Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Broken Babylon

Die Rückkehr der Mäzene ­ Kunst als Mittel der sozialen Auszeichnung


Foto: Philipp von Recklinghausen

Der Flaneur, der von Unter den Linden kommend Richtung Museumsinsel schlendert, wird am Kupfergraben einen Neubau sehen. Es ist ein mehrstöckiges, unprätentiöses, aber gediegenes Haus, das gerade fertiggestellt wird. Große Fensteröffnungen sind zu einem schmucklosen Baukörper aus planen Kuben kombiniert. Er wird mit alten Ziegeln verklinkert und hebt sich von den historischen Nachbargebäuden durch seine Schmucklosigkeit und die willkürliche Anordnung der Fenster ab. Die Qualität der Architektur, die exponierte Lage und die Großzügigkeit des Baus lassen auf einen Bauherrn mit exquisitem Geschmack und großen finanziellen Mitteln schließen. Das Gebäude weigert sich konsequent, sich anzubiedern und zitiert mit den wiederverwendeten alten Ziegeln das nahe Pergamonmuseum. Es ist ein privates Haus. Es wird Wohnungen und eine Galerie beherbergen. Bauherr ist Heiner Bastian, und David Chipperfield der Architekt. Heiner Bastian ist in Berlin eine Person des öffentlichen Lebens, er war Sekretär von Joseph Beuys und ehemaliger Kurator des Hamburger Bahnhofs, ist international agierender Kunsthändler und Betreuer der Sammlung von Erich Marx, die zur Zeit noch im Hamburger Bahnhof gezeigt wird.

Heiner Bastian, durch das Geschäft mit der Kunst reich geworden, kann es sich leisten, seine privaten Ausstellungsräume in einem eigenen Haus gegenüber der Museumsinsel unterzubringen und vor dessen Errichtung einen Wettbewerb auszuloben, zu dem einige der weltbesten Architekten geladen wurden. Und das Haus von Herrn Bastian entsteht direkt gegenüber der Museumsinsel, symbolträchtig unweit des Zentrums der nationalen Museumslandschaft gelegen, nicht weit entfernt von dem Museum, das den Namen Wilhelm von Bodes trägt, der wie kaum ein zweiter im Kaiserreich als Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen an der Schnittstelle zwischen der Macht und dem Geld agiert und mit privater und staatlicher Hilfe Kunstsammlungen aufgebaut hatte. Die Wahl des Bauplatzes und die Intention des Neubaues lassen wenig Zweifel an dem Rang aufkommen, den der Bauherr für sich in Anspruch nimmt.

„Der Vorrang des Privaten vor dem Öffentlichen vollzieht sich, wenn die Privaten ihr Privates als Zeichen der Repräsentation öffentlich machen"

Die gemäßigte, gediegene Moderne des Hauses erzählt von dem langsamen Wechsel in der Berliner Kunstwelt, von der Rückkehr der Mäzene, dem erwachenden Engagement der Wohlhabenden und dem steigenden Einfluß der Sammler. Der Vorrang des Privaten vor dem Öffentlichen vollzieht sich, wenn die Privaten ihr Privates als Zeichen der Repräsentation öffentlich machen. Was ist, wenn die Ära des sozialen Ausgleichs und der kulturellen Unruhe ersetzt wird durch die Repräsentation einer wohlhabenden Schicht wie im wilhelminischen Deutschland? Was ist die Rolle der Kunst dann, in dieser Zeit?

In den USA ist Kunst schon immer mit Vermögen verbunden, einige der spektakulärsten Museen des Landes haben ihren Ursprung in privaten Stiftungen. Kunst und Geld gehören zusammen, sagte mir ein ehemaliger Galerist, der jetzt noch einzelne Künstler betreut, weise und illusionslos geworden in dem Geschäft, Kultur und Kunstwerke an Museen und Reiche zu verkaufen. Er hat nie an sozial engagierte Kunst geglaubt, für ihn sind Künstler Menschen, die sich mit Verve etablieren müssen. Für ihn symbolisiert das Haus Bastian in Berlin Klugheit im Kunstmarkt, der immer schon fest in den Händen privater Sammler war, die mit ihrer Kaufpolitik nicht nur ihr Vermögen vermehren, sondern sich auch als Schwergewichte in der Sphäre der kulturellen Legitimation der gegenwärtigen Verhältnisse etablieren. Kultur stellt den Rang der Besitzenden aus, so war es für ihn immer schon, wenn man von dem Ideal der Romantik, dem unverstandenen Künstler, absieht.

So gesehen ist Kunst essentiell ein Verkaufsobjekt, und die kleinen roten Punkte neben den Werken in Galerien bedeuten die erfolgreiche Plazierung des Künstlers als Marke im internationalen Kunsthandel. Wie bei Fonds, die Banken auflegen, sind ausgewählte Indizes rasch vergriffen. Die Rendite bei der Akquise von Kunst mag abenteuerlich erscheinen ­ wen wundert es, daß viele Studenten an den Kunstakademien von Galeristen und Headhuntern beobachtet werden und die besseren schon Verträge mit Galeristen haben?

Kleine rote Punkte gab es neben fast jedem Bild, als Dash Snow in der Galerie Contemporary Fine Arts ausgestellt wurde. The End of Living ... The beginning of Survival, so heißt die Ausstellung. Dash Snow widmet sich den Drop Outs, seine Fotos zeigen Arme, Häßliche, Sex, Drogen und die Atmosphäre der verslumten Stadtquartiere. Sind es Polaroids, die dem Düsteren noch einen weiteren Kick der Armut geben? Dazu gibt es Collagen, großflächige Fotos mit viel Fleisch und noch mehr Geschlechtsorganen, Zeitungsausschnitte von Titelseiten amerikanischer Blätter, die den Tod Saddam Husseins glorifizieren, eine Mischung aus Punk, Dada und einigen Installationen. Eine eigenartige Atmosphäre des amerikanischen Folk geht von diesen Werken aus, die wie eine museale Inkarnation der Musik von Bonnie „Prince" Billie oder Hermann Düne erscheinen, Punk, der jetzt künstlich verblichen ist und das Ende einer Ära bedeutet.

Ohne Zweifel, hier wird ausgezeichnet zitiert und dabei erneut ein Mythos beschworen, der sich in der Existenz der Loser, der Verlorenen, des ,authentischen' Lebens jenseits der Viertel der Mittelklasse manifestiert. Dabei pendeln die Werke auf eine raffinierte Weise zwischen der Musealität der Avantgarde und jener Bildästhetik des Schäbigen, wie sie unter anderem von Vice, jenem kostenlosen Lifestylemagazin, das hie und da ausliegt, propagiert wird. Dash Snow, der inzwischen als Künstler überaus arriviert ist, ist dabei auf eine fast inzestuöse Weise mit seiner Kunst verknüpft, rannte er doch als Jugendlicher von seiner Familie fort, um, wie er sagt, in New York mit Diebstählen und Graffiti seine Tage zu verbringen.

Allerdings war die Rolle, die er dabei gespielt hatte, von dem Format eines klassischen Dramas, denn die Familie, der Dash Snow entstammt, gehört zu den angesehensten Familien der Ostküste. Reich, schwerreich, überaus eng mit Kunst verknüpft, und etabliert in jeder Hinsicht, dazu hat Dash Snow das Glück, ein sehr schöner Mann zu sein. Und jetzt hat er es geschafft, sich selbst als Marke zu etablieren.

„Was bleibt, wenn Kunst zum Mittel der sozialen
Distinktion wird"

Die Ausstellung hinterläßt einen schalen Eindruck, nicht wegen der vielen roten Punkte oder den freizügigen Penisfotos, unter denen die Angestellten der Galerie im offenen Büroraum sitzen. Es bleibt das Gefühl zurück, Gekonntes, aber nicht Eigenes gesehen zu haben. Etwas, das marktkompatibel ist und nur kalkuliert provozieren will. Hat man den Geschmack, den Dash Snow geerbt hat, gesehen und nicht mehr? Ist ,taste', Geschmack, nicht auch ein Attribut einer Schicht?

Der ruhige, freundliche Hinterhof, in dem die Galerie Contemporary Fine Arts untergebracht ist, ist durch Stil und offenkundige finanzielle Potenz in perfekter Langeweile sediert. Was bleibt, wenn Kunst zum Mittel der sozialen Distinktion wird? Matthias Bechthold hatte unweit davon im „Neuen Problem" eine Ausstellung gehabt, ohne daß grüne oder rote Punkte den Status des Verkaufes anzeigten.

Matthias Bechthold ist ein älterer, hagerer und angenehm unprätentiöser Modellbauer. Was er als Kunst fertigt, sind Stadtansichten aus Pappe, die hypertroph wachsende urbane Szenarien entwerfen und aus japanischen Mangacomics oder Artikeln von Rem Koolhaas über Megacities stammen könnten. Es verdichten sich Pappbauten zu einer Landschaft, aus der einige Hochhäuser wachsen und die wie ein furchterregendes Abbild Sa˜o Paulos wirkt. Es gibt Eisenbahnwagenmodelle und winzige Kinomodelle in futuristischen Bauten mit eingebauten Bildschirmen. Allerdings wirken diese Kunstwerke sehr privat, fast autistisch, ohne Verkaufsabsichten; es ist, als würde man eine Zeitreise antreten, die in eine vergangene Zeit futuristischer Pläne führen wird, in der Kinos und Fernseher eine neue Zeit propagierten. Gleichzeitig strahlen einige Entwürfe eine sogartige Faszination für eine mögliche architektonische Form aus, die vor allem durch die Schalen der Elektrogeräte, die in die Modelle eingeflossen sind, bestimmt wird.

Nachts, in seinem Atelier, das in dem Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands liegt und ein karger Raum mit großen Fenstern ist, sieht man auf die Hochhäuser des Wohnungsbaus der DDR. Hinter den Fenstern flimmern Fernseher, davor ist eine vierspurige Straße. Eines der Fenster des Ateliers ist zugewachsen mit Pflanzen, die die Fassade emporwuchern. In einem der Modellkinos, das praktischerweise wieder die Form eines Haushaltgeräts hatte, waren die Zuschauer schon lange tot. Aus einem alten Lautsprecher klang Can, psychedelischer Krautrock der 70er. Er paßte zu den großen Fenstern des Ateliers, dem schmutzigen Teppichboden, dem abgegriffenen Arbeitstisch und der geballten monströsen Moderne draußen. Und plötzlich war in dem Atelier die Dichte dieses Ortes und dieser Kunst gegenwärtig, die von dem privaten Staunen erzählte und sich der Marktstrategie des Ertrages zu verweigern scheint. Das Draußen und Drinnen floß zusammen, es ließ einen innehalten, wie es nur geglückte Erzählungen können und es ließ vergessen, daß, wie Matthias Bechthold einräumte, auch er, wie die meisten Künstler, ein wenig egoman ist. 

GMZ

 
 
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