Ausgabe 06 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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"Wo es wichtig ist, daß ich da bin"Interview mit Katrin M., 50 Jahre, Angestellte im Immobiliengewerbe, aufgewachsen im OstteilArbeitslose, Glückliche Arbeitslose, Grundeinkommen und ohne Arbeit Spaß dabei - in der letzten Zeit ein beliebtes (und vorwiegend unter finanziellem Aspekt diskutiertes) Thema, nachdem sieben Jahre lang ein gigantischer Stellenabbau auch von intellektueller Seite nahezu widerspruchslos hingenommen wurde. Was zur Zeit völlig unter den Tisch fällt: Was bedeutet Arbeit und der Abschied von der Arbeitsgesellschaft für den einzelnen? In loser Folge werden an dieser Stelle in den nächsten Ausgaben Interviews mit Arbeitenden und Arbeitslosen veröffentlicht. Was ist Arbeit für dich? Entweder verdient man gut, oder es ist interessant, oder man hat mit guten Leuten zu tun. Alles zusammen gibt es fast nie. Also mußt du überlegen, was wichtiger ist. Für mich ist wichtig, mit wem ich arbeite - egal, ob die Leute im Büro oder die, die du bei der Arbeit triffst. Das Geld kam eigentlich immer erst zum Schluß. Was bedeutet es heute für dich? Das frage ich mich auch manchmal. Es hat sich schon deshalb verschoben, weil es so eine Bedeutung erhält. Aber die eigentliche Arbeit ist jetzt auch nichts anderes: du verkaufst auch wieder etwas, nun eben Räume. Was würde es für dich bedeuten, arbeitslos zu werden? Mich würde schon beschäftigen, ob sich zum Beispiel das Verhältnis zu Leuten verändert, weil du nicht mehr derjenige bist, von dem sie sich etwas erhoffen können. Weil ich nicht immer weiß, ob jemand nett zu mir ist, weil ich X. bei der Firma Y. bin, oder weil ich einfach ich bin. In ein Existenzloch würde ich nicht fallen. Weil die Unterhaltsverpflichtungen dann wegfallen, käme ich mit dem Arbeitslosengeld klar. Aber ich würde schon gerne - so blöde, wie sich das anhört - an einer Stelle etwas Wichtiges machen. Egal was, aber wo es wichtig ist, daß ich da bin und kein anderer. Wäre es für Dich ein Verlust? Ja. Warum? Weil es ein Beziehungsverlust wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich nur mit Familie, Freunden und persönlichen Beziehungen das Gleiche an Intensität erleben würde. Vielleicht ist das anders, wenn du bei Narva am Fließband gesessen hast. Wobei ich auch dort Frauen kennengelernt habe, die nicht nur mit Frust über ihre Arbeit geredet haben, sondern in einer Gemeinschaft waren, wo sie gern hingegangen sind. Wärst du eine glückliche Arbeitslose, wenn du ein Grundeinkommen hättest, aber keine Arbeit? Ich glaube nicht. Ich würde mich langweilen. Natürlich kannst du sagen, du hast die Chance, dann das zu machen, wozu du Lust hast. Aber ich brauche auch Anreize und Anstöße von anderen, um rauszukriegen, worauf ich Lust habe. Wie lange arbeitest du schon? Seit 1972. Siebzehn Jahre hätte ich noch. Es gibt ganz wenig Zeiträume, in denen ich ungern zur Arbeit gegangen bin. Und die hatten eigentlich nie mit der Arbeit an sich zu tun, sondern nur mit bestimmten Leuten, die dich schikanieren wollten. Meinst du damit das unterschiedliche Angewiesensein auf Arbeit als sozialen Faktor? Eine Kollegin mit drei Kindern kämpft nach jedem Mütterurlaub vehement darum, wieder in ihre Truppe zurückzukommen. Sie könnte sich ja auch mehr Ruhe gönnen oder überhaupt zu Hause bleiben - aber das ist es nicht. Für sie ist es wichtig, aus einer anderen Verpflichtung rauszukönnen, die dich auf etwas reduziert, worauf du dich selbst niemals reduzieren lassen willst. Interview: Ulrike Steglich
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Ausgabe 06 - 1998 |