Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

stimmenwald

Unterm Llareggubberg und an der Mündung des Flusses Dewi, zwischen Meer und Milchwald beschreibt Dylan Thomas „die Geschäftigkeit einer morgendlichen Stadt, gesehen durch eine Anzahl von Augen, wahrgenommen durch zahllose Stimmen, dann der endlos langweilige Nachmittag, dann der vielgesichtige Abend und dann wieder die schwerfällige Stille der Nacht". Dieses „Spiel für Stimmen" entstand als Auftragsarbeit der BBC und wurde 1954 mit dem Prix Italia ausgezeichnet. Die erste deutschsprachige Produktion des Hörspiels entstand im gleichen Jahr und zählt zu den großartigsten Stücken des Hörspielrepertoires. Radiotesla spielt beide Stücke gleichzeitig, wobei man über einen Schalter am Kopfhörer entscheiden kann, welcher Fassung man folgen möchte.

Radiotesla/Hörspiel. Dylan Thomas: Under Milk Wood. BBC 1954 / Unter dem Milchwald. NWDR 1954. Am 6. Juni um 20.30 Uhr im Podewil,Klosterstraße 68-70, Mitte.

rustikale ecke

Manche kennen ja nur noch Clubs und Bars und Mäcdonalds und Starbucks. Bevor die guten alten Gasthäuser mit ihrem handfesten rustikalen Charme völlig aus dem Gedächtnis verschwunden sind, hat sich das Freilichtmuseum Domäne Dahlem der Geschichte und Kultur dieser aussterbenden Geselligkeit, bei der meist üppig getrunken und gegessen wurde, angenommen. Die Ausstellung vermittelt einen bunten und spannenden Eindruck von der jahrhundertealten Tradition des Gasthauswesens.

Noch bis zum 31. Dezember, Mi bis Mo von 10 bis 18 Uhr im Freilichtmuseum Domäne Dahlem, Königin-Luise-Straße 49, Dahlem

küchentratsch

Das Schauspiel Neukölln lädt ein zu einer Revue in der Küche. Denn hier spielte schon immer der wahre Blues, wie man seit den Dienstmädchen und ihren Liedern weiß. Wenn die Köchin auf des Messers Spitze getrieben wird, ist es Zeit für die Koloratur, und wer nicht morgen schon jemandes Gestern sein möchte, sollte sich den Partner vielleicht nicht unter Kollegen suchen. Ist es übrigens erwiesen, daß jedes Töpfchen sein Deckelchen findet? Interessante Frage, zu deren Beantwortung man zusammenströmt. Es wird also angerichtet. Vom Kleinkunstkochklassiker „Stroganoff" bis zur „Extrawurst" von Knorkator wird nichts ausgelassen, was den Gourmet erfreuen könnte. Wenn dann abgerechnet wird, zahlt so mancher mit seinem Leben. Genaugenommen sogar jeder. Die Mord-Rate von „Arsen und Spitzenhäubchen" (No. 22) wird übertroffen. So einfach ist das. Nichts ist in der Küche unmöglich.

Schauspiel Neukölln „No. 24: Küchen-Revue". Regie: Dirk Rave. Premiere am 15. Juni um 20 Uhr, weitere Vorstellungen am 16. und 17. Junijeweils um 20 Uhr im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, Karten unter fon 68093779

fluchtweg

Wer noch nie das Vergnügen hatte, die ungekrönte Queen der Berliner Off-Kultur, die phänomenale Margarethe Pape, zu erleben, der sollte sich aufmachen nach Kreuzberg, wo selbige eine Live-Lesung gibt und das Hörspiel „Portale" vorstellt. Darin enthalten sind „Szenarien, in welchen das Metaphysische in den nüchternen Alltag gnadenlos einbricht, mit atmosphärisch dichter ACOUSTEC-Musik, welche auch die After-Show-Party ‚acoustecnisch' füllt." Na, das wollen wir gerne glauben, sind wir aber nichtsdestotrotz gespannt!

Margarethe Pape: „No Escape". Am 16. Juni um 20 Uhr im Archiv der Jugendkulturen, Gewerbehof, Fidicinstraße 3, Kreuzberg. Karten: 10, ermäßigt 6 Euro, ALG 2-Empfänger frei.

dorfidylle

Vor kurzem wurde der Dokumentarfilm Menschen des 21. Jahrhunderts über die Victoriastadt in Lichtenberg fertig gestellt. Geprägt durch seine Insellage, die durch den Ausbau der S-Bahn zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts entstand, entwickelte sich dort ein Berlin-untypisches, recht dörfliches Lebensgefühl, das der Film porträtiert. Er ist 45 Minuten lang und kann direkt bei dem Regisseur Johannes Kochs unter e-post: jkochs@tiscali.de bestellt werden.

russischer kessel

Eine deutsche, rockende Blaskapelle und eine Russencombo aus dem Havelland werden das Kesselhaus Mitte des Monats zum Brodeln bringen. Die Bolschewistische Kurkapelle absorbiert und verfremdet die Traditionen der Blasmusik für ihre eigenen Zwecke und spielt einen intelligenten, politischen Blascore. Dabei beschäftigt sie sich nicht nur mit Hanns Eisler als Erfinder des Rock'n'Roll sondern rundet ihr Programm mit blasgerechten Bearbeitungen von Rio Reiser, Coldplay, Kurt Cobain, Jimi Hendrix und Metallica ab. 44 Leningrad klingen, als hätte man ein Estraden-Ensemble auf Drogen gesetzt. Sie nehmen die Seele des russischen Volksliedes und meucheln diese in einem Sperrfeuer aus Gitarrensounds und Schlagzeugattacken.

Casatschok On Speed! - Die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot / Berlin & 44 Leningrad. Am 16. Juni um 21 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg.

poets' corner

Berlin ist bekanntlich eine Stadt der Dichter ­ und ganz bestimmt wohnt einer ganz in der Nähe. Das Poesiefestival Berlin bietet am 23. Juni die Möglichkeit, die Dichter in den Kiezen kennenzulernen. Berühmte Autoren und aufstrebende Talente erlesen einen lyrischen Plan der Stadt. Insgesamt werden 33 Autoren auf öffentlichen Plätzen in vier Berliner Bezirken aus ihren Werken vortragen: unter anderem von 13 bis 15 Uhr in Pankow auf der Freifläche am Wasserturm nahe der Knaackstraße mit Agnieszka Debska, Ricardo Domeneck, Ulrike Draesner, Norbert Hummelt, Hendrik Jackson, Jalal Sarfaraz, Donna Stonecipher sowie von 14 bis 16 Uhr in Neukölln am Reuterplatz vor dem schönen Brunnen mit Timo Berger, Ann Cotten, Daniel Falb, Alexander Gumz, Björn Kuhligk, Clemens Kuhnert, Brigitte Oleschinski, Florian Voß und Jan Wagner.

zwischenland

Verschiedenartige Schnittstellen, die sich zwischen Literatur und Comic ergeben, lotet das Schreibheft im Schwerpunkt seiner aktuellen Ausgabe Geteilte Beute aus. So stellt Oliver Grajewskis graphische Bearbeitung eines Textes von Kathrin Röggla weit mehr dar als eine Illustration der Vorlage; er steigert durch geschicktes Arrangement gestalterischer Mittel die ohnehin beklemmende Wirkung des Textes ins nahezu Unermeßliche. Marcel Beyer dagegen überträgt das für Comics typische Nebeneinander von Bild- und Textebene ins Literarische, wobei er den Comichelden seiner Kindheit auf der Spur ist. Natürlich gibt es auch „normale" Comic-Umsetzungen literarischer Arbeiten, wie z.B. Mawils Interpretation einer Geschichte von Jochen Schmidt, die durch aufmerksam-unprätentiöse und zum Schmunzeln anregende Beschreibungen alltäglicher Jugenderfahrungen glänzt. Alles in Allem ist es dem Schreibheft gelungen, die sich bei der Kollaboration zweier Kunstformen ergebenden Synergieeffekte herauszukitzeln und zugängig zu machen.

Schreibheft ­ Zeitschrift für Literatur Nr. 68: Geteilte Beute ­ Comics & Literatur. Korrespondenz, Überzeichnung, Verwandlung. 10,50 Euro.

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