Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Die bessere Welt

Redlich trunken auf Neuköllner Alzheimerprophylaxe


Foto: Bernd Potschka

Der scheinschlag hat oft und ausgiebig über die Berliner Eckkneipen, die Prollstampen, berichtet und bejammerte immer wieder den Niedergang dieser für das Berlin der Vergangenheit so typischen Kultureinrichtungen ­ in Prenzlauer Berg, in Mitte, Kreuzberg, anderswo. Endlich Zeit, davon zu berichten, was scheinschlag, seine Redakteure, seine Autoren, als das Kneipen-Dorado ansehen: Neukölln, noch hinterm S-Bahn-Ring. Die Silbersteinstraße, Flaniermeile des redlichen Trinkers. Die bessere Welt. Oder anders gesagt, eine Welt, wo Ideen für eine bessere Welt geboren werden. Oder so.

Mit ausgewiesenen Kennern des Metiers ­ Herrn Stirner, Herrn Witte, Herrn Jansen und Fräulein Sax ­ begab ich mich also kürzlich auf Tour, vom S- und U-Bahnhof Neukölln aus die Silbersteinstraße entlang.

An der Ecke Walterstraße das erste Lokal: „Der gemütliche Oldie- und Countrytreff ‚Zur Ecke'", schmuddelig, vollgestellt und -gehängt mit jedwedem Country-Firlefanz und zugekleistert mit albernen Kneipensprüchen, gut gefüllt mit noch nicht ganz abgefüllten Gästen. Ein schöner Ort. Die kleine Flasche Schultheiss kostet 1,10 Euro, auf der Getränkekarte sind aber auch die wahren Stimmungsmacher ausgewiesen: Eine Dreiviertelliterflasche Hm-Korn bzw. Hm-Weinbrand gibt's für 15 Euro. Wegen der in einem Countrytreff unvermeidlichen Hintergrundgeräusche kam es zu einem unvermeidlichen, gleichwohl wenig fundierten Disput über Gunter Gabriel, Truck Stop und Boss Hoss. Herr Jansen sang mit.

Im „Tanzlokal Silbereck" an der Bendastraße fiel sofort die merkwürdige Mischung des Publikums auf; nicht nur dickleibige Gewohnheitstrinker tummelten sich dort, da gab's auch junge, gelangweilte, mit entsprechenden Frisuren versehene Mädchen, einen als Klofrau eingesetzten, gleichwohl völlig zugedröhnten Plüschelefanten, einen DJ, der die schlechtesten Hits der 80er Jahre zu Gehör brachte. Am Nachbartisch radebrechte man über anderes, darüber, daß Bier gesund sei, natürlich, daß der Genuß dieses köstlichen Safts Alzheimer verhindere ­ wissenschaftlich erwiesen.

Das „Neuköllner Gasthaus" an der Ecke Hermannstraße war eine Enttäuschung, eine Globalisierungs-Eckkneipe: Hinter dem Tresen stand eine als Sonnenstudiobesitzerin geborene Mittvierzigerin; der Laden schrecklich sauber, überstrahlt von einer furchterregenden Neonreklame für das weltlangweiligste, von skrupellosen Bierdesignern zusammengemixte, praktisch geschmacklose Heineken. (Ein Schultheiß schmeckt zwar scheiße, es schmeckt aber wenigstens nach irgendwas.) Nicht nur die Einrichtung ­ u.a. ein sauberst gemauerter Tresen mit Holzsöllerchen, die sich als exotische Un-, gleichwohl biedere Kuscheltiere gerieren ­ warf die Frage auf, ob das uns kredenzte und als Kindl deklarierte Bier nicht vielleicht doch von Ikea gebraut wurde. Die Frechheit, daß uns ausgemachten Henkeltrinkern ungefragt Kugeln vor die Nasen gestellt wurden, quittierten wir mit einem lauthalsen Sermon über das ödeste Spiel der letzten Fußball-WM zwischen der Ukraine und der Schweiz. Sinnlos ­ in einer Sonnenstudiokneipe versteht man weder etwas von Fußball noch von ironischer Kritik. Herr Stirner sagte: „Schlimm!"

Aber nur ein paar Schritte weiter, auf der anderen Straßenseite, ward wieder Licht: in der Kneipe „Zu den 3 Stufen". Davor saßen zwei Herren und eine Dame, drinnen schummerte ein verwaister Tresen vor sich hin. Getreu der Devise, daß man, um eine Kneipe wirklich kennenzulernen, in ihr Inneres vordringen muß, wagten wir uns in die Dunkelheit. Die Dame kam uns nach.

„Welches Bier habt ihr hier?"

„Warsteiner oder Waidbauer."

„Waidbauer? Ist das aus Bayern?"

„Nee, das ist aus Deutschland ... nicht aus Bayern."

„Na dann. Fünf davon!"

Die folgende Diskussion drehte sich um Biere aus Italien, Spanien, der Türkei. Fräulein Sax erzählte von rebellischen türkischen Jugendlichen, die ganz ohne Alkohol auskämen. Stellte sich die Frage: Ist Subversion ohne Alkohol denkbar? Eine Antwort ließ sich nicht finden ­ wir mußten weiter.

In die „Silberquelle", wo das Bier auch nur 1,30 Euro kostet. Wo immerdar fünf Tresenverwalter sitzen, einer mit T-Shirt „Zur Serienproduktion nicht freigegeben". Wo ein Kubaner die Flasche Schultheiß rüberreicht. Und wo man noch immer trauert, weil ein Stammgast vor zwei Jahren umgebracht wurde. Nachzulesen in der aushängenden BZ von damals („weil er ein zu großes Herz hatte").

Nachher mußten wir feststellen, daß wir nichts wissen: von Neukölln, von der hiesigen Trinkkultur, den Sitten der Eingeborenen. Natürlich geht der Neuköllner Trinker seinem Tagwerk am Tag nach, und irgendwann ist dann auch Feierabend ­ das „Pils-Stübchen" und „Kalli & Co." hatten schon zu.

Wir liefen zurück, besuchten nochmal die „Silberquelle" und das formidable „Zu den 3 Stufen", landeten schließlich im „Achhajee" auf der Hermannstraße. Handelten dort noch schnell die Themen Anarchismus, Taoismus, Chavismus, Anästhesismus und Klosprüche ab und versuchten uns an der Vertonung des Marxschen Kapital als Rap. Wir sangen fünfstimmig. Und waren selig Schultheiß-trunken, auf redliche neuköllsche Art und Weise wackelig. Herr Jansen brauchte hernach Erste Hilfe, Fräulein Sax mimte die Krankenschwester. Wir torkelten aus der Kneipe, über die S-Bahnbrücke, in die schlechtere Welt.

Komischerweise steht auf einem meiner während der Tour vollgekrakelten Zettel noch: „Schmatzend bekundete er sein Wohlgefallen an den Hervorbringungen von Mutters Küche." Hm.

Jörn Luther

 
 
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