Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Saufen bis die Lichter ausgehen

Oder zu den Anonymen Alkoholikern gehen

Wer regelmäßig über den Genuß oder den Durst hinaus trinkt, der läuft Gefahr, in die Abhängigkeit des Alkohols zu geraten. Ein Alkoholiker wächst heran. Einmal in der Suchtfalle steckend, ist es für die Betroffenen oftmals schwer, den Kreislauf von Trinken, Entzug und erneutem Trinken zu durchbrechen. Alleine und ohne Hilfe ist dies fast unmöglich. In Berlin gibt es diverse professionelle Angebote von Ärzten und Kliniken und verschiedene Selbsthilfegruppen zur Bekämpfung der Alkoholsucht. Eine bekannte Organisation zur Linderung des Alkoholmißbrauchs sind die Anonymen Alkoholiker (AA). Sie haben in der Stadt ein Netzwerk von Meetings, in denen sie sich treffen, um gemeinsam nüchtern zu werden und zu bleiben. Frauen und Männer, zumeist mittleren Alters, sitzen dort zusammen. Gemeinsam ist ihnen eine Suchtbiographie, die manchmal Jahrzehnte gedauert hat. Bis sie endlich in einer Klinik zur Entgiftung oder in einer Selbsthilfegruppe aufschlugen, um sich vom Alkoholmißbrauch zu befreien.

Der Ablauf der AA-Meetings ist überall gleich. Ein sogenannter Chairman eröffnet das Treffen mit dem Verlesen der Präambel der AA und betont besonders, daß jeder willkommen ist, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören. Der Chairman hat nur die Aufgabe, Wortmeldungen entgegenzunehmen und die jeweiligen Sprecher in der Reihenfolge ihrer Wortmeldung vortragen zu lassen. Die Regeln sind einfach: Geredet wird in der Ich-Form, jeder erzählt nur von seinen Gefühlen und Erfahrungen. Es gibt keine Diskussion und auch keine Zwischenrufe. Kritik soll nicht geübt und Ratschläge sollen nicht erteilt werden.

Ein Mann, er könnte sechzig oder etwas jünger sein, beginnt: „Ich bin nicht zu den Anonymen Alkoholikern gekommen, weil ich Schweißfüße oder Mundgeruch hatte, sondern weil ich gesoffen habe. Gesoffen bis es nicht mehr ging. Wir haben damals an meinem Arbeitsplatz Trinkgelder bekommen, das habe ich wörtlich so verstanden und jeden Tag die Einnahmen vertrunken. Meine Olle meinte immer, ich wäre doch ganz in Ordnung, wenn ich nur nicht so viel saufen würde. Hat das etwas genutzt? Gar nichts, ich habe alles versoffen, meine Ehe und meinen Beruf. Nachdem ich dann nüchtern war, hatte ich auch wieder Arbeit und habe zum zweiten Mal geheiratet. Aber darauf kommt es mir nicht an. Heute bin ich trocken und darauf kommt es mir an! Es gibt für mich keinen Grund mehr zu saufen. Ich danke euch fürs Zuhören!"

Es folgen eine Fülle ähnlicher Aussagen. Manche mit konkretem Alltagsbezug. Manchmal eine Säufergeschichte. Erstaunlich ist, wie selbstironisch und ehrlich einige trockene Alkoholiker ihr ehemaliges Elend schildern. Alle Aussagen enthalten aber den roten Faden: Ein Leben ohne Alkoholkonsum ist möglich! Ein Gong läutet zur Pause. Halbzeit. „Die Anonymen Alkoholiker erhalten sich selbst", verkündet der Chairman. „Jeder gibt so viel er möchte oder kann." Das ist, neben der Wahrung der Anonymität ihrer Mitglieder, eines der ehernen Prinzipien der AA. Die Gruppen sorgen für sich selbst, sie nehmen keine Gebühren und keine Spenden von außerhalb an noch lassen sie sich sponsern oder in irgendeiner Form von Externen materiell unterstützen.

Wie wird man Mitglied in so einem „Club"? Indem man sich dazu gesellt. Die AA führen keine Mitgliederlisten. Der Wunsch, mit dem Alkoholtrinken aufzuhören, reicht. Ob jemand sich als Alkoholiker bezeichnet oder nicht, ist jedem selber überlassen. Aus Erfahrung wissen die länger Trockenen, wie schwer es ist, zur Erkenntnis zu gelangen, Alkoholiker zu sein. Wem die Gemeinschaft nicht zusagt und sie wieder verlassen will, ist völlig frei, dies zu tun.

Der zweite Teil des Gruppentreffens fügt sich nahtlos an den ersten. „Also, ich habe doch nicht getrunken, weil ich Durst hatte. Es konnte einfach nicht genug sein. Das war kein Genuß! Ich wollte, daß da oben die Lichter ausgehen. Am besten mit einem Knall. Es konnte nie, nie, nie, genug sein. Bis ich dann feststellen durfte, daß Alkohol das beste Lösungsmittel der Welt ist. Der Alkohol hat meine Beziehung aufgelöst, mein Arbeitsverhältnis, mein Bankkonto, und irgendwie war auf einmal mein Haus spurlos verschwunden, so daß ich im Park oder in Müllcontainern übernachtet habe. Nach drei Entgiftungen im Krankenhaus hatte ich es immer noch nicht geschnallt. Ich wollte nicht mehr trinken, konnte aber nicht ohne den Stoff auskommen. Obwohl ich schon alles los war, dachte ich immer noch, ich wäre der Größte! Alle anderen um mich herum hatten ja keine Ahnung, waren Idioten für mich. Erst als ich restlos kapituliert hatte, konnte ich mit dem Trinken aufhören. Heute bin ich trocken, dank AA." 

Uwe Bressem

Kontaktstelle der Anonymen Alkoholiker, Fehmarner Str. 24, 13353 Berlin, fon 453 71 33

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