Nimm mich mit
Wie man Bücher in die Freiheit entlassen kann
Auch wenn sich die Bretter in den Bücherregalen
biegen, sich die Bücher schon auf den Schränken stapeln:
Bücher in den Müll zu schmeißen, bringen die meisten
nicht übers Herz. Wohin nur damit? So schleppt man die Kiste mit
dem ausrangierten Lesestoff erst einmal zum Antiquariat und
kehrt, belehrt über deren Unverkäuflichkeit, meist mit drei
Vierteln frustiert wieder nach Hause, packt sie auf den Speicher oder
in den Keller, wo sie vor sich hinmodern. Sich auf dem Flohmarkt
für Botho-Strauß-Bücher scheele Blicke einzufangen und
selbst für einen Euro trotzdem auf den meisten Büchern sitzen
zu bleiben, ist auch keine würdige Alternative für einstige
Lieblingsbücher. Ein Grund also, warum man jetzt wieder im
Frühling auf Berlins Fensterbänken diese anonymen Kisten
findet, von denen man zunächst denkt, daß hier irgendwer
seinen Umzugskarton mit Literatur vergessen hat. Doch die Pappkartons
sind mit Absicht so ungewöhnlich hoch gestellt, damit kein
ignorant erhobenes Hundebein heranreicht. In ihnen warten aussortierte
Bücher auf den lesefreudigen Flaneur. Quasi im Vorbeigehen
signalisieren sie ihm: „Lust auf Lesen? Nimm mich mit. Vielleicht
bin ich deine heutige Entdeckung." So stöbert man mitunter
zwischen einigen vegetarischen Kochbüchern, ein paar Fontanes und
Strittmatters und entdeckt Paul Gauguins Briefe. Oder was auch
immer. Ein spontaner, kostenloser Fund, nur geleitet von neugierigem
Interesse der intimsten Zwiesprache zwischen Buch und Leser.
In Bonn gibt es an der stark frequentierten
Poppelsdorfer Allee dafür schon einen institutionalisierten
öffentlichen Bücherschrank. Gunther Krauss beschreibt in
seinem Blog das Procedere: „Hier kann jeder Bücher
reinstellen oder kostenlos entnehmen. Dank großzügiger
Bürger finden sich gelegentlich auch wirklich gute Bücher
darin, die die übliche Kost aus Trivialliteratur und
Broschüren aufwerten. Außerdem kann man am Schrankinhalt
immer gut erkennen, wenn umfangreichere Gesetzesänderungen in
Kraft getreten sind oder ein Soziologiestudent mit seinem Studium
fertig geworden ist." Aber natürlich gibt es auch im beschaulichen
Bonn die Zerstörer, die selbst noch die Regalbretter klauen.
Etwas sicherer in dieser Hinsicht ist das sogenannte
„bookcrossing", bei dem das gezielte „Auswildern" der
Bücher über das Internet gesteuert wird. Wer sein Buch an
Unbekannte weitergeben will, kennzeichnet es mit einer Nummer und
veröffentlicht auf einer speziellen Internetseite Ort und Datum
der Aussetzung. Der Finder wiederum gibt später im Netz bekannt,
daß es jetzt in dessen Besitz ist. So kann zum einen der
Verbreitungsweg des Buches verfolgt werden, zum anderen sind die
Kommentare sämtlicher „Vorbesitzer" über die Reise des
Buchs und dessen Lektüre aufschlußreich. Allerdings mutet
bookcrossing ziemlich bürokratisch an, die Fensterbrettvariante
ist da eindeutig sympathischer.
Sabine Schuster
www.bookcrossing.de
www.meinbuch-deinbuch.com