Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nimm mich mit

Wie man Bücher in die Freiheit entlassen kann

Auch wenn sich die Bretter in den Bücherregalen biegen, sich die Bücher schon auf den Schränken stapeln: Bücher in den Müll zu schmeißen, bringen die meisten nicht übers Herz. Wohin nur damit? So schleppt man die Kiste mit dem ausrangierten Lesestoff erst einmal zum Antiquariat ­ und kehrt, belehrt über deren Unverkäuflichkeit, meist mit drei Vierteln frustiert wieder nach Hause, packt sie auf den Speicher oder in den Keller, wo sie vor sich hinmodern. Sich auf dem Flohmarkt für Botho-Strauß-Bücher scheele Blicke einzufangen und selbst für einen Euro trotzdem auf den meisten Büchern sitzen zu bleiben, ist auch keine würdige Alternative für einstige Lieblingsbücher. Ein Grund also, warum man jetzt wieder im Frühling auf Berlins Fensterbänken diese anonymen Kisten findet, von denen man zunächst denkt, daß hier irgendwer seinen Umzugskarton mit Literatur vergessen hat. Doch die Pappkartons sind mit Absicht so ungewöhnlich hoch gestellt, damit kein ignorant erhobenes Hundebein heranreicht. In ihnen warten aussortierte Bücher auf den lesefreudigen Flaneur. Quasi im Vorbeigehen signalisieren sie ihm: „Lust auf Lesen? Nimm mich mit. Vielleicht bin ich deine heutige Entdeckung." So stöbert man mitunter zwischen einigen vegetarischen Kochbüchern, ein paar Fontanes und Strittmatters ­ und entdeckt Paul Gauguins Briefe. Oder was auch immer. Ein spontaner, kostenloser Fund, nur geleitet von neugierigem Interesse ­ der intimsten Zwiesprache zwischen Buch und Leser.

In Bonn gibt es an der stark frequentierten Poppelsdorfer Allee dafür schon einen institutionalisierten öffentlichen Bücherschrank. Gunther Krauss beschreibt in seinem Blog das Procedere: „Hier kann jeder Bücher reinstellen oder kostenlos entnehmen. Dank großzügiger Bürger finden sich gelegentlich auch wirklich gute Bücher darin, die die übliche Kost aus Trivialliteratur und Broschüren aufwerten. Außerdem kann man am Schrankinhalt immer gut erkennen, wenn umfangreichere Gesetzesänderungen in Kraft getreten sind oder ein Soziologiestudent mit seinem Studium fertig geworden ist." Aber natürlich gibt es auch im beschaulichen Bonn die Zerstörer, die selbst noch die Regalbretter klauen.

Etwas sicherer in dieser Hinsicht ist das sogenannte „bookcrossing", bei dem das gezielte „Auswildern" der Bücher über das Internet gesteuert wird. Wer sein Buch an Unbekannte weitergeben will, kennzeichnet es mit einer Nummer und veröffentlicht auf einer speziellen Internetseite Ort und Datum der Aussetzung. Der Finder wiederum gibt später im Netz bekannt, daß es jetzt in dessen Besitz ist. So kann zum einen der Verbreitungsweg des Buches verfolgt werden, zum anderen sind die Kommentare sämtlicher „Vorbesitzer" über die Reise des Buchs und dessen Lektüre aufschlußreich. Allerdings mutet bookcrossing ziemlich bürokratisch an, die Fensterbrettvariante ist da eindeutig sympathischer. 

Sabine Schuster

www.bookcrossing.de

www.meinbuch-deinbuch.com

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