Ausgabe 23 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Berlin 1898

Kabel aus Schöneweide (Teil 3)

Wir betreten eine riesige Halle, die Verseilerei. Die Seilbahnen gehen durch die ganze Länger der aus Glas und Eisen konstruierten Hallen, die ebenso hell und luftig wie frei von Dampf und Dunst sind. Der elektrische Betrieb hat eben den Vorzug großer Reinlichkeit für sich. Ein Draht von ungefähr zwei Millimeter Stärke, der sich von einer Spindel abwickelt, tritt in die trichterförmige Öffnung einer Radachse und wird dabei von sechs anderen Kupferdrähten spiralförmig umwunden. Das so entstandene Kupferseil passiert nach kurzer Strecke wieder die Mitte eines mit Drahtspindeln besetzten rotierenden Rades und wird hier mit zwölf anderen, gleich starken Kupferdrähten umsponnen, in der nächsten Station mit achtzehn und zuletzt mit vierundzwanzig Kupferdrähten.

Das Kupferseil hat nun eine ansehnliche Stärke, die Seele des Kabels ist fertig und muss jetzt nur noch mit den nötigen Schutzhüllen umgeben werden. Das Seil passiert die Achse eines Rades, das mit zahlreichen Jutespindeln besetzt ist. Die das Kupfer umhüllende Jute soll es isolieren. Bei dünneren Kabeln verwendet man Gummi, doch ist der Gummipreis in letzter Zeit so stark gestiegen, dass dieses Material für dicke Kabel zu teuer geworden ist. Doch zieht Jute leider Feuchtigkeit an. Deshalb bringt man das Kabel in einen luftdicht verschlossenen sogenannten Vakuumkessel. Durch Hitze wird hier das Wasser aus der Juteumhüllung herausgetrieben und schlägt sich außerhalb des Kessels als Wassertropfen nieder.

Danach kommt das Seil sofort in offene Eisenbecken, in denen sich eine teerartige Mischung befindet, deren Zusammensetzung Fabrikgeheimnis ist. Sie überzieht den Jutemantel des Kabels wasserdicht und das Kabel wird in die Bleikabelpresse gebracht. In diesem Raum steht ein Bleischmelzofen, in dessen oberen Teil das Metall durch Stichflammen geschmolzen wird. Es fließt dann durch einen Trichter nach unten. Durch Pressen wird das Kabel luftdicht und nahtlos mit Blei umhüllt und auf eine Kabeltrommel aufgewickelt.

Diese Trommel wird in einen Raum gerollt, in dem sich große Bassins voller Spreewasser befinden. Ein elektrischer Laufkran hebt die Trommel an einer Kette hoch und lässt sie in das Becken, dass sie ganz unter Wasser liegt. Durch Glaswände abgeteilt ist ein Bureau, auf dessen Tischen die feinen, empfindlichen Messapparate stehen, mit denen die Beamten die elektrische Leitungsfähigkeit überprüfen. Nach Bestehen dieser Prüfung wird das Kabel nochmals mit Jute umsponnen und gepanzert, denn sein Bleimantel ist noch nicht Schutz genug. Man umwickelt deshalb auf der Panzermaschine das Bleikabel spiralförmig mit zwei Streifen Bandeisen.

Doch selbst diese Eisenhülle könnte noch rosten. So hüllt man noch eine imprägnierte Jutehülle herum, durch die weder Nässe noch Temperaturschwankungen ins Innere dringen können. Endlich ist das Kabel fertig und kann versandfertig gemacht werden. Man windet es auf die Trommeln, die in der eigenen Tischlerei der Fabrik hergestellt werden. Bei Kabeln für verkehrsreiche Städte werden die Trommeln nicht verwendet, da diese zu viel Platz beim Legen brauchen würden, sondern sie werden in große Ringe aufgewickelt. Dass sich ein modernes Kabel aufrollen und wickeln lässt, ist sein Hauptvorzug. Man verlangt viel von einem modernen Kabel: fest und widerstandsfähig soll es sein, auch gegen das Durchschlagen des elektrischen Stromes, gleichzeitig biegsam, handlich und handhabbar bleiben. Wir fragen unseren Begleiter:
"Wozu verwenden Sie den dünnsten Draht, den wir sahen, und der so fein war wie das feinste Haar?"
"Dieser Draht", antwortet der Angestellte, "von ein zweihundertstel Millimeter Durchmesser wird mit Seide besponnen und für die feinsten elektrischen Messinstrumente verwendet.
Etwas stärkere Drähte werden zum größten Teil mehrfach mit Baumwolle umsponnen und zum Bau von Dynamomaschinen und Elektromotoren benutzt."
"Wird in der Fabrik Gummi als Isolationsmaterial verwendet?"
"Sehr viel. Wir haben sogar eine eigene Gummifabrik zu diesem Zwecke angelegt. Es ist eben Prinzip bei uns, das
Material, das wir brauchen, selbst herzustellen, damit wir sicher sind, nur das beste Material verwenden zu können. Wir beziehen Rohgummi aus Brasilien, vom Kongo und aus Kamerun."

Mit dem elektrischen Fahrstuhl fahren wir hinunter und kommen in die Gummifabrik. Der riesige Saal ist von einem derartigen Arbeitsgetöse erfüllt, dass wir von den Erklärungen unseres Führers kein Wort verstehen. Erst im nächsten Raum erfahren wir, dass der Gummi in Stücke geschnitten und in Dampftöpfen gekocht wird. In einem eisernen Zylinder wird die Gummimasse mit einem elektrischen Stempel durch ein Haarsieb gedrückt. Die krümlige Masse kommt auf Waschwalzen, damit der Gummi sorgfältig gereinigt wird. Danach müsste er vierzehn Tage auf großen Böden getrocknet werden, doch bringt man die feuchte Masse hier in Vakuumapparate, die ihr in wenigen Stunden die Feuchtigkeit entziehen.

Falko Hennig

Fortsetzung im nächsten scheinschlag

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 23 - 1998