Ausgabe 24 - 1998berliner stadtzeitung
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Berlin 1898

Kabel aus Schöneweide (Schluss)

Neben dem Gummiwalzwerk wird in einer geheimen Werkstatt aus verschiedensten Chemikalien die Isolationsmasse produziert. Die Herstellung dieser Spezialität der Fabrik ist ein strenges Geheimnis. Die Masse wird als "Stabilit" und "Mikanit" zur Isolation von Drähten und auch zur Herstellung von Griffen, Knöpfen, Rahmen und Fächern an elektrischen Maschinen verwendet, die ebenfalls isoliert sein müssen. Stabilit und Mikanit enthalten einen Teil Gummi, Faserstoff und verschieden Chemikalien. In der Werkstatt in einem besonderen Holzschuppen mischt ein Laborant die Chemikalien in aller Heimlichkeit.

Gummi, auch Federharz, Gummi elasticum, Resina elastica oder Kautschuk genannt, ist jedenfalls der Hauptbestandteil, ohne den gar nichts geht. Es ist ein weitverbreiteter Stoff, der aus dem Milchsaft mehrerer Pflanzen der Familien der Apocynaceen, Moraceen und Euphorbiaceen gewonnen wird. Diese finden sich in Zentral- und Südamerika, in fast ganz Afrika, den beiden Indien, auf dem Indischen Archipel und der nördlichen Hälfte von Australien. Sie gedeihen nur in Ländern, deren Temperatur sich zwischen 33 und 42 Grad bewegt. Der Kautschuk findet sich in dem Milchsaft der genannten Pflanzen in Form mikroskopischer Kügelchen, die sich beim Stehen als Rahm an der Oberfläche der Flüssigkeit sammeln. Zur Gewinnung des Pargummis macht man in der Höhe von 2 m ringsum in den Stamm Einschnitte und befestigt darunter Tonschalen, in denen sich der Saft sammelt. Getrocknet und Geräuchert kann das Gummi dann verschickt werden.

Wir gehen durch den Riesensaal, in dem Arbeiterinnen Mikanitstoff verarbeiten, bis in den Vulkanisierraum. Das gereinigte und getrocknete Gummi wird hier mit Schwefel vermischt, mit dem es eine chemische Verbindung eingeht. Dies nennt man Vulkanisieren, wodurch das Gummi zäher und elastischer wird. Denn unbehandelter Kautschuk ist bei Null Grad Celsius ganz hart, dagegen bei 30 bis 50 Grad schon sehr weich. Taucht man jedoch Kautschuk bei 115 120 Grad 2 3 Stunden in geschmolzenen Schwefel, so nimmt er 10 bis 15 Prozent Schwefel auf. Ebenso kann man ihn durch Einkneten von Schwefelblumen oder mit Hilfe einer Lösung von Schwefel in Schwefelkohlenstoff mit Schwefel imprägnieren ohne dass er seine Eigenschaften wesentlich ändert. Erhitzt man aber diesen schwefelhaltigen Kautschuk auf 130 bis 140 Grad Celsius wird er in wenigen Minuten in vulkanisierten Kautschuk umgewandelt, der selbst bei 20 oder über 100 Grad gleich elastisch bleibt und auch Lösungsmitteln und chemischen Agenzien in hohem Grade widersteht.

Lüdersdorff veröffentlichte 1832 seine Entdeckung, dass dem durch Terpentinöl aufgeweichten Kautschuk die nach dem Trocknen zurückbleibende Klebrigkeit genommen wird, wenn man ihm Schwefel beimischt. Benzinger erreichte 1836 dasselbe durch Schwefelleberlösung. Aber erst Goodyear aus New Haven, Connecticut, entdeckte 1839 das Vulkanisieren durch Imprägnieren mit Schwefel und Erhitzen. 1842 kamen die ersten vulkanisierten Kautschukartikel nach Europa. Mit demselben vulkanisierten Gummi überzieht man jetzt hier in Schöneweide die kleinsten Kabel. Sie bestehen nur aus einem Kupferdraht und werden in Gebäuden verwendet.

Auch die mit Baumwolle umsponnenen Drähte werden mit Gummi überzogen. Um sie noch mehr zu schützen legt man um das Gummi noch ein schlauchartiges Gewebe aus Jute. Es wird durch besondere Klöppelmaschinen hergestellt, die sich auch wieder in einem besonderen Arbeitssaal befinden und von Arbeiterinnen bedient werden. Danach wird dieses Gewebe mit Asphalt oder Erdwachs getränkt.

In einem anderen Raum werden die Kupferdrähte mit weichem Papier umwickelt. Sie sind für Telefonleitungen bestimmt und werden dann in Isolationsmasse gebettet zu einem Kabel vereinigt. Das Papier soll bewirken, dass sich eine isolierende Luftschicht um jeden einzelnen Draht bildet. Solche Telefonkabel werden inzwischen in den Großstädten schon vielfach unterirdisch gelegt, weil für die über die Dächer gespannten Drähte kein Platz mehr vorhanden ist. Das Signal "Mittagspause!" ertönt. Nach einem zweistündigen Rundgang haben wir doch nur einen Teil der Arbeitsstätten gesehen. Die Werkstätten und Arbeitssäle leeren sich. Die Maschinen stehen still. Wir gehen hinüber zu den großen Speisesälen, in denen Arbeiter und Arbeiterinnen getrennt ihre Mittagsmahlzeit einnehmen. Dann verlassen wir die Kabelwerke Oberspree und hoffen, mit unserer Beschreibung den Lesern einen Begriff von der Bedeutung der Kabel gegeben zu haben, die Werkzeuge einer neuen Kulturphase werden.

Falko Hennig

Die meisten Angaben stammen aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1899, Achter Band.

In der BICC KWO Kabel GmbH in Oberschöneweide arbeiten heute noch ungefähr 60 Arbeiter in der Produktion von Lichtwellenleitern.

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