Ausgabe 06 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Videospielmuseum

Computer- und Videospiele in der Sackgasse

Die Entwicklung im Bereich der Computer- und Videospiele schreitet unaufhaltsam voran. Kein Computer ist vor ihnen sicher, kein elektronischer Terminplaner, kein Speicherchip ohne Spieloption - wohin soll das letztlich führen? Die Antwort liegt auf der Hand. In die Sackgasse. Und die befindet sich in Berlin-Mitte. In der Rungestraße 20, in unmittelbarer Nachbarschaft zum modernisierten Heizkraftwerk, befindet sich ein wahres Kleinod der hauptstädtischen Museenlandschaft - das Computer- und Videospiele Museum. Seines Zeichens das einzige in Europa, wenn nicht gar weltweit. Seit gut einem Jahr ist es für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Nun fragt sich natürlich der kulturbeflissene Mensch, wozu dies gut sein soll - ein Museum für Gameboys und Ballerspiele. Und überhaupt: Museum! Den ganzen Computerkram gibt es doch noch gar nicht so lange.

Dieses Denken kann jedoch nur ein gefährlicher, von kultureller und historischer Ignoranz getragener Irrglaube sein. Oder kann die Leserin respektive der Leser solchen Begrifflichkeiten wie PET, C64, Pong, Poly-Play, BSS 01 oder Zork ernsthaft ihre Historizität absprechen? Wohl kaum, handelt es sich doch allesamt um Meilensteine der Entwicklung einer Kultur, die heutzutage ihren Ausdruck z.B. in Videoinstallationen, interaktiven Lern- und Lehrmedien oder Computeranimationen ˆ la "Jurassic-Park" findet. Der Mensch eignet sich eben jede neue, meist auf den Arbeitsbereich ausgerichtete und von daher zweckgebundene Technik letztlich auf eine kreative Art und Weise an und integriert sie damit in die Kultur einer Gesellschaft. Seitdem es EDV gibt, basteln sich die Programmierer in den Softwareentwicklungsbüros der Firmen und Unis Spielprogramme. Zunächst waren es auf bloßen Texteingaben beruhende Spiele, später auch solche mit grafischen Oberflächen. Der Durchbruch auf dem Massenmarkt kam dann wohl mit dem heute minimalistisch anmutenden, von der Struktur her aber ebenso genialen wie einfachen Tennisspielchen "Pong". An den heimischen Televisionsapparat anschließbar, fesselten diese Videospiele vor allem die Kids und machten für die Eltern den Empfang der Tagesschau - bzw. in Dresden von Polizeiruf 110 - schwierig. Zweifellos hat hier auch der Trend zum Zweitfernseher einen seiner Ursprünge. Nachdem der Markt für Zweitfernseher gesättigt war, holte die Industrie zu einem weiteren Schlag aus und warf massenhaft sogenannte Homecomputer auf den Markt. C64, Sinclair Z80 bzw. Spektrum oder der Atari - es entstanden tausende von Computerspielen, die auf diesen Maschinen liefen, und ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Wurden zu Zeiten des Homecomputers viele der Spiele von den Nutzern noch selber codiert, stellen heute die kommerziellen Spiele das Gros des Angebotes dar. Moderne Spiele erfordern enorme Hardwarekapazitäten: Pentium-MMX-Rechner mit 3-D-Grafikkarte und inflationär hohen Ansprüchen an Arbeitsspeicher und Festplattenkapazitäten. Aber auch reine Spielkonsolen wie z.Z. die Sony Playstation oder Nintendo 64 behaupten sich nach wie vor.

Wie schnell die Entwicklung geht, wird z.B. am Tamagotchi - immerhin auch irgendwo ein Computerspiel - deutlich. Nach einem riesengroßen Medienhype im vorigen Jahr ist dieses Teil offenbar gnadenlos abgestürzt, und heute redet kein Mensch mehr davon. Prinzipiell gab es ein Computerspiel, das Leben simuliert, übrigens schon in den siebziger Jahren - zu sehen im Museum.

Wie schön, wenn irgendwo mal die Zeit angehalten und einem die ganze Entwicklung hübsch strukturiert und nachvollziehbar vor die Nase gesetzt wird. Und genau das leistet das Computer- und Videospiele Museum. Hier kann man die Hardware bestaunen und die Software aktiv selbst ausprobieren. Nette Menschen geben gern Auskunft, und wer in der Woche kommt, hat die beiden Museumsräume mit den ca. 30 Geräten fast für sich allein. Am Sonntag kommen dann schon mal bis zu 70 Leute, und sogar Joseph Weizenbaum (Entwickler von "Eliza") oder Nolan Bushnell (Gründer von Atari) waren schon unter den Besuchern.

Große Pläne hat das Museum ebenfalls. Auf den derzeit vielleicht 60 qm Ausstellungsfläche befindet sich bisher nur ein Bruchteil des vorhandenen Museumsbestandes. 300-500 qm wären locker zu füllen. Ein Umzug in größere und repräsentativere Räume ist angedacht. Gesucht werden auch noch weitere Sponsoren, vielleicht findet sich ja noch der eine oder die andere. Wäre doch nicht gerade uncool, wenn "Andre«s Softwareparadies" in einem Atemzug mit Sony, Bally Wulff und der Softwareschmiede Tivola - den bisher vorhandenen Sponsoren - genannt wird.

Stefan Ulrich

Ort: Computer- und Videospiele Museum, Rungestr.20, 10179 Berlin-Mitte, fon 2 79 33 51, fax 2 79 01 26
e-mail 011346.3310@compuserve.com
homepage http://berlin.icf.de/spinne/jugmailb/museum
Montag - Donnerstag : 14-18 Uhr
Sonntag : 12-18 Uhr
Eintritt normal 6 DM, ermäßigt 4 DM
Montag: "Pay-what-you-want-Tag"

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 1998