
Foto: Knut Hildebrandt
Längst nicht nur aus den angrenzenden
Kiezen strömt man an einem alltäglichen Sommerabend in den
Mauerpark mit oder ohne Picknickdecke, bis es
manchmal selbst zum Frisbeespielen zu eng wird. Tagtäglich wird
der Park von allem gereinigt, was zum Grillanzünden taugt.
Anschließend versinkt er in ei-
ner Dunstglocke archaisch anmutender Fleischlappenzubereitung, bevor die Dunkelheit über das Geschehen hereinbricht.
Andreas Jarfe, Landesgeschäftsführer des Bunds
für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), steht ohne Zweifel
nicht alleine damit, eine „Übernutzung" des Mauerparks
festzustellen. Was vorgibt Rasenfläche zu sein, rangiert in
trockenen Sommerzeiten zwischen Ackerboden und Steppe. Mittels
regelmäßiger Bewässerung ließe es sich
wahrscheinlich in Schuß halten, doch während eine solche
Behandlung für den Tiergarten selbstverständlich scheint,
gilt sie im Falle des Mauerparks als nicht leistbar. Heiner Funke vom
Bürgerverein Gleimviertel fordert um so vehementer ein, daß
der Park, um dem Besucheransturm gerecht zu werden, endlich in seiner
ursprünglich geplanten Größe fertiggestellt werden
müsse.
Bürgerinitiativen und Senatsverwaltung hatten sich
Anfang der neunziger Jahre darauf geeinigt, daß der Mauerpark
auch die Weddinger Flächen (dort wo heute u.a. der Flohmarkt ist),
also insgesamt 14 Hektar umfassen sollte. Als dann das Geld zur
Umsetzung des ersten Bauabschnitts auf seiten Prenzlauer Bergs knapp
wurde, war die Allianz Umweltstiftung unter der Bedingung
eingesprungen, daß der Park bis zum Jahr 2010 auf mindestens zehn
Hektar erweitert werden müsse. Ansonsten droht die
Rückzahlung der Fördergelder.
Die für die Fertigstellung des Mauerparks
zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steckt heute
allerdings in einer Zwickmühle: Die immerhin sechs Hektar
große Fläche, die noch für den Mauerpark vorgesehen
war, gehört nämlich der Vivico, die bundesweit alle
veräußerbaren Immobilien der Deutschen Bahn möglichst
gewinnbringend an den Markt bringen soll. Und so fordert die Vivico vom
Land Berlin für den Verkauf des als Grünfläche
ausgewiesenen Brachlandes Preise in der Höhe innerstädtischen
Baulands. Oder schlägt alternativ einen Deal vor: Zwei Hektar, die
noch fehlen, um die von der Umweltstiftung festgeschriebene
Mindestgröße zu erreichen, würde die Vivico gegen ein
Baurecht auf den übrigen zwei Dritteln ihrer Fläche
eintauschen. Sie möchte an der Bernauer Straße ein
Einkaufszentrum und am Gleimtunnel noble Stadtvillen errichten
dürfen.
Diese Pläne sehen nicht nur die Mauerparkfreunde
als eine Verstümmelung des Parks an. Der Eingangsbereich an der
Bernauer Straße würde vom Einkaufszentrum dominiert, die
geplante Wohnbebauung degradiere den Park zum erweiterten Vorgarten der
feinen Stadtvillen. Konflikte mit der derzeit üblichen
nächtlichen Parknutzung dürften sich dann ohnehin
verschärfen. Im übrigen fordert der Bürgerverein schon
allein deswegen die Zurückweisung des angedachten Deals zwischen
Senat und Vivico, um den chronischen Grünflächenmangel der
anliegenden Ortsteile zu mildern und aus zeitweiligen Finanzproblemen
nicht eine dauerhafte Preisgabe des ursprünglichen Parkkonzepts
resultieren zu lassen. Denn wenn er jetzt nicht erweitert wird, ist die
Chance ein für alle Mal vertan.
Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, verfolgt
der Verein zweierlei Strategien: Einerseits setzt er wie im Vorfeld der
letzten Abgeordnetenhauswahlen darauf, daß Lokalpolitiker sich
öffentlich zum „ganzen" Mauerpark bekennen. Ein
späteres Abrücken soll politisch so schmerzhaft wie
möglich werden. Andererseits wird zur Selbsthilfe gegriffen: Wie
bereits Anfang der neunziger Jahre pflanzten Anwohner, nun allerdings
entsprechend des landschaftsarchitektonischen Gesamtkonzepts, auf
eigene Faust Bäume auf den umstrittenen Flächen jenen
Flächen, für die die Vivico auf jeden Fall Baurecht erhalten
will. „Wir sind wild entschlossen, den Park fertigzustellen, ob
mit oder ohne Genehmigung", unterstreicht Heiner Funke die Haltung des
Bürgervereins. Im Gegenzug bieten die Parkaktivisten an,
Verantwortung für den Park, seine Fertigstellung und Pflege zu
übernehmen. Eine Bürgerstiftung soll helfen, die nötigen
finanziellen Mittel bereitzustellen, das Pflegekonzept soll auch auf
bürgerlich getragenen Strukturen beruhen.
Dabei zeigen aktuell aufwendige Umgestaltungen
öffentlicher Grünflächen, wie die Implantierung eines
barocken Wegekonzepts im Tiergarten oder die Lichtung des
Weinbergsparks, daß durchaus Gelder zur Verfügung stehen,
selbst wenn sich daraus kein Zuwachs städtischer Parks ergibt.
Zuweilen werden hierfür sogar die Ausgleichsgelder, die privaten
Bauträgern für die Versiegelung von Freiflächen
auferlegten wurden, verwendet, ohne daß dadurch auch nur ein
zusätzlicher Quadratmeter Grünfläche herauskommt. Warum
werden diese Mittel nicht in den Mauerpark geleitet, wo der dringende
Bedarf unübersehbar ist?
Die Vivico nutzt derweil den Zeitdruck aus, unter dem
der Senat steht, um möglichst hoch zu pokern. Das lokale
Allgemeinwohl, die Versorgung der Stadtbevölkerung mit einem
Mindestmaß an Grünflächen, droht hinter dem Interesse
des Bundes, möglichst viel Gewinn aus den ehemaligen
Bahnflächen zu schöpfen, zu verschwinden.
Angesichts dessen lohnt ein Griff zum Baugesetzbuch:
Knapp 40 Paragraphen regeln darin allein die Möglichkeit der
Enteignung von Grundstücken zur Umsetzung eines Planungsziels
freilich gegen Entschädigung. Voraussetzung hierfür
ist, daß ein Erwerb der Flächen zu „angemessenen
Bedingungen" zuvor ernsthaft versucht wurde. Ein Verfahren dieser Art
vonseiten des Senats anzustrengen, wäre ein deutliches politisches
Si-gnal an den Bund, die Vivico zurückzu-pfeifen.
Tobias
Höpner