Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
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Klappis und Fixies

Berliner steigen wieder aufs Klapprad ­ oder aufs Profi-Bahnrad

Ein neuer Trend scheppert über die Straßen der Berliner Innenstadt. Besonders in den sogenannten Szene-Bezirken Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg steigen immer mehr Mittzwanziger auf jene alten Klappräder, die vor zwei Jahrzehnten einmal modern waren. Besonders hipp ist, wer auf alten, in der DDR produzierten Mifa-Klapprädern gemächlich durch die Gegend gurkt. Das teure Mountainbike ist dagegen out und verstaubt im Keller.

Fuhren in den Achtzigern nur Anfänger mit Klapprädern, so sind es heute eher modebewußte Studierende. Sie tragen ausgefallene Markenklamotten, amerikanische Truckerbasecaps und weiße MP3-Player im Ohr. „Das Klappi paßt zu mir", meint eine leidenschaftliche Klappradfahrerin. „Ich sehe darauf einfach cool aus." Diese Art von Rädern sei zur Zeit so beliebt, daß ihr kürzlich sogar eins gestohlen wurde, obwohl es nicht besonders wertvoll gewesen sei.

Die Welt scheint Kopf zu stehen. Der Lichtenberger Sebastian Krekow betrachtet diese Entwicklung mit Argwohn. Als Kind sträubte sich der heute 33-Jährige gegen die klapprigen Mifa-Räder. „Zu DDR-Zeiten fand man diese Räder scheiße, weil sie einfach schlecht verarbeitet waren." Wer genug Geld gehabt hätte, hätte sich ein vernünftiges Rad gekauft.

Heute scheint oberflächliche Individualität wichtiger als Funktionalität. Hersteller von modernen Falträdern setzen eher auf Packmaß, Faltkonzept und Wetterfestigkeit. Am Bedürfnis des Konsumenten nach Ausdruck seiner Individualität produzieren sie vorbei. „Die hippen Klappradfahrer haben nur Klischeebilder von Subkulturen, die sie ‚Szene' nennen, im Kopf", meint Krekow. Für die trendbewußten Klappifahrer hat er nichts übrig. Deren Kopieren der Mode und der Fortbewegungsmittel aus den Achtzigern vergleicht er mit Esoterikern, die „nach ihrem ersten Indien-Urlaub barfuß mit Bindis auf der Stirn durch die Stadt laufen und nur noch Curry-Gerichte essen."

Lebensgefühl geht über Qualität. Das weiß der Geschäftsführer eines etablierten Darmstädter Faltradunternehmens, Heiko Müller. „Der Reiz liegt ja gerade in dem Originalprodukt", meint Müller. Den gleichen Hype hätten vor einigen Jahren die alten Bonanzaräder ausgelöst. Auch da, so Müller, sei nur das Original erfolgreich gewesen. „Es geht den Leuten auch überhaupt nicht um Qualität, sondern um Lebensgefühl und den Coolnessfaktor", ist der Faltradhersteller überzeugt.

Um den Coolnessfaktor geht es definitiv auch jenen Radlern, die sich auf professionellen Bahnrädern durch die Stadt bewegen. Der Begriff Bahn impliziert es schon: Sie sind eher fürs Velodrom konstruiert, denn dort braucht man nur einen ­ festen ­ Gang, somit auch keine Schaltung, keine Bremsen. Gebremst wird per Gegendruck, den der Fahrer über die Pedale aufbaut. Tom Schulz ist völlig begeistert. „Zuerst habe ich diese Fixie-Fahrer mit ihren fixed gears in New York gesehen und dachte ‚Kraß! Wie machen die das?'" Aber das Bremsen sei kein Problem. Denn sonderlich schnell kann man mit den Rädern eh nicht fahren. „Besonders hinterm Bus reicht irgendwann der eine Gang nicht aus." Der Minimalismus bringt einen materiellen Vorteil: wenig Verschleiß. Die Felgen können ­ ohne Bremse ­ selbst von Vielfahrern nicht durchgebremst werden, auch die Kette und der eine Gang halten ewig. Und besonders cool: Tom wird von jedem anderen Fixie-Fahrer gegrüßt. Und von den Klappifahrern verständnislos ignoriert.

Jens Steiner/Sonja John

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