Musik für die Massen
Der Kritiker ist tot es lebe der
Kritiker
Heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung durch Musikkritiker,
Und so hab auch ich die Ehre
Und mach jetzt Karriere als Musikkritiker.
Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist,
Denn ich bin beruflich Pharmazeut,
Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, um so mehr freun sich
die Leut.
Es gehört zu meinen Pflichten,
Schönes zu vernichten als Musikkritiker.
Tatsächlich gibt es nichts
befriedigenderes als einen amtlichen Verriß zu schreiben.
Diese Lust an der Zerstörung fremder Schaffensfreude, den man
schon beim Spiel kleiner Kinder in der Sandkiste beobachten kann,
formulierte der österreichische Kabarettist Georg Kreisler in
seinem Lied Der Musikkritiker trefflich. Nur haben sich die Zeiten
geändert. Neben Regalmetern an diversen Musikjournalen und
Fanzines sind es die vielen Plattformen im Internet, wo Lieblingslisten
und bitterböse Kommentare erstellt werden die
bekanntesten finden sich wohl bei My Space oder Amazon. Dazu toben sich
unzählige Schreiber in ihren Blogs und Foren über
Mainstream und die abseitigsten musikalischen Subgenres aus.
Gleichzeitig bieten kostenlose und zahlungspflichtige Downloads die
Möglichkeit, Musik jenseits der üblichen
Vertriebswege quasi an jedem Ort verfügbar zu haben. Kurz: Der
Bann ist gebrochen, und so verliert der hauptamtliche Kritiker sein
diktatorisches Regime über Geschmacks- und
Qualitätsfragen in Sachen Musik
Geradezu radikal in Sachen Kritikerentmachtung
sind aber Datenbanken, die maßgeschneiderte Musik nach
Geschmack des Hörers ausspucken und den Musikkonsumenten so
zum autonomen Pfadfinder machen, den Kritiker somit endgültig
in den Ruhestand schicken. Am Anfang dieser Entwicklung stand eine
Überlegung, die eher Unbehagen, denn wirkliche Lust
hervorrief, denn hinter der Frage „Wieso mag jemand eine
bestimmte Musik?" steht nicht das Individuelle, sondern die Suche nach
einem musikalischen Code, der Musik, Bands und Künstler
systematisiert und ihre Position in diesem Rahmensystem verortbar
macht. So nennt sich die Gruppe, die hinter pandora.com steht,
passenderweise auch gleich Music Genome Project. Aus rund 400 Merkmalen
wie Melodie, Rhythmus und natürlich Text kristallisiert
Pandora für jede Musik einen eigenen Code heraus. Der Nutzer
der Seite kann nun eine ihm bekannte Band eingeben, und Pandora
erstellt ein passendes Internetradioprogramm, durch den sich der
Hörer streamen kann.
Die Idee der Social-Music-Portale hat im Laufe der
Zeit eine Reihe von Nachahmern wie mog.com, finetune.com, mystrands.com
oder last.fm gefunden, die alle nach dem gleichen Prinzip
funktionieren: Entweder gibt man einen Bandnamen ein oder man
läßt gleich ein Programm die eigene Festplatte nach
vorhandenen Musiktiteln durchforsten. So oder so wird nach Musik
ähnlicher Stilrichtungen gesucht. Durch permanente Bewertung
der Musik durch den Nutzer verfeinern sich die Vorschläge
engen sich anderseits aber auch immer mehr ein. Im
Zweifelsfall gilt es, das Programm neu zu starten, um sich einem neuen
Stil widmen zu können. Für alle gilt aber:
anhören: ja, downloaden: nein. Wenn's gefällt
meist sind über einen Klick „Amazon" oder
„i-tunes" direkt mit der Website verlinkt und führen
zum entsprechenden Album. Etwas anders funktioniert iJigg.com. iJigg
ist eine Plattform für Bands, die noch keinen Plattenvertrag
haben, deswegen können die Hörer die Stücke
runterladen. Das garantiert die Begegnung mit unbekannten
Klängen bei recht unterschiedlichen
Qualitätsstandards.
Es ist ja keine neue Erkenntnis, daß
sich der Musikmarkt im Umbruch befindet, und über die
verschlafene Musikindustrie ist auch schon viel geschrieben worden.
Interessant ist die Frage, inwieweit die Autonomie, die jeder dank der
Social-Music-Portale zur Verfügung hat, auch dauerhaft auf
Interesse stößt. Probieren geht über
studieren so kann man das Motto dieser Portale
zusammenfassen. Der Nachteil all dieser Angebote ist
natürlich, daß immer der Rechner das Medium der
Vermittlung ist. So sitzt man vor seinem Monitor und klickt sich von
Song zu Song nicht gerade sexy. Dazu kommt die schier
unbegrenzte Anzahl des Datenmaterials, die diese Projekte eher
unattraktiv macht. Da bricht dann die Sehnsucht durch nach einer klaren
Empfehlung, nach einer Liebeserklärung an ein Album oder eben
auch nach einem ordentlich Verriß aus berufenem Munde.
Und was ist das Ende vom Lied? Nach Georg Kreisler
ganz einfach: Nieder mit Musik!
Marcus Peter