so zum Ausdruck, daß wir uns noch mitten im "dritten Akt" der Geschichte befinden. Die Eröffnung des Jüdischen Museums markiert dabei weniger einen Abschluß als vielmehr einen neuen Anfang in der individuellen Auseinandersetzung mit der gemeinsamen deutsch-jüdischen Vergangenheit.

Thomas Willemeit

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