Mit revolutionärem Anspruch
in die Bedeutungslosigkeit
Der Niedergang der Berliner Autonomen

Foto: Knut Hildebrandt
Die
Räumung der Friedrichshainer Mainzer Straße vom 12.
bis 14. November 1990, die zeitgenössische Journalisten unter
dem Eindruck der Ereignisse damals als
„größten Polizeieinsatz der deutschen
Nachkriegsgeschichte" bezeichneten, hat die autonome Szene, die sonst
zu jedem Popelereignis ihre Nachbereitungstreffen zelebriert, nie
ernsthaft thematisiert. Das ist verständlich, denn wer erfreut
sich schon an Niederlagen und suhlt sich gern in seinen Traumata. In
der Tat markiert die Räumung der Mainzer Straße den
Beginn des Niedergangs der autonomen Szene.
Dabei war die Ostberliner Hausbesetzerbewegung
eigentlich gar keine autonome Bewegung. Zu Beginn stand sie eher in der
ostdeutschen Tradition des „Schwarzwohnens". Das erste
öffentlich besetzte Haus Ostberlins in der
Schönhauser Allee 20/21 entwickelte sich aus einer Reihe
stiller Wohnungsbesetzungen, bis die Bewohner am 22. Dezember 1989 mit
dem Aufhängen eines Transparents die Besetzung bekanntgaben.
Nachdem die Nachricht von der Okkupation in der Öffentlichkeit
wie eine Bombe eingeschlagen war, folgten schnell weitere Besetzungen.
Bis Februar 1990 waren es schon zwanzig Häuser,
hauptsächlich im Prenzlauer Berg.
Bis dahin wurde die Besetzerbewegung
hauptsächlich von DDR-Bürgern getragen. Doch im
Februar war das Potential an Ostberlinern für Hausbesetzungen
weitgehend erschöpft. Jetzt kamen immer mehr Westberliner
Künstler, Autonome, Studenten oder auch einfach Obdachlose in
den Ostteil der Stadt, um sich Häuser anzueignen. Schwerpunkt
der neuen Hausbesetzungen war zu diesem Zeitpunkt der Stadtbezirk
Mitte. Bis Ende April waren 50 Häuser besetzt.
Im Mai kam die Bewegung richtig in Schwung.
Nachdem „MitgliederInnen autonomer Gruppen aus Ost und West"
in der Westberliner Szene-Postille Interim einen Aufruf
veröffentlicht hatten, in Friedrichshain Häuser zu
besetzen, um bevorstehende geplante Umstrukturierungen zu verhindern
und die beiden dort besetzten Häuser vor Nazi-Angriffen zu
schützen, kam es zu einem regelrechten Run auf den Bezirk.
Innerhalb kürzester Zeit waren zwölf Häuser
allein in der Mainzer Straße besetzt. Die Straße
entwickelte sich zum Eldorado für allerlei Abenteurer und
Politaktivisten. Ständig folgten weitere Besetzungen von
Häusern und auch von einzelnen Wohnungen. Die Westberliner
Wohnungsnot fand in Ostberlin ihr Ventil. Bis zum Höhepunkt
der Bewegung im August waren 120 Häuser besetzt.
„Eine der größten
Stärken und gleichzeitig auch eine der
größten Schwächen der linken Szene war
immer schon das ‚Konzept Szene' selbst"
Die Bewegung baute von Anfang an ihre eigene
Infrastruktur auf: Sie hatte
eigene Kneipen, Veranstaltungsräume, Volksküchen und
eine Zeitung, die als internes Diskussionsforum diente. Organisiert war
sie nach dem Räte-Modell, mit einem imperativen Mandat
für die Delegierten: Es gab einen Ostberliner Besetzerrat, in
dem man unter anderem den Umgang mit Nazis und die
Vertragsverhandlungen mit dem Ostberliner Magi-strat besprach, dazu
verschiedene Arbeitsgruppen. Es gab Räte in den einzelnen
Stadtbezirken, straßenweise und in jedem Haus. Aber trotz des
in der Öffentlichkeit verbreiteten Interesses an den besetzten
Häusern machte die Bewegung so gut wie keine Anstalten, ihre
Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.
Aufgrund ihrer offensichtlichen Stärke war sie sich selbst
genug, und solange sich immer mehr Leute anschlossen, gab es auch
keinen Grund für eine Ausweitung in Richtung einer
Mieterbewegung etwa. Besonders nach dem Ansturm auf Friedrichshain, als
mehr und mehr die autonomen Gruppen das Zepter in den Räten
übernahmen und damit nach und nach die Leute aus dem
Prenzlauer Berg vertrieben, setzte man mehr auf Abschreckung und
Stärke. So kursierten Flugblätter, auf denen gedroht
wurde, für jedes geräumte Haus einen Sachschaden von
100000 Mark anzurichten.
Diese Androhung gewalttätiger
Ausschreitungen war durchaus ernstzunehmen, wie die
Straßenkämpfe im Anschluß an die
Räumung zweier besetzter Häuser in der Lichtenberger
Pfarrstraße und eines in der Cotheniusstraße im
Prenzlauer Berg am 12. November 1990 zeigten. Nachdem zwei Tage
später die Mainzer Straße geräumt worden
war, fielen diese Drohungen aber schnell in sich zusammen, denn hier
war immerhin so etwas wie das Herz der Bewegung besiegt worden.
Hätten irgendwelche Häuser erfolgreich militant
verteidigt werden können, dann die in der Mainzer
Straße.
Auch wenn am Abend nach der Räumung noch
eine spontane Solidaritätsdemonstration zum Erhalt der noch
besetzten und zur Rückgabe der geräumten
Häuser mit der heute unvorstellbar hohen Zahl von 15000
Teilnehmern stattfand, fiel die Bewegung in der Folge schnell in sich
zusammen. Die Bewe-
gung der linken Szene verlor ihren offensiven Charakter. Es ging jetzt
nur noch um die Absicherung des Erreichten. Dies gelang aber immerhin
für die meisten der Häuser.
Das Scheitern der großmäulig
militanten Straßenpolitik war sicher nicht der einzige Grund
für den Niedergang der autonomen Szene in den 90er Jahren.
Unbedingte Voraussetzung für eine solche Politik ist eine
Bewegung, in der überhaupt agiert werden kann. Da es seit der
Anti-Olympia-Bewegung 1993 in Deutschland, abgesehen von
Antifa-Mobilisierungen und den Castor-Transporten, keine
größeren Menschenaufläufe mehr gegeben hat,
jedenfalls keine, an der sich autonome Gruppen im großen Stil
beteiligt hätten, tummelt man sich seit ein paar Jahren gern
auf internationalen Events der Antiglobalisierungsbewegung und
täuscht sich so selbst über die eigene
Schwäche hinweg. Wenn man jedes Mal zwei Jahre Vorbereitung
braucht, um wie zu den Protesten in Rostock und Heiligendamm
nach einer internationalen Mobilisierung 50000 Menschen auf
die Straße zu bringen, dann geht davon nur noch eine sehr
begrenzte Bedrohung für die öffentliche Ordnung aus.
Da können die meinungsbildenden Zeitungen noch so sehr die
Gefährlichkeit des Schwarzen Blocks herbeischreiben
ohne die Hilfe von polnischen und spanischen
„Kämpfern" bekommen die deutschen Autonomen noch
nicht einmal mehr eine „ordentliche Randale" hin.
„Wer hinter jedem Baum einen Faschisten wittert, hat die Hoffnung auf eine
revolutionäre Veränderung der
Gesellschaft längst aufgegeben"
Eine der größten
Stärken und gleichzeitig auch eine der
größten Schwächen der linken Szene war
immer schon das „Konzept Szene" selbst. Sie war stets auch
eine gegen- oder subkulturelle Bewegung, was ihr vor allem in den 80ern
immensen Zulauf beschert hatte. Das war schon damals zweischneidig
für eine Bewegung, die ja immerhin für sich
beanspruchte, revolutionär zu sein. Heute hat sie durch die
Ausdifferenzierung in Subkulturen zwar für jeden etwas im
Angebot, damit ist aber auch die Kraft verlorengegangen, die eine
Einheit bieten kann. Überdies benutzen heute Nazis dieselben
Codes, und man weiß auch nie so genau, ob der coole
Szene-Schuppen, in dem man gerade ist, nicht von Nike betrieben wird.
Nicht ganz zufällig bezeichnet ein Szeneviertel heutzutage ein
Vergnügungsviertel.
Die Hauptschwäche des Konzepts Szene
besteht aber in der Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, der man
im Grunde feindlich gegenübertritt. Durch die zwischenzeitlich
fast ausschließlich auf Antifa-Politik beschränkte
Praxis autonomer Gruppen hat sich diese Abgrenzung noch
verschärft. In Friedrichshain war das schon 1990 ein Problem
und hat nicht unwesentlich zur Niederlage in der Mainzer
Straße beigetragen. Eine ähnliche
Straßenschlacht um die Hamburger Hafenstraße ein
paar Jahre zuvor hatte schließlich mit Hilfe der Nachbarn
gewonnen werden können. In Friedrichshain waren die besetzten
Häuser völlige Fremdkörper, Festungen in
einer feindlichen Umgebung.
Folgerichtig hat sich die linke Szene denn auch ab
1993 mehr als ein Jahrzehnt lang praktisch gar nicht mehr an
größeren sozialen Bewegungen beteiligt.
Während der Arbeitslosenbewegung 1998 und in Konkurrenz zu ihr
organisierte die Berliner Gruppe FelS einen Kongreß zum
Existenzgeld, und auf den Montagsdemos in Berlin zeigte nur die FAU
Flagge. Seit der Agenda 2010 hat man aber immerhin das urlinke Thema
der ungerechten Verteilung des Reichtums wiederentdeckt und mit dem
etwas unscharfen Begriff des Prekariats auch gleich ein neues
revolutionäres Subjekt ausgemacht. Mit normalen Prolls will
man aber eigentlich immer noch nichts zu tun haben.
Wer sich in einer feindlichen Umgebung
wähnt und hinter jedem Baum einen Faschisten wittert, hat die
Hoffnung auf eine revolutionäre Veränderung der
Gesellschaft ganz offensichtlich längst aufgegeben. Dann kann
man nur noch dafür sorgen, daß wenigstens der eigene
Vorgarten sauber bleibt. Also beschäftigt sich die linke Szene
am liebsten mit sich selbst. Mal muß ein Kondomautomat in der
Szenekneipe XB-Liebig verhindert werden, um die autonomen Frauen vor
ihren sexbesessenen männlichen Kampfgefährten zu
schützen, mal muß ein bekannter Berliner
Flugblattsammler aus der Szene verbannt werden, weil er Pornos
angesehen hat. Die dazugehörigen Diskussionen in der heute
noch existierenden Interim können sich schon mal ein Jahr
hinziehen.
Die Autonomen haben hierarchische Strukturen immer
abgelehnt, deshalb ist die Szene auch nicht als Partei organisiert,
sondern in informellen Strukturen. Das hat den Vorteil, daß
sie staatlicherseits nicht verboten werden und den Nachteil,
daß man sie nicht per Beschluß auflösen
kann. Letzteres wäre für alle das Beste,
schüfe es doch endlich wieder Platz für eine weniger
realitätsfremde linke Bewegung.
Søren Jansen