Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Unterwegs im

Heimatland

Der Nebel in der Ferne wird eine Wolke, die auf dich zuschwebt. Erreicht sie dich, löst sie sich über dir auf, bist du meilenweit von Leichtigkeit entfernt. Deine Kleider werden naß, und dein Weg wird schwerer, jeder Muskel spannt sich, und dich friert.

Diese Spannung reißt dich hin und her, zwischen Horizont und deinem Standort, deinen Wegen, kommt dieser Bogen zustande, so eine Art Sehnsuchtsbogen. Überspannt, reißt er, erfüllt, löst er sich auf, und du stehst da wie ein begossener Pudel.

Die Vorstellung ist tierisch ­ es interessiert kein Aas, keinen Henker, Geier, kein Schwein, den Teufel nicht ­ das menschliche an dieser Aufführung ist, daß der Henker auftritt. Der Henker hat sich zur Ruhe gesetzt, ist Kontaktbereichsbeamter in St. Gangloff, ledig. Auch dieser Berufsstand stirbt aus, kommt ins Archiv, wird aufgebahrt als Statistikleiche.

„Scher dich zum Teufel", zieht nicht im Teufelstal, wo der Wind dir die Brüdergasse hinauf um die Ohren fegt. Du pfeifst dir eine Pferdeboulette ein, die ist versalzen, schmeckt wie alter Ziegenbock unter der Achsel.

Den Vorgarten der Pferdefleischerei beherrscht eine Miniatur-Mühle. Oberwasser im Garten haben die Zwerge, Förster, Rehe und Elfen. Im Teufelstal.

Du bewegst dich in Richtung Ursprung, und alles ist verdeckt ­ Umweltamt, Heimatstube, Amtsblatt. Du kommst ab vom Weg, und siehe da: Lattenscheune, Stein/Feldstein/Fassung, alles einfach und aufeinander bezogen.

Der Hahn kräht auf dem Weg in den Grund. Auf einem Schild wird vor dem freilaufenden Bullen gewarnt. Da schnürt ein Fuchs über den Weg ­ es ist Mittag, der Hahn kräht öfter, als der Kirchturm schlägt, und im abgezäunten Gelände der Wasserwirtschaft grasen zwei schwarze Schafe oberhalb des stillgelegten Retentionsbeckens. Ein Vogel mit gelbem Kopf ­ ein Pirol? ­ sitzt auf dem Drahtzaun und flötet. Drei Habichte kreisen. Spiel mir das Lied vom Tod.

Die Wolken hängen heute tief. Es riecht nach Schnee. Glück ist ein biochemischer Prozeß, versuche ich mir einzureden. Noch einmal Glück gehabt. Ich bin glücklich. Ich lebe. Schwebend unwirksam. Früher haben sie Butter in Rhabarberblätter gewickelt.

Wie auch immer ich die Dinge drehe und wende und wende und drehe und drehe und wende, ich bin am Ende da, wo ich am Anfang war. Die Drehtür des Lebens: Es kommt eine Aufgabe auf dich zu, du gehst drauflos, stemmst all deine Kräfte gegen den Handlauf der Drehtür. In den Glas-Segmenten zwischen den Kammern sind Ausblicke drapiert, worauf das alles hinauslaufen könnte, strengst du dich nur gehörig an. Los! Du vergibst Energie, du setzt ein, du spürst dich dabei als eine Kraft, die etwas bewegen kann, du hörst Begeisterung und Applaus für dich dort, wo du hin willst ­ und dann kommt der Ausgang, du könntest auf das Offene zugehen, aber da wird dir noch eine Runde vorgeschrieben, nun in die andere Richtung. Du bist schon geübt, nun wird es leichter, schneller und erfolgreicher sein, dein erneuter Göpelgang wird nun ein kleiner Kraftakt sein, gleichsam Routine, aber das ist ein Trugschluß. Die andere Richtung im gleichen Gelände verlangt nicht den gleichen Einsatz. Entgegengesetzt, so fühlst du dich. Es ist wie im Traum, wenn du verfolgt wirst und nicht laufen kannst, du trittst auf der Stelle. Angetrieben vom Willen, am Ziel anzukommen, hoffst du auf die Ruhe eines Menschen, der am Ziel angekommen ist, und drehst weiter, weiter, immer am Ziel vorbei, und wenn du den Moment erwischst, der dich aussteigen läßt, stehst du wieder am Anfang. Eine wirkliche Veränderung ist nur in der Zeit geschehen. Sie ist vergangen, und mit ihrer Vergangenheit bist du anders geworden. Sie geht spurlos an dir vorbei, sie verläßt dich einfach. Du kommst in einer anderen Zeit an.

Hinter Zäunen steht der Wachturm, den sich ein Hamburger zur Wochenendbleibe ausgebaut hat, an der besten Stelle mit Weitblick über die Elbe bis zum Spionageturm in der ehemaligen britischen Zone am anderen Ufer.

Hier an der Elbe, wo man weit blicken kann, gab es bis 1938 ein Dorf, das Wendisch-Wehningen-Broda-Sandwerder hieß, obwohl es sehr klein war. Völkische benannten es in Rüterberg um. Nach dem Krieg grenzte es von drei Seiten an die britische Zone. Sperrzone hieß das für die Bewohner, Passierscheinpflicht und Zwangsräumungen ließen Rüterberg zu einem sperrigen Ort werden. Wohl wichtige Vermessungsarbeiten auf der Elbe brachen 1966 einen Streit zwischen den Groß- und deutschen Mächten vom Zaun, der als „Schlacht von Gorleben" den Ort an der anderen Seite, heute bekannter als geplantes Endlager für Atommüll, zum ersten Mal in die Schlagzeilen brachte. Bei den Vermessungsarbeiten kam man sich ins Gehege, was den Rüterbergern einen weiteren Zaun eintrug, der sie von der DDR trennte. Bis 23 Uhr mußten die wenigen verbliebenen Einwohner in den Käfig, da wurde das Tor geschlossen. Als es sich öffnete, 1989, schufen die bis dato Eingehegten die Freie Dorfrepublik Rüterberg, die sie noch heute vorzeigen können, wenn die Touristen kommen.

Brigitte Struzyk

Brigitte Struzyk berichtete von Februar 2003 bis Juni 2007 regelmäßig über Ditte und Menschenkind.

 
 
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