Ausgabe 06 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Krepiert doch anderswo

Geborgenheit meinte im Mittelalter das Privileg der sehr wenigen, hinter meterdicken Festungsmauern schlafen zu dürfen und von der nächtlichen Angst befreit zu sein, durch marodierende Banden oder Soldatenhaufen verschleppt und getötet zu werden. Wir wissen, daß wir heute diesbezüglich in Westeuropa als Bürger geborgen sind. Der Staat ist verpflichtet und in der Regel in der Lage, das Leben seiner Bewohner vor Gewalt zu schützen.

Dieses Menschenrecht ist für alle, die in Deutschland leben, zumindest auf dem Papier garantiert.

Durch den Entzug staatlicher Sozialhilfe für Kriegsflüchtlinge soll dieses Gesetz ausgehebelt werden.

Nach deutschem und internationalem Recht dürfen auch nicht anerkannte Asylanten und sogenannte Kriegsflüchtlinge nicht abgeschoben werden, wenn ihnen Gefahr für Leib und Leben droht. Bei Krieg, extrem unsicheren Rechtsverhältnissen oder dem völligen Zusammenbruch staatlicher Ordnung (wie in Afghanistan). Diese gesetzliche Duldung ist auch aufgrund internationaler Konventionen nicht abzuschaffen. Doch Geduldeten, die ohnehin keine Arbeitserlaubnis haben, soll jetzt jegliche staatliche Unterstützung gestrichen werden, die meist aus Taschengeld und kasernierten Wohnverhältnissen samt Essensbons besteht.

Am 28. März soll um 12.30 Uhr am Nollendorfplatz dagegen demonstriert werden: Das Land Berlin hat diese Bundesratsgesetzesvorlage initiert. Innensenator Jörg Schönbohm hat von "diesen Gruppen" gesprochen, die nicht mehr "durchgefüttert" werden sollen. Wer glaubt, nun lästige Sozialschmarotzer weniger zu haben und sich auf seinen Status als EG-Bürger oder lebenslang Aufenthaltsberechtigter beruft, sollte sich längerfristig warm anziehen: damit wird Stück für Stück der juristisch verbriefte Konsens der alten BRD demontiert. Jeder, der mehr oder weniger dauerhaft in ihr als Einwohner oder zeitweilig Schutzbefohlener wohnt, sollte zusätzlich vor Hunger, Würdeverlust und Obdachlosigkeit geschützt sein.

Wenn elementare Humanität zur Disposition steht, gibt es wenig Gründe, es bei "dieser" einen "Gruppe" zu belassen. Und "durchgefüttert", um bei diesem widerlichen Begriff zu bleiben, werden übrigens viele: Mehr als zwanzig Prozent der verbliebenen Wohnbevölkerung in der Ex-DDR.

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  Ausgabe 06 - 1998