Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Liebe als Machtverhältnis

Elfriede Jelinek über Tiere am Deutschen Theater

Kulturelle Denksysteme und sprachliche Regeln konstruieren unsere Vorstellungen und kollektiven Wissensformen von Liebe, Sexualität und Geschlecht. Aus diesem Grund beschäftigt sich Elfriede Jelinek in ihrem neuesten Theatertext Über Tiere in erster Linie mit Sprache. Es ist ein Text, der vom Schauspieler weniger verlangt zu spielen als zu sprechen, zu hauchen, vorzutragen, zu schreien, mitzuteilen: immer frei heraus, auch wenn es der Zuschauer nicht hören will.

In der Inszenierung von Nicolas Stemann am Deutschen Theater lesen vier Frauen und zwei Männer an beleuchteten Lesepulten, tragen Anzug und Hemd, Pumps und Frauenkleider, wechseln die Rollen, verschwinden in der Bühne oder erscheinen auf Video.

Narrative Rollen oder Handlungen treten hinter den Text zurück, der in einem ersten Teil von einer Frau und ihrer Sehnsucht erzählt, geliebt, gebraucht zu werden und zugleich Subjekt zu sein. Daß dies mehr Wunsch ist als erlebbare Realität, hat sie durchaus begriffen, denn sie formuliert: „Liebe ist eine bestimmte Art von Angewiesensein."

Die zweite Texthälfte basiert auf polizeilichen Abhörprotokollen eines Wiener Callgirl-Rings, der Frauen und Mädchen vorwiegend aus Osteuropa an Herren der Wiener Gesellschaft verkauft. Begehren regelt sich hier über Angebot und Nachfrage, Geld und Macht bestimmen über die Verfügbarkeit des Körpers. Dieses brutale Machtverhältnis zeigt sich in der Sprache: „5000 Euro für Jungfrauenficken" oder „Frische Ware zum Schmusen und Arschficken", für „Come in Mouth" muß der Kunde mehr zahlen als für „Come in Face". Kein Zweifel, hier wird Frau als Objekt, Ware, Tier gehandelt. Für Elfriede Jelinek sind diese Ausdrucksweisen „keine Überraschung", wie Stemann auf einer Metaebene erzählt, und immer wieder mit ihrer Stimme betont, daß es sich hier um „authentisches Material" handele. Sonst kämen die Zuschauer noch auf die Idee, „daß eine alte, ranzige Feministin mal wieder übertreibt."

Die Inszenierung ist Arbeit am Text, Stemann und seine Schauspieler probieren, loten aus und erzeugen Wirkung vor allem über die Wiederholungen von besonders prägnanten Textstellen und die Vermengung der Vorstellungen von Liebe als Natürlichkeit und Sexualität als Künstlichkeit. Am Ende fragt sich der Zuschauer, ob Liebe nicht auch Machtverhältnis ist und Romantik nur Illusion. 

Fanti Baum

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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