Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Beine in den Bauch stehen

Nur phasenweise Grün für Berlins Fußgänger

Über die zu kurzen Ampelschaltungen für Fußgänger an der Invalidenstraße gegenüber dem neuen Hauptbahnhof hat sich sogar schon der Berliner Tagesspiegel aufgeregt. Daß die Berichterstattung nur anläßlich der Eröffnung des Mehdornschen Prachtbaus erfolgte ­ geschenkt! Genau genommen könnte nämlich jeden Tag ein Artikel darüber erscheinen, wo Fußgänger an Ampeln das Nachsehen haben. Jeder, der auch nur ein bißchen auf zwei Beinen in Berlin unterwegs ist, kennt nämlich diese Ampeln, an denen er entweder rennen muß, um noch bei Grün das rettende andere Ufer zu erreichen, oder aber, ganz im Gegenteil, ausgebremst und auf einer verkehrsumtosten Mittelinsel zum Zwischenstop gezwungen wird, denn schon heißt es wieder Halt. Zweimal warten, um vielleicht 40 Meter zu überqueren ­ da entwickelt mancher sich zum wahren Geschwindigkeitsexperten: An dieser einen Ampel muß er losstürmen, sobald sich die Rotphase ihrem „gefühlten Ende" zuneigt und die Autos anfangen abzubremsen, an der anderen Ampel aber ist es ratsam, sich auf der Park- und Abbiegespur in den Straßenraum vorzutasten, um zwei Meter Vorsprung und damit Zeit zu gewinnen. Und ganz verwegen reagiert er an der nächsten Kreuzung, nimmt auf der Mittelinsel den startbereiten Verkehr fest ins Auge und sprintet trotz Rot doch noch rüber. Geschafft!

Daß Fußgänger-Grün meist nur der Abfall ist, der nach dem Programmieren von „grünen Wellen" übrig bleibt ­ wer könnte sich dieses Eindrucks erwehren, angesichts der vielen ganz banalen, alltäglichen Erfahrungen. Der reibungslose Ablauf des schnellfahrenden Autoverkehrs hat eindeutig Vorrang. Ganz aktuell läßt sich diese Vorgabe der Berliner Verkehrspolitik an der verbreiterten und neugestalteten Bernauer Straße mit den neuinstallierten Ampelanlagen ablesen. Selbst an den Einmündungen der kleinen Nebenstraßen ist das Fußgänger-Rot extrem lang, weil für den abbiegenden Verkehr von der Bernauer Straße eine eigene Grünphase eingerichtet wurde, damit der Verkehrsfluß nicht ins Stocken gerät. Auch die Ampel, die nur auf Anforderung der Fußgänger reagiert, läßt mit ihrem Grün sehr lange auf sich warten.

Doch auch an schon länger existierenden Ampelanlagen beschleicht einen mitunter das Gefühl, daß sich die Schaltung im Laufe der Zeit zu Ungunsten der Fußgänger entwickelt hat. Kam man nicht früher ganz gelassen bei Grün hinüber, während man jetzt auf den letzten Metern schon Rot signalisiert bekommt? Oder ist man nur lahmer geworden? Oder erinnert man sich doch nicht richtig? Bernd Herzog-Schlagk vom Fuss e.V. kann diese Veränderung nicht bestätigen, da er keine Meldungen dazu von der Berliner Verwaltung bekommt. „Im Grunde müßte man das selbst mit der Stoppuhr überprüfen", sagt er. Doch wer geht schon mit der Stoppuhr los, um seinen Verdacht vielleicht zwei Jahre später bestätigt zu sehen? Herzog-Schlagk sieht vor allem eine zunehmende Gefährdung der Fußgänger durch das Verhalten der Autofahrer, die mit dem Handy telefonieren und beim Abbiegen dann nicht auf die kreuzenden Passanten reagieren können. „Die Frauen haben in diesem Punkt mittlerweile mit den Männern gleichgezogen", so Herzog-Schlagk.

Zu fast allen Bereichen, die den Fußgängerverkehr betreffen, wird der Fuss e.V. von der Berliner Verwaltung als Ratgeber und Experte hinzugezogen ­ nur an Fragen der Ampelschaltung wird er nicht beteiligt. Die Abteilung „Ampelschaltung" scheint in Berlin sowieso ein abgeschottetes, hochgeheimes Dasein zu führen. So berichtet Herzog-Schlagk, daß der Fuss e.V. zu einer Veranstaltung geladen hatte, auf der Klaus Schlabbach aus Hamburg, ein ausgewiesener Experte für Ampelschaltungen, referieren sollte. Schlabbachs Spezialgebiet ist eine dem Verkehrsaufkommen angepaßte Schaltung, die abhängig vom unterschiedlichen Verkehrsaufkommen zu den verschiedenen Tageszeiten die Grünphasen für Autos zugunsten der Fußgänger minimiert. Nach Schlabbachs Theorie können so auch die Fußgänger zu bestimmten Zeiten Dauergrün erhalten. 50 Interessierte aus den Berliner Amtsstuben fanden den Weg zu dieser Inforunde, einzig aus der Abteilung „Ampelschaltung" traute sich niemand.

Sabine Schuster

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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