Beine in den Bauch stehen
Nur phasenweise Grün für Berlins Fußgänger
Über die zu kurzen Ampelschaltungen für
Fußgänger an der Invalidenstraße gegenüber dem
neuen Hauptbahnhof hat sich sogar schon der Berliner Tagesspiegel
aufgeregt. Daß die Berichterstattung nur anläßlich der
Eröffnung des Mehdornschen Prachtbaus erfolgte geschenkt!
Genau genommen könnte nämlich jeden Tag ein Artikel
darüber erscheinen, wo Fußgänger an Ampeln das
Nachsehen haben. Jeder, der auch nur ein bißchen auf zwei Beinen
in Berlin unterwegs ist, kennt nämlich diese Ampeln, an denen er
entweder rennen muß, um noch bei Grün das rettende andere
Ufer zu erreichen, oder aber, ganz im Gegenteil, ausgebremst und auf
einer verkehrsumtosten Mittelinsel zum Zwischenstop gezwungen wird,
denn schon heißt es wieder Halt. Zweimal warten, um vielleicht 40
Meter zu überqueren da entwickelt mancher sich zum wahren
Geschwindigkeitsexperten: An dieser einen Ampel muß er
losstürmen, sobald sich die Rotphase ihrem „gefühlten
Ende" zuneigt und die Autos anfangen abzubremsen, an der anderen Ampel
aber ist es ratsam, sich auf der Park- und Abbiegespur in den
Straßenraum vorzutasten, um zwei Meter Vorsprung und damit Zeit
zu gewinnen. Und ganz verwegen reagiert er an der nächsten
Kreuzung, nimmt auf der Mittelinsel den startbereiten Verkehr fest ins
Auge und sprintet trotz Rot doch noch rüber. Geschafft!
Daß Fußgänger-Grün meist nur der
Abfall ist, der nach dem Programmieren von „grünen Wellen"
übrig bleibt wer könnte sich dieses Eindrucks erwehren,
angesichts der vielen ganz banalen, alltäglichen Erfahrungen. Der
reibungslose Ablauf des schnellfahrenden Autoverkehrs hat eindeutig
Vorrang. Ganz aktuell läßt sich diese Vorgabe der Berliner
Verkehrspolitik an der verbreiterten und neugestalteten Bernauer
Straße mit den neuinstallierten Ampelanlagen ablesen. Selbst an
den Einmündungen der kleinen Nebenstraßen ist das
Fußgänger-Rot extrem lang, weil für den abbiegenden
Verkehr von der Bernauer Straße eine eigene Grünphase
eingerichtet wurde, damit der Verkehrsfluß nicht ins Stocken
gerät. Auch die Ampel, die nur auf Anforderung der
Fußgänger reagiert, läßt mit ihrem Grün sehr
lange auf sich warten.
Doch auch an schon länger existierenden
Ampelanlagen beschleicht einen mitunter das Gefühl, daß sich
die Schaltung im Laufe der Zeit zu Ungunsten der Fußgänger
entwickelt hat. Kam man nicht früher ganz gelassen bei Grün
hinüber, während man jetzt auf den letzten Metern schon Rot
signalisiert bekommt? Oder ist man nur lahmer geworden? Oder erinnert
man sich doch nicht richtig? Bernd Herzog-Schlagk vom Fuss e.V. kann
diese Veränderung nicht bestätigen, da er keine Meldungen
dazu von der Berliner Verwaltung bekommt. „Im Grunde
müßte man das selbst mit der Stoppuhr überprüfen",
sagt er. Doch wer geht schon mit der Stoppuhr los, um seinen Verdacht
vielleicht zwei Jahre später bestätigt zu sehen?
Herzog-Schlagk sieht vor allem eine zunehmende Gefährdung der
Fußgänger durch das Verhalten der Autofahrer, die mit dem
Handy telefonieren und beim Abbiegen dann nicht auf die kreuzenden
Passanten reagieren können. „Die Frauen haben in diesem
Punkt mittlerweile mit den Männern gleichgezogen", so
Herzog-Schlagk.
Zu fast allen Bereichen, die den
Fußgängerverkehr betreffen, wird der Fuss e.V. von der
Berliner Verwaltung als Ratgeber und Experte hinzugezogen nur an
Fragen der Ampelschaltung wird er nicht beteiligt. Die Abteilung
„Ampelschaltung" scheint in Berlin sowieso ein abgeschottetes,
hochgeheimes Dasein zu führen. So berichtet Herzog-Schlagk,
daß der Fuss e.V. zu einer Veranstaltung geladen hatte, auf der
Klaus Schlabbach aus Hamburg, ein ausgewiesener Experte für
Ampelschaltungen, referieren sollte. Schlabbachs Spezialgebiet ist eine
dem Verkehrsaufkommen angepaßte Schaltung, die abhängig vom
unterschiedlichen Verkehrsaufkommen zu den verschiedenen Tageszeiten
die Grünphasen für Autos zugunsten der Fußgänger
minimiert. Nach Schlabbachs Theorie können so auch die
Fußgänger zu bestimmten Zeiten Dauergrün erhalten. 50
Interessierte aus den Berliner Amtsstuben fanden den Weg zu dieser
Inforunde, einzig aus der Abteilung „Ampelschaltung" traute sich
niemand.
Sabine Schuster