Saufen bis die Lichter ausgehen
Oder zu den Anonymen Alkoholikern gehen
Wer regelmäßig über den Genuß oder
den Durst hinaus trinkt, der läuft Gefahr, in die
Abhängigkeit des Alkohols zu geraten. Ein Alkoholiker wächst
heran. Einmal in der Suchtfalle steckend, ist es für die
Betroffenen oftmals schwer, den Kreislauf von Trinken, Entzug und
erneutem Trinken zu durchbrechen. Alleine und ohne Hilfe ist dies fast
unmöglich. In Berlin gibt es diverse professionelle Angebote von
Ärzten und Kliniken und verschiedene Selbsthilfegruppen zur
Bekämpfung der Alkoholsucht. Eine bekannte Organisation zur
Linderung des Alkoholmißbrauchs sind die Anonymen Alkoholiker
(AA). Sie haben in der Stadt ein Netzwerk von Meetings, in denen sie
sich treffen, um gemeinsam nüchtern zu werden und zu bleiben.
Frauen und Männer, zumeist mittleren Alters, sitzen dort zusammen.
Gemeinsam ist ihnen eine Suchtbiographie, die manchmal Jahrzehnte
gedauert hat. Bis sie endlich in einer Klinik zur Entgiftung oder in
einer Selbsthilfegruppe aufschlugen, um sich vom Alkoholmißbrauch
zu befreien.
Der Ablauf der AA-Meetings ist überall gleich. Ein
sogenannter Chairman eröffnet das Treffen mit dem Verlesen der
Präambel der AA und betont besonders, daß jeder willkommen
ist, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören. Der Chairman
hat nur die Aufgabe, Wortmeldungen entgegenzunehmen und die jeweiligen
Sprecher in der Reihenfolge ihrer Wortmeldung vortragen zu lassen. Die
Regeln sind einfach: Geredet wird in der Ich-Form, jeder erzählt
nur von seinen Gefühlen und Erfahrungen. Es gibt keine Diskussion
und auch keine Zwischenrufe. Kritik soll nicht geübt und
Ratschläge sollen nicht erteilt werden.
Ein Mann, er könnte sechzig oder etwas jünger
sein, beginnt: „Ich bin nicht zu den Anonymen Alkoholikern
gekommen, weil ich Schweißfüße oder Mundgeruch hatte,
sondern weil ich gesoffen habe. Gesoffen bis es nicht mehr ging. Wir
haben damals an meinem Arbeitsplatz Trinkgelder bekommen, das habe ich
wörtlich so verstanden und jeden Tag die Einnahmen vertrunken.
Meine Olle meinte immer, ich wäre doch ganz in Ordnung, wenn ich
nur nicht so viel saufen würde. Hat das etwas genutzt? Gar nichts,
ich habe alles versoffen, meine Ehe und meinen Beruf. Nachdem ich dann
nüchtern war, hatte ich auch wieder Arbeit und habe zum zweiten
Mal geheiratet. Aber darauf kommt es mir nicht an. Heute bin ich
trocken und darauf kommt es mir an! Es gibt für mich keinen Grund
mehr zu saufen. Ich danke euch fürs Zuhören!"
Es folgen eine Fülle ähnlicher Aussagen.
Manche mit konkretem Alltagsbezug. Manchmal eine Säufergeschichte.
Erstaunlich ist, wie selbstironisch und ehrlich einige trockene
Alkoholiker ihr ehemaliges Elend schildern. Alle Aussagen enthalten
aber den roten Faden: Ein Leben ohne Alkoholkonsum ist möglich!
Ein Gong läutet zur Pause. Halbzeit. „Die Anonymen
Alkoholiker erhalten sich selbst", verkündet der Chairman.
„Jeder gibt so viel er möchte oder kann." Das ist, neben der
Wahrung der Anonymität ihrer Mitglieder, eines der ehernen
Prinzipien der AA. Die Gruppen sorgen für sich selbst, sie nehmen
keine Gebühren und keine Spenden von außerhalb an noch
lassen sie sich sponsern oder in irgendeiner Form von Externen
materiell unterstützen.
Wie wird man Mitglied in so einem „Club"? Indem
man sich dazu gesellt. Die AA führen keine Mitgliederlisten. Der
Wunsch, mit dem Alkoholtrinken aufzuhören, reicht. Ob jemand sich
als Alkoholiker bezeichnet oder nicht, ist jedem selber
überlassen. Aus Erfahrung wissen die länger Trockenen, wie
schwer es ist, zur Erkenntnis zu gelangen, Alkoholiker zu sein. Wem die
Gemeinschaft nicht zusagt und sie wieder verlassen will, ist
völlig frei, dies zu tun.
Der zweite Teil des Gruppentreffens fügt sich
nahtlos an den ersten. „Also, ich habe doch nicht getrunken, weil
ich Durst hatte. Es konnte einfach nicht genug sein. Das war kein
Genuß! Ich wollte, daß da oben die Lichter ausgehen. Am
besten mit einem Knall. Es konnte nie, nie, nie, genug sein. Bis ich
dann feststellen durfte, daß Alkohol das beste Lösungsmittel
der Welt ist. Der Alkohol hat meine Beziehung aufgelöst, mein
Arbeitsverhältnis, mein Bankkonto, und irgendwie war auf einmal
mein Haus spurlos verschwunden, so daß ich im Park oder in
Müllcontainern übernachtet habe. Nach drei Entgiftungen im
Krankenhaus hatte ich es immer noch nicht geschnallt. Ich wollte nicht
mehr trinken, konnte aber nicht ohne den Stoff auskommen. Obwohl ich
schon alles los war, dachte ich immer noch, ich wäre der
Größte! Alle anderen um mich herum hatten ja keine Ahnung,
waren Idioten für mich. Erst als ich restlos kapituliert hatte,
konnte ich mit dem Trinken aufhören. Heute bin ich trocken, dank
AA."
Uwe Bressem
Kontaktstelle der Anonymen Alkoholiker, Fehmarner Str. 24, 13353 Berlin, fon 453 71 33