Klappis und Fixies
Berliner steigen wieder aufs Klapprad oder aufs Profi-Bahnrad
Ein neuer Trend scheppert über die Straßen
der Berliner Innenstadt. Besonders in den sogenannten Szene-Bezirken
Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg steigen immer mehr
Mittzwanziger auf jene alten Klappräder, die vor zwei Jahrzehnten
einmal modern waren. Besonders hipp ist, wer auf alten, in der DDR
produzierten Mifa-Klapprädern gemächlich durch die Gegend
gurkt. Das teure Mountainbike ist dagegen out und verstaubt im Keller.
Fuhren in den Achtzigern nur Anfänger mit
Klapprädern, so sind es heute eher modebewußte Studierende.
Sie tragen ausgefallene Markenklamotten, amerikanische Truckerbasecaps
und weiße MP3-Player im Ohr. „Das Klappi paßt zu
mir", meint eine leidenschaftliche Klappradfahrerin. „Ich sehe
darauf einfach cool aus." Diese Art von Rädern sei zur Zeit so
beliebt, daß ihr kürzlich sogar eins gestohlen wurde, obwohl
es nicht besonders wertvoll gewesen sei.
Die Welt scheint Kopf zu stehen. Der Lichtenberger
Sebastian Krekow betrachtet diese Entwicklung mit Argwohn. Als Kind
sträubte sich der heute 33-Jährige gegen die klapprigen
Mifa-Räder. „Zu DDR-Zeiten fand man diese Räder
scheiße, weil sie einfach schlecht verarbeitet waren." Wer genug
Geld gehabt hätte, hätte sich ein vernünftiges Rad
gekauft.
Heute scheint oberflächliche Individualität
wichtiger als Funktionalität. Hersteller von modernen
Falträdern setzen eher auf Packmaß, Faltkonzept und
Wetterfestigkeit. Am Bedürfnis des Konsumenten nach Ausdruck
seiner Individualität produzieren sie vorbei. „Die hippen
Klappradfahrer haben nur Klischeebilder von Subkulturen, die sie
‚Szene' nennen, im Kopf", meint Krekow. Für die
trendbewußten Klappifahrer hat er nichts übrig. Deren
Kopieren der Mode und der Fortbewegungsmittel aus den Achtzigern
vergleicht er mit Esoterikern, die „nach ihrem ersten
Indien-Urlaub barfuß mit Bindis auf der Stirn durch die Stadt
laufen und nur noch Curry-Gerichte essen."
Lebensgefühl geht über Qualität. Das
weiß der Geschäftsführer eines etablierten
Darmstädter Faltradunternehmens, Heiko Müller. „Der
Reiz liegt ja gerade in dem Originalprodukt", meint Müller. Den
gleichen Hype hätten vor einigen Jahren die alten
Bonanzaräder ausgelöst. Auch da, so Müller, sei nur das
Original erfolgreich gewesen. „Es geht den Leuten auch
überhaupt nicht um Qualität, sondern um Lebensgefühl und
den Coolnessfaktor", ist der Faltradhersteller überzeugt.
Um den Coolnessfaktor geht es definitiv auch jenen
Radlern, die sich auf professionellen Bahnrädern durch die Stadt
bewegen. Der Begriff Bahn impliziert es schon: Sie sind eher fürs
Velodrom konstruiert, denn dort braucht man nur einen festen
Gang, somit auch keine Schaltung, keine Bremsen. Gebremst wird
per Gegendruck, den der Fahrer über die Pedale aufbaut. Tom Schulz
ist völlig begeistert. „Zuerst habe ich diese Fixie-Fahrer
mit ihren fixed gears in New York gesehen und dachte ‚Kraß!
Wie machen die das?'" Aber das Bremsen sei kein Problem. Denn
sonderlich schnell kann man mit den Rädern eh nicht fahren.
„Besonders hinterm Bus reicht irgendwann der eine Gang nicht
aus." Der Minimalismus bringt einen materiellen Vorteil: wenig
Verschleiß. Die Felgen können ohne Bremse selbst
von Vielfahrern nicht durchgebremst werden, auch die Kette und der eine
Gang halten ewig. Und besonders cool: Tom wird von jedem anderen
Fixie-Fahrer gegrüßt. Und von den Klappifahrern
verständnislos ignoriert.
Jens Steiner/Sonja John