Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

 

Bäume in vorderster Front

Mit allen Mitteln für die Fertigstellung des Mauerparks

Foto: Knut Hildebrandt

Längst nicht nur aus den angrenzenden Kiezen strömt man an einem alltäglichen Sommerabend in den Mauerpark ­ mit oder ohne Picknickdecke, bis es
manchmal selbst zum Frisbeespielen zu eng wird. Tagtäglich wird der Park von allem gereinigt, was zum Grillanzünden taugt. Anschließend versinkt er in ei-
ner Dunstglocke archaisch anmutender Fleischlappenzubereitung, bevor die Dunkelheit über das Geschehen hereinbricht.

Andreas Jarfe, Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), steht ohne Zweifel nicht alleine damit, eine „Übernutzung" des Mauerparks festzustellen. Was vorgibt Rasenfläche zu sein, rangiert in trockenen Sommerzeiten zwischen Ackerboden und Steppe. Mittels regelmäßiger Bewässerung ließe es sich wahrscheinlich in Schuß halten, doch während eine solche Behandlung für den Tiergarten selbstverständlich scheint, gilt sie im Falle des Mauerparks als nicht leistbar. Heiner Funke vom Bürgerverein Gleimviertel fordert um so vehementer ein, daß der Park, um dem Besucheransturm gerecht zu werden, endlich in seiner ursprünglich geplanten Größe fertiggestellt werden müsse.

Bürgerinitiativen und Senatsverwaltung hatten sich Anfang der neunziger Jahre darauf geeinigt, daß der Mauerpark auch die Weddinger Flächen (dort wo heute u.a. der Flohmarkt ist), also insgesamt 14 Hektar umfassen sollte. Als dann das Geld zur Umsetzung des ersten Bauabschnitts auf seiten Prenzlauer Bergs knapp wurde, war die Allianz Umweltstiftung unter der Bedingung eingesprungen, daß der Park bis zum Jahr 2010 auf mindestens zehn Hektar erweitert werden müsse. Ansonsten droht die Rückzahlung der Fördergelder.

Die für die Fertigstellung des Mauerparks zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steckt heute allerdings in einer Zwickmühle: Die immerhin sechs Hektar große Fläche, die noch für den Mauerpark vorgesehen war, gehört nämlich der Vivico, die bundesweit alle veräußerbaren Immobilien der Deutschen Bahn möglichst gewinnbringend an den Markt bringen soll. Und so fordert die Vivico vom Land Berlin für den Verkauf des als Grünfläche ausgewiesenen Brachlandes Preise in der Höhe innerstädtischen Baulands. Oder schlägt alternativ einen Deal vor: Zwei Hektar, die noch fehlen, um die von der Umweltstiftung festgeschriebene Mindestgröße zu erreichen, würde die Vivico gegen ein Baurecht auf den übrigen zwei Dritteln ihrer Fläche eintauschen. Sie möchte an der Bernauer Straße ein Einkaufszentrum und am Gleimtunnel noble Stadtvillen errichten dürfen.

Diese Pläne sehen nicht nur die Mauerparkfreunde als eine Verstümmelung des Parks an. Der Eingangsbereich an der Bernauer Straße würde vom Einkaufszentrum dominiert, die geplante Wohnbebauung degradiere den Park zum erweiterten Vorgarten der feinen Stadtvillen. Konflikte mit der derzeit üblichen nächtlichen Parknutzung dürften sich dann ohnehin verschärfen. Im übrigen fordert der Bürgerverein schon allein deswegen die Zurückweisung des angedachten Deals zwischen Senat und Vivico, um den chronischen Grünflächenmangel der anliegenden Ortsteile zu mildern und aus zeitweiligen Finanzproblemen nicht eine dauerhafte Preisgabe des ursprünglichen Parkkonzepts resultieren zu lassen. Denn wenn er jetzt nicht erweitert wird, ist die Chance ein für alle Mal vertan.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, verfolgt der Verein zweierlei Strategien: Einerseits setzt er wie im Vorfeld der letzten Abgeordnetenhauswahlen darauf, daß Lokalpolitiker sich öffentlich zum „ganzen" Mauerpark bekennen. Ein späteres Abrücken soll politisch so schmerzhaft wie möglich werden. Andererseits wird zur Selbsthilfe gegriffen: Wie bereits Anfang der neunziger Jahre pflanzten Anwohner, nun allerdings entsprechend des landschaftsarchitektonischen Gesamtkonzepts, auf eigene Faust Bäume auf den umstrittenen Flächen ­ jenen Flächen, für die die Vivico auf jeden Fall Baurecht erhalten will. „Wir sind wild entschlossen, den Park fertigzustellen, ob mit oder ohne Genehmigung", unterstreicht Heiner Funke die Haltung des Bürgervereins. Im Gegenzug bieten die Parkaktivisten an, Verantwortung für den Park, seine Fertigstellung und Pflege zu übernehmen. Eine Bürgerstiftung soll helfen, die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen, das Pflegekonzept soll auch auf bürgerlich getragenen Strukturen beruhen.

Dabei zeigen aktuell aufwendige Umgestaltungen öffentlicher Grünflächen, wie die Implantierung eines barocken Wegekonzepts im Tiergarten oder die Lichtung des Weinbergsparks, daß durchaus Gelder zur Verfügung stehen, selbst wenn sich daraus kein Zuwachs städtischer Parks ergibt. Zuweilen werden hierfür sogar die Ausgleichsgelder, die privaten Bauträgern für die Versiegelung von Freiflächen auferlegten wurden, verwendet, ohne daß dadurch auch nur ein zusätzlicher Quadratmeter Grünfläche herauskommt. Warum werden diese Mittel nicht in den Mauerpark geleitet, wo der dringende Bedarf unübersehbar ist?

Die Vivico nutzt derweil den Zeitdruck aus, unter dem der Senat steht, um möglichst hoch zu pokern. Das lokale Allgemeinwohl, die Versorgung der Stadtbevölkerung mit einem Mindestmaß an Grünflächen, droht hinter dem Interesse des Bundes, möglichst viel Gewinn aus den ehemaligen Bahnflächen zu schöpfen, zu verschwinden.

Angesichts dessen lohnt ein Griff zum Baugesetzbuch: Knapp 40 Paragraphen regeln darin allein die Möglichkeit der Enteignung von Grundstücken zur Umsetzung eines Planungsziels ­ freilich gegen Entschädigung. Voraussetzung hierfür ist, daß ein Erwerb der Flächen zu „angemessenen Bedingungen" zuvor ernsthaft versucht wurde. Ein Verfahren dieser Art vonseiten des Senats anzustrengen, wäre ein deutliches politisches Si-gnal an den Bund, die Vivico zurückzu-pfeifen. 

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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