Liebe als Machtverhältnis
Elfriede Jelinek über Tiere am Deutschen Theater
Kulturelle Denksysteme und sprachliche Regeln
konstruieren unsere Vorstellungen und kollektiven Wissensformen von
Liebe, Sexualität und Geschlecht. Aus diesem Grund
beschäftigt sich Elfriede Jelinek in ihrem neuesten Theatertext
Über Tiere in erster Linie mit Sprache. Es ist ein Text, der vom
Schauspieler weniger verlangt zu spielen als zu sprechen, zu hauchen,
vorzutragen, zu schreien, mitzuteilen: immer frei heraus, auch wenn es
der Zuschauer nicht hören will.
In der Inszenierung von Nicolas Stemann am Deutschen
Theater lesen vier Frauen und zwei Männer an beleuchteten
Lesepulten, tragen Anzug und Hemd, Pumps und Frauenkleider, wechseln
die Rollen, verschwinden in der Bühne oder erscheinen auf Video.
Narrative Rollen oder Handlungen treten hinter den Text
zurück, der in einem ersten Teil von einer Frau und ihrer
Sehnsucht erzählt, geliebt, gebraucht zu werden und zugleich
Subjekt zu sein. Daß dies mehr Wunsch ist als erlebbare
Realität, hat sie durchaus begriffen, denn sie formuliert:
„Liebe ist eine bestimmte Art von Angewiesensein."
Die zweite Texthälfte basiert auf polizeilichen
Abhörprotokollen eines Wiener Callgirl-Rings, der Frauen und
Mädchen vorwiegend aus Osteuropa an Herren der Wiener Gesellschaft
verkauft. Begehren regelt sich hier über Angebot und Nachfrage,
Geld und Macht bestimmen über die Verfügbarkeit des
Körpers. Dieses brutale Machtverhältnis zeigt sich in der
Sprache: „5000 Euro für Jungfrauenficken" oder
„Frische Ware zum Schmusen und Arschficken", für „Come
in Mouth" muß der Kunde mehr zahlen als für „Come in
Face". Kein Zweifel, hier wird Frau als Objekt, Ware, Tier gehandelt.
Für Elfriede Jelinek sind diese Ausdrucksweisen „keine
Überraschung", wie Stemann auf einer Metaebene erzählt, und
immer wieder mit ihrer Stimme betont, daß es sich hier um
„authentisches Material" handele. Sonst kämen die Zuschauer
noch auf die Idee, „daß eine alte, ranzige Feministin mal
wieder übertreibt."
Die Inszenierung ist Arbeit am Text, Stemann und seine
Schauspieler probieren, loten aus und erzeugen Wirkung vor allem
über die Wiederholungen von besonders prägnanten Textstellen
und die Vermengung der Vorstellungen von Liebe als Natürlichkeit
und Sexualität als Künstlichkeit. Am Ende fragt sich der
Zuschauer, ob Liebe nicht auch Machtverhältnis ist und Romantik
nur Illusion.
Fanti Baum