Ausgabe 24 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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Keine kümmerlichen WelterklärungsmusterGespräch mit Thomas OstermeierThomas Ostermeier ist in kurzer Zeit zur Nachwuchshoffnung des deutschen Theaters geworden. Er ist im Moment noch Leiter der Baracke des Deutschen Theaters und wird im Jahr 2000, gemeinsam mit Sasha Waltz, die Leitung der Schaubühne übernehmen. Sein Theater hat den Begriff Realismus mit neuem Leben erfüllt. Du bist mit 30 Jahren relativ jung und hast jetzt die schöne Aufgabe, ein ganzes Theater, die Schaubühne, neu zu erfinden. Macht Dir das nicht manchmal Angst? Wenn man überhaupt davon reden kann, daß Alter eine Rolle für gutes oder schlechtes Theater spielt, glaube ich, daß das das beste Alter ist, um eine solche Aufgabe zu übernehmen. Es ist eine große Crux in der Gesellschaft, daß eine ganze Generation von 25 bis 35-jährigen auf einem Karriereniveau gehalten wird, wo ihnen keinerlei Macht über Produktionsmittel oder gesellschaftlichen Reichtum gegeben wird, und die dann in einer Warteschleife versauern, und von daher auch nicht gestalten, keine Verantwortung übernehmen und nicht beweisen können, daß sie es besser machen könnten. In meinem Fall ist das ein wahnsinniger Glücksfall, daß ich in diese Situation katapultiert wurde. Daß ich gefragt wurde, die Schaubühne zu übernehmen, hatte mit einer Situation in der Theaterlandschaft zu tun, wo jung-sein auf einmal unglaublich toll war. Auf einmal meinte man, ich würde das Theater neu erfinden, was ich ja gar nicht tat. Es war einfach ungeheuer schick jetzt dem Ostermeier die Schaubühne zu geben. Darin liegt ja einmal die Gefahr, daß sich das schick-sein verbraucht und daß man sehr jung verheizt wird. Der Hamburger Intendant, Frank Baumbauer, hat kürzlich erzählt, daß er dich sehr schätzt, aber den Dreißigjährigen nicht zutraut, das Theater vor der Krise zu bewahren, weil sie noch keine Lebenserfahrung haben. Gehört der Vatermord im Theater nicht dazu? Das ist bestimmt notwendig. Aber ich habe vier Jahre Ausbildung an der Busch-Hochschule und davor eine Schauspielerausbildung, und wenn ich hier fertig bin, habe ich noch drei Jahre Baracke hinter mir. In dieser Zeit habe ich immer versucht, mich in diesem Betrieb zu definieren und auch abzugrenzen. Die wichtigste Bezugsgröße für die Arbeit in der Baracke war immer die Abgrenzung von der Volksbühne. Ich kann den Vatermord jetzt nicht künstlich vollziehen. Man kann versuchen ästhetisch-inhaltlich anders an Theater ranzugehen und sich abzustoßen. Das viel größere Problem ist der Verschleiß, daß man sich da aufreibt. Und da will ich gegensteuern, indem ich versuche, eine Identität der Arbeit in einer Gruppe aufzubauen, was etwas sehr Anachronistisches ist. Der Trend geht ja weg vom Ensemble hin zum Star-Theater. Ich suche mein Heil in einer Gruppe, die sich selbst Aufgaben stellt, nämlich in der Vervollkommnung von Theatersprache und inhaltlichem Denken. Und dazu will ich diese wahnsinnige Möglichkeit an der Schaubühne nutzen, daß man sich da als Gruppe einen unverwechselbaren Ort schafft. Siehst Du das auch als politische Aufgabe, innerhalb des nach wie vor völlig patriarchalisch-hierarchisch organisierten Theaterbetriebs als kollektivähnliche Gruppe aufzutreten? Das hieße, das Theater in seiner Symbolkraft zu überschätzen. Natürlich wäre es schön, einen weniger entfremdeten Theaterbetrieb aufzubauen, wo die Leute Teil dieser Sache sind und das Gefühl haben, daß ihnen das Theater gehört und das womöglich Strahlkraft auf andere Bereiche hätte. Ich glaube, wenn die städtische Müllabfuhr in Berlin kollektiviert werden würde, das hätte eine wesentliche größere öffentliche Bedeutung, als wenn irgendwelche spinnerten Theaterleute sich jetzt wieder mit Selbstbestimmung auseinandersetzen. Aber so eine Sehnsucht ist da, daß man im Kleinen etwas machen kann, was auch im Großen funktionieren könnte. Das fängt mit unserem Gagengefüge an: daß wir eine kollektive Leitung haben und daß es ein Vetorecht des Ensembles gibt, was den Spielplan anbetrifft. Aber man stößt auch ständig an Grenzen. Wir wollten jetzt eine Kindertagesstätte im Theater einrichten für die Kinder der Schauspieler, aber wir dürfen das nicht, weil das Theater vom Senat seine Subventionen dafür bekommt, Kunst zu machen und nicht um sozialen Einrichtungen der Stadt Konkurrenz zu machen. Da stößt das Leben in der Insel Theater auf die Realität. Wo wohnst Du im richtigen Leben? In Neukölln. Seit 10 Jahren eigentlich. Ich hab einmal eine Zeitlang in Mitte gewohnt und mußte dann raus aus dem besetzten Haus in der Linienstraße, weil es nicht mehr ging, gleichzeitig Besetzerplenum und Theater. Und dann bin ich nach Neukölln in dieses Loch gezogen und fahre früh immer noch von West nach Ost und abends wieder zurück, das ist eigentlich eine gute Sache. Was ist das Theater für ein Ort für Dich, mal ganz naiv gefragt: was passiert da, was wird dort verhandelt? Für mich gibt es da im Moment zwei Punkte. Zum einen versuchen dort Leute, Ideen, Träume und Utopien erfahrbar und erlebbar zu machen. Theaterleute machen sich die Mühe, sich nicht nur intellektuell mit dem Surrealismus, mit dem Abseitigen der Literaturgeschichte, mit den Selbstmördern und Wahnsinnigen auseinanderzusetzen. Es gibt einen gesellschaftlichen Auftrag, daß die Theater Labors oder Fabriken für Phantasien sind. Und die andere Aufgabe ist die des Spielens. An einem Theater Wirklichkeit widerzuspiegeln und wie unter einem Brennglas zu verdichten und zu konkretisieren und dem Zuschauer so Dinge erlebbar zu machen, die er in seiner alltäglichen Oberfläche nicht wahrnimmt. Außerdem hat das Theater die Aufgabe, das zu machen, was Film und Fernsehen aufgrund ihrer Überkapitalisierung nicht können. Beim Theatertreffen wurde zum Beispiel "Shoppen und Ficken" aufgezeichnet und es stellte sich dann heraus, dass es nicht sendefähig ist, weil die völlige Enthüllung von Sexualität und das sehr trostlose Bild einer Generation gezeigt werden, deren Zukunft die Eltern bereits verprasst haben. Das wird in einer Schärfe fast propagandistisch behauptet. Mich hat das gleichermaßen schokkiert und begeistert, daß das nicht gesendet werden konnte, weil ich immer dachte, daß es diese Konflikte gar nicht mehr gibt. Das nimmt man natürlich gerne als Legitimation fürs Theatermachen. Wie stehst Du zu dem Vorwurf, dass das Baracken-Theater dem Zuschauer relativ oberflächlich eine Sicht auf die Wirklichkeit um die Ohren haut, am drastischsten vielleicht in "Zerbombt", wo der Zuschauer mit einer Art Inferno sehr alleinegelassen wird, ohne eine Möglichkeit des Weitergehens zu haben? Gerade das ist ein Stück, mit dem ich mich total identifiziere. Aber da kann ich nur mit einer Gegenfrage antworten: Welche Stücke von Shakespeare gibt es, die eine konkrete Utopie aufzeigen? Das ist ja ein oft gemachter Vorwurf. In der DDR war es der Ruf nach dem sozialistischen Helden. Der Ruf kommt jetzt auch oft: Wo ist das Richtungsweisende, das Hoffnungsgebende? Das trifft auch eine Sehnsucht von mir. Aber nach eingehendem Studium, auch der Weltliteratur, kann ich nur feststellen, daß Dramatik das selten leistet. Dramatik kann immer nur das Gegenteil zeigen, und zwar in einer so ehrlichen, und authentischen Form, daß man dahinter immer noch die Sehnsucht nach dem Anderen spürt und daß hinter allen Figuren immer noch die Vorstellung von einer gerechteren Welt steht. Die griechischen Stücke sind einzige Horrorszenarien. Alle Menschheitsepen, von der Bibel bis zum Gilgamesch-Epos sind Geschichten voller Mord, Inzest und Gewalt in allen Formen. Das ist ein Menschheitsthema, und zwar nicht erst seit den bösen, blutigen Geschichten der Engländer. Was hat Dich zu Deiner letzten Inszenierung, Disco Pigs, bewegt? Das war der Versuch, Theater als Punkkonzert zu machen. Ich habe früher selbst viel in Bands gespielt. Ich fand solche Konzerte als Performance-Erlebnis immer viel authentischer als das, was ich auf dem Theater erlebt habe. Und diese Veranstaltung war mehr eine Skizze, um an so etwas heranzukommen. Das ist dann nicht das nächste, große Stück von Ostermeier, sondern ein Versuch. Man muss nicht immer so deutsch-intellektuell sein und jedes Mal die Weltformel suchen, sondern man kann auch mal so unterhaltsam sein wie gute, amerikanische Hardcore-Bands, die nicht auf MTV auftreten. Das sind meine Brüder im Geiste. Ist das der Grund warum Ihr so wenig deutsche Stoffe spielt? Weil sie immer so viel Sinn wollen? In deutschen Stücken laufen ständig Figuren herum, die die Ideologien des Autors auf der Zunge tragen. Aber in meiner konkreten Wirklichkeit treffe ich nur morgens um halb fünf in einer Kreuzberger Absturzkneipe jemanden, der mir sein Weltbild auseinandersetzt. Sonst unterhalten sich die Menschen, die ich kenne, immer sehr konkret im Sinne von: "Wo hast Du denn die Autoschlüssel hingelegt?" - "Ich weiß nicht, guck doch mal dahinten nach." In den deutschen Stücken, jedenfalls in den 90%, die ich ablehne, da spüre ich immer ganz kleingeistige Philosophien irgendwelcher abgebrochener Geisteswissenschaftsstudenten, die mir ihre kümmerlichen Welterklärungsmuster zu Dramatik gerinnen lassen. Da ist mir dann "Britannia rules" lieber, mit einem sehr klaren Pragmatismus, einer sehr klaren Beziehung zur Arbeiterklasse in England, auch in der Liebe zu diesen Menschen, mit einer Liebe zu einem Realismus, der oft unerträglich wirkt, aber ehrlicher ist, als der Versuch eines Menschen, der sein Studium von den Eltern gezahlt bekommt und dann Sozialismus oder andere Dinge propagiert. Gespräch: Stefan Strehler
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